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Eine Firma ohne Chef – geht das?

13Aug2012
5 min
Firma ohne Chef

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Auf der Homepage von Valve findet man folgendes Zitat „Wenn Sie klugen, talentierten Menschen die Freiheit geben, ohne Angst vor Fehlern arbeiten zu können, passieren erstaunliche Dinge“. Ist das der Schlüssel, zu einem hierarchielosen Unternehmen, das trotzdem funktioniert und obendrein erfolgreich ist?

Die Valve Coporation wurde 1996 von einem ehemaligen Microsoft Mitarbeiter in den USA gegründet. Das Unternehmen entwickelt Spielesoftware, eine Softwareplattform (Steam) sowie dazugehörige Technologien.  Im Geschäftsjahr 2012 weisen sie einen Mitarbeiterstand von 293 Personen auf. Das bemerkenswerte an Valve: es gibt keine Vorgesetzten.

Handbook for new employees

Unter dem Motto „Ein angstfreies Abenteuer, wenn man weiß was zu tun ist, ohne dass es einem jemand sagt“ erhalten alle neuen Mitarbeiter das Valve „Handbook for new Employees“. Darin enthalten ist neben lustigen Prozessbeschreibungen wie „Methoden um heraus zu finden welche Projekte gerade laufen“ oder „Wie kann ich mich für den Firmenausflug freimachen“ (hierbei wird die gesamte Belegschaft samt Ehepartnern und Kinder an solch illustre Ferienziele wie Cabo San Lucas in Mexiko oder Hawaii geflogen – all inklusive versteht sich) die „Spielanleitung“ zum Umgang mit- und untereinander. Massage, Putzerei Service, Dartsboards oder ein Fitnessstudio – die Nutzung dieser Annehmlichkeiten wird ausdrücklich gewünscht und niemand würde auch nur eine Sekunde daran verschwenden darüber nachzudenken, ob John diese Woche schon 3 x bei der Massage war oder nicht.

Neben der Information dass Valve sich selbst finanziert, d.h. keinen Investoren von außen Rechenschaft ablegen muss, es zwar einen Gründer/Präsidenten gibt, der aber nicht der Manager ist, erfährt man, dass Hierarchien großartig für die Bewahrung von Berechenbarkeit und Reproduzierbarkeit sind. Valve möchte innovative Mitarbeiter – und das bedeutet den Mitarbeitern eine Umgebung zu schaffen, in der sie sich wohl fühlen und die Kreativität gefördert wird. Überstunden, vor allem wenn sie über einen längeren Zeitraum gemacht werden, versteht das Unternehmen als fundamentale Fehlplanung des Einzelnen oder gravierendes Problem das bewertet und korrigiert werden muss. Allerdings nicht mit der Kündigung des Mitarbeiters, die Rede ist hier von Aufstockung des Personals nicht vom Abbau. Die Wichtigkeit einer guter Work-Life-Balance ist kein Lippenbekenntnis sondern gelebte Realität.

Der erste Monat

Mitarbeiter können frei bestimmen wo sie ihren Arbeitsplatz haben möchten, deshalb haben die Arbeitstische bei Valve Rollen. Wenn sie wissen wo sich die Kaffeemaschine befindet, die Bleistifte gespitzt und der Computer eingeschaltet ist kann es losgehen. Nur womit? Nachdem einem ja niemand sagt woran man arbeiten soll, wie wissen die neuen Mitarbeiter was sie tun sollen? Die Mitarbeiter entscheiden selbst woran und mit wem sie arbeiten möchten. Es gibt zwar eine Liste mit den im Moment bestehenden Projekten, jedoch wird den Neuen geraten, sich durch Fragen ein Bild zu machen. Nicht umsonst widmet Valve eine Seite seines „Mitarbeitereinführungsbooklet“ der Frage worin Valve nicht so gut ist. Neben „Wie Sie sich bei uns zurechtfinden“ bis zu Mentoring oder der Distribution von Informationen intern steht das Unternehmen hinter diesen Schwächen – dazu gibt es ja besagtes Booklet.

Der wichtigste Prozess

Wer jetzt denkt Valve handelt verantwortungslos, der irrt. Schon beim Einstellungsgespräch – nebenbei der wichtigste Prozess im Unternehmen – wird darauf geachtet die richtigen Leute an Board zu bekommen. Während Kandidaten in anderen Firmen Fragen wie „was sind ihre Stärken und Schwächen, oder sind sie ein Teamplayer“ gestellt bekommen, stellt man bei Valve folgende Fragen:

  • Würde ich diesen Kandidaten gerne als meinen Vorgesetzten haben wollen?
  • Würde ich diesen Kandidaten als fähig erachten, ein Unternehmen zu führen – denn das tut hier schlussendlich jeder
  • Würde ich von diesem Kandidaten jede Menge lernen können?
  • Was wäre wenn dieser Kandidat für einen Mitbewerber statt für uns arbeiten würde?

Der Grundsatz für den Recruitingprozess lautet: Wir wollen Leute, die potenziell besser sind als wir. Trotz all dem „easy going approach“ kennt Valve die Risiken seiner flachen Struktur sehr genau. Leute zu finden, die ihrem Konzept der leistungsfähigen, selbstständigen und entscheidungsfreudigen Mitarbeiter entsprechen, ist nicht leicht. Deshalb ist Valve auch sicher kein Arbeitgeber für jedermann. Dieses Selektionsverhalten ist vor allem auch der Grund dafür, dass das Unternehmen seit Jahren profitabel wächst und gedeiht.

To good to be true?

Was passiert wenn jemand etwas verbockt, wird man sich nun fragen. Oder wie erhalten die Mitarbeiter ihre Boni? Zum einen kalkuliert Valve damit, dass ab und an etwas schief geht. Dies wird allerdings nicht als Freikarte für die Einleitung eines „Firing Prozesses“ gesehen sondern als Chance, daraus für die Zukunft zu lernen. Nichts desto trotz gibt es auch hier Grenzen: 2 oder mehrmals den gleichen Fehler zu machen oder nicht auf Kunden und Kollegen zu hören obwohl der Beweis, dass sie recht haben evident ist.

Bonus bzw. die Performance jedes Einzelnen obliegt der Bewertung der Kollegen. Der jährliche Bewertungs- oder Einstufungsprozess und damit die Bezahlung hängt von 4 Faktoren ab: dem Level der Fähigkeiten und der technischen Kenntnisse, also dem Schwierigkeitsgrad der Herausforderungen oder Probleme die gemeistert werden müssen, der Einzigartigkeit seiner Kenntnisse oder künstlerische Assets wie Design oder Musik. Daneben zählen die Produktivität, der Beitrag im Team und jener am Produkt selbst. Wenn man am Ende des Tages mit der Einschätzung durch die Kollegen nicht zufrieden sein sollte, hat man das Recht dies auch zu adressieren.

Fazit

Es erfordert Mut und auch Disziplin ein Unternehmen zu führen, das den gestalterischen Aspekt seiner Mitarbeiter im Vordergrund und die Erreichung manch kurzfristiger Ziele untergeordnet sieht. Das ein hohes Maß an Freiheit genießt ohne Druck von außen und mit einem Eigentümer ausgestattet ist, der selbstbewusst genug ist, um diese Art von Unternehmensstruktur aufzubauen. Nicht zuletzt erfordert dieses Konzept ein hohes Maß an Engagement jedes Einzelnen, insbesondere jener die bereits lange Jahre dabei sind. In den meisten anderen Unternehmen bedeutet ein lange Zugehörigkeit das ansammeln von Macht oder Geld oder beidem und damit passiert die Symbiose zur Anpassung an eine hierarchische Unternehmenskultur automatisch.

Auf die Frage ob ein hierarchieloses Unternehmen möglich ist, gibt es bei Valve eine klare Antwort: Yes, we can!

Eine Firma ohne Chef – geht das?

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