Da hat das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche einiges vorgemacht. Papst Benedikt XVI ist zurückgetreten und die Welt zeigt sich zum einen bestürzt und zollt zum anderen großen Respekt vor diesem Schritt. Ein Schritt, der mit Sicherheit nicht leicht ist. Dafür muss man nicht einmal Papst sein. Ein Rückzug aus einer verantwortungsvollen Position ist bei uns vielfach ein Ding der Unmöglichkeit – ein Zeichen der Schwäche gar. Aber wenn sogar ein Papst den Sessel freiwillig räumt, können wir dann nicht ein wenig anfangen darüber nachzudenken, ob es nicht auch für manche Positionen und Personen in Unternehmen sinnvoll wäre, ein Amt abzugeben. Ohne Gesichtsverlust – nur mit Bewunderung und Dank?
Up or out – das ungeschriebene Gesetz
In den meisten Unternehmen gibt es ein einfaches, wenn auch nirgends niedergeschriebenes Gesetz: Hinauf oder hinaus. Nur manche amerikanischen Konzerne haben sich das sogar offiziell zum Leitmotto gemacht. Die besten Verkäufer werden Verkaufsleiter, die besten Verkaufsleiter werden Partner und so weiter. Mit jedem dieser Schritte ist Prestige, Anerkennung und ein Gagensprung verbunden. Mit jedem dieser Schritte steigt aber auch die Menge an Arbeit und die Verantwortung.
Das per se wäre ja noch nicht problematisch, aber es stellt sich die Frage, wie lange gewisse Positionen für einen Durchschnittsmenschen gesundheitlich, psychisch wie physisch tragbar sind. Aus der eigenen Arbeitspraxis habe ich genau das erlebt: Leiter eines großen Bereiches, die sich in der Nähe ihrer Pensionierung befinden und mit großer Mühe und unter Inkaufnahme großer gesundheitlicher Risiken bis zu ihrem ersehnten Antrittsalter einen 65 Stunden Job machen. Ist der Tag X dann da, dann sind sie heilfroh weg zu sein – ihre Kompetenz fehlt aber plötzlich enorm und so kommt es nicht selten vor, dass diese Führungskräfte dann im Rahmen von „Konsulentenverträgen“ teilweise wieder retour geholt werden.
Was wäre aber, wenn wir eine Möglichkeit hätten, dass Führungskräfte nach einer gewissen Zeit, ohne das Gesicht zu verlieren, sagen könnten, „Ich höre auf und gehe wieder einen Schritt zurück“? Würde das nicht unsere Unternehmen beflügeln? Neues Blut käme in die Führungsetagen, die Kompetenz der MitarbeiterInnen wäre trotzdem weiter nutzbar, gesundheitliche Risiken durch Hochbelastungsjobs würden verringert. Zusammengefasst ergeben sich daraus folgende Vorteile:
- MitarbeiterInnen in arbeitsintensiven Jobs bleiben länger gesund im Betrieb
- Bestehende Kompetenz kann weiterhin genützt werden
- Wir haben eine Alternative zum sofortigen, frühestmöglichen Pensionsantritt
- Wir schaffen Chancen für den Nachwuchs, ohne zu überfordern, da wir erfahrene MitarbeiterInnen ja nicht verlieren, sondern sie weiter zur Entwicklung nutzen können
- Wir schaffen frischen Wind in die Führungsetagen und damit Innovation und laufende Entwicklung
- Wir bekommen ein neues Verständnis für Belastungsgrenzen von Menschen und damit eine neue Arbeitskultur
Schaffen wir das noch lange?
Die Frage wird umso wichtiger, wenn wir uns die steigenden Pensionsantrittsalter ansehen. Entgegen anders lautender Behauptungen arbeiten wir momentan nicht länger (in den 70er Jahren haben die Österreicher absolut wie relativ gesehen länger gearbeitet, weil sie früher begonnen haben und nicht schon mit 58 in Pension gegangen sind), aber trotzdem haben wir ein Problem mit steigenden Pensionsantrittsaltern. Dass hierbei Probleme lauern ist klar: Wird jemand mit 45 in eine hohe leitende Position berufen, die ein hohes Pensum an Arbeitszeit mit sich bringt, dann tut sie oder er das derzeit noch maximal 15 Jahre (wenn man das auf den Schnitt des tatsächlichen Antrittsalters in Österreich bezieht). Aber ist der selbst Job auch 20 oder gar 25 Jahre ausübbar? Können Sie sich vorstellen, mit 65 Jahren noch 60 Stunden zu arbeiten? Nach 20 Jahren, die Sie das schon getan haben?
Die Möglichkeit, einen Schritt zurück zu machen, ist also nicht nur eine kühne Fantasie, sondern vielleicht bald eine wichtige Möglichkeit, wollten wir uns nicht selbst im hohen Alter verheizen.
Stationenparcours statt Bergauf-Strecke
Damit solche Möglichkeiten aber genutzt werden und auch attraktiv sind, braucht es noch einiges an Arbeit. So funktionieren unsere Gehaltssysteme immer noch nach Seniorität, je älter, desto mehr. Die Kurve zu verflachen und damit andere Möglichkeiten zu eröffnen ist ein wichtiger Punkt. Das System der Abfertigung alt würde jene strafen, die gegen Ende ihrer Laufbahn noch zurücksteigen. Das Problem gibt es im neuen System nicht mehr, aber auch Firmenpensionen unterliegen oft noch einem Senioritätsprinzip, das davon ausgeht, dass zum Schluss die fetten Jahre sind und diese als Basis nimmt.
Eine Umstellung auf Lebensverdienstsummen bei den Berechnungen von Pensionen und Firmenpensionen sollte die finanziellen Nachteile weitestgehend beseitigen und ist ohnedies dringend überfällig.
Viel mehr aber, brauchen wir den Mut, solche Modelle anzudenken und umzusetzen. Zurücksteigen darf nicht mehr mit Schwäche gleich gesetzt werden, sondern soll ein Zeichen von Qualität sein können und eine Möglichkeit für ein Unternehmen sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wenn wir aufhören Karriere als Bergauf-Straße zu definieren, sondern als Stationenparcour über verschiedene berge und Täler, an denen es jeweils etwas sinnvolles zu tun gibt, dann können wir solche Modelle leben. Und „Führung auf Zeit“ ist vielleicht für viele auch ein attraktives Modell, um sich auszuprobieren, ohne sich einzubetonieren.
Wie auch ich gehören vielleicht auch Sie zu den Menschen, die gedacht haben, dass ein Papst in seinem Amt sterben muss. Aber siehe da, ein Schritt zurück ist sogar so nah am Göttlichen eine moderne Möglichkeit, die für alle Beteiligten neue Chancen schafft. Wenn das also der Vatikan schafft, dann können das Unternehmen bestimmt auch.
Machen Sie’s wie der Papst! Ausstieg aus der Führung