Betriebliche Gesundheitsförderung
Wie gesund und leistungsfähig ein Mitarbeiter ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die ihre Wurzeln teils in der Person, teils in der Organisation haben. Entsprechend vielschichtig muss ein betriebliches Gesundheitsförderungskonzept sein, das die Gesundheit der Mitarbeiter nachhaltig fördern und bewahren möchte.
Der amerikanische Soziologe Aron Antonovsky (1923 – 1994) fragte sich aller einer der ersten Wissenschaftler: Warum bleiben in derselben Belastungssituation manche Menschen gesund während andere erkranken? Er fand die Antwort in der unterschiedlichen Persönlichkeitsstruktur der Menschen und entwickelte das sogenannte Salutogenetische Modell. Dieses stellte die Gesundheitsvorsorge auf ein neues Fundament. Denn statt der Frage „Was macht Menschen krank?“ stand nun die Frage „Was fördert deren Gesundheit?“ zentral; des Weiteren die Frage: Was können Menschen tun, um ihre Gesundheit zu bewahren?“
Antonovsky ging davon aus: Ein Stressor wie zum Beispiel eine hohe Arbeitsbelastung macht Menschen nicht grundsätzlich krank. Entscheidend ist vielmehr der individuelle Umgang mit der jeweiligen Situation. Er ging zudem davon aus: Es gibt Faktoren, die helfen, das Risiko einer Erkrankung zu mindern. Und diese sind bei den einzelnen Menschen sowie in deren Umfeld unterschiedlich stark ausgeprägt. Diese protektiven Faktoren bezeichnet er als Widerstandsressourcen.
Kernfrage: Warum bleiben Menschen gesund?
Antonovsky unterschied zwischen inneren und äußeren Widerstandsressourcen. Zu den inneren Ressourcen zählte er die physische Konstitution und die „Ich-Stärke“, also das Selbstvertrauen und -bewusstsein von Menschen; des Weiteren deren Introspektions- beziehungsweise Selbstbeobachtungsfähigkeit sowie deren Fähigkeit zu entspannen. Ebenfalls zu den inneren Widerstandsressourcen zählte er das Wissen um das Thema Gesundheit sowie die Kenntnis von Strategien zum Meistern herausfordernder und belastender Situationen.
Zu den äußeren Widerstandsressourcen zählte Antonovsky die soziale Unterstützung, die eine Person durch ihr Umfeld erfährt; zudem ein stabiles und somit Vertrauen und Sicherheit vermittelndes Lebensumfeld. Auch die finanziellen Möglichkeiten wirken sich positiv oder negativ auf die Widerstandskraft aus. Und nicht unterschätzen sollte man die Bedeutung der Grundeinstellungen, die das Denken, Fühlen und Verhalten einer Person sowie von deren Umfeld prägen.
Die Widerstandskraft stärken
Das Konzept der Salutogenese hat sich in der Beratungspraxis und Gesundheitsprävention bewährt. Deshalb liegt es heute fast allen modernen Konzepten zur betrieblichen Gesundheitsförderung zugrunde – auch wenn es in der betrieblichen Praxis oft nur bruchstückhaft realisiert wird. Und es gewinnt weiter an Bedeutung, je mehr die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter in den Betrieben steigt. Denn umso stärker setzt sich auch im Top-Management der Unternehmen die Erkenntnis durch, dass gesunde und somit auch motivierte und leistungsfähige Mitarbeiter ein zentraler Erfolgsfaktor für jedes Unternehmen sind.
Dabei spielt in der betrieblichen Gesundheitsförderung der Begriff der Resilienz eine wachsende Rolle. Er stammt ursprünglich aus der Werkstoffkunde und beschreibt die Fähigkeit eines Stoffs, nach einer Verformung durch Druck- oder Zugeinwirkung wieder seine alte Form anzunehmen. Im Bereich der Gesundheitsförderung versteht man unter Resilienz die Fähigkeit, auf Belastungen flexibel zu reagieren. Diese Fähigkeit gewinnt in einem Arbeits- und Lebensumfeld an Bedeutung, in dem die Menschen immer häufiger auf neue Herausforderungen angemessen reagieren müssen, obwohl sie hierfür noch keine Lösungs- und Handlungsstrategien haben.
Der Handlungsdruck steigt
Diese Fähigkeit kann nicht nur entwickelt werden, sie sollte auch entwickelt werden. Das erkennen immer mehr Unternehmen, je häufiger ihre Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenzen stoßen und zum Beispiel Burnout-bedingt oder bedingt durch eine andere psychische oder chronische Erkrankung ausfallen. Ihrem Top-Management wird zunehmend bewusst, wie stark sich „soft facts“ wie die psychische und physische Gesundheit der Mitarbeiter positiv oder negativ auf die „hard facts“, also zum Beispiel die betrieblichen Ergebnisse, auswirken. Also investieren die Unternehmen mehr Zeit und Geld in das Entwickeln und Umsetzen praxisnaher Trainings- und Beratungskonzepte, die darauf abzielen,
- die krankmachenden Faktoren im Arbeitsumfeld der Mitarbeiter zu reduzieren,
- die Resilienz, sprich Widerstandskraft der Mitarbeiter zu erhöhen und
- ihnen die Kompetenz zu vermitteln mit herausfordernden beziehungsweise belastenden Situationen „gesundheits-schonend“ umzugehen.
Führungskräfte spielen Schlüsselrolle
In diesen modernen Gesundheitsförderungskonzepten spielen die Führungskräfte eine Schlüsselrolle, da sie wichtige Multiplikatoren sind und einen Vorbildcharakter für ihre Mitarbeiter haben. Hinzu kommt: Aufgrund ihrer Funktionen in der Organisation prägen sie weitgehend die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter. Deshalb sollte ihnen das Bewusstsein vermittelt werden, dass zum Beispiel ein Burnout (der eigenen Person oder) von Mitarbeitern ein Indiz darauf ist, dass – beispielsweise aufgrund veränderter Rahmenbedingungen – die nötige Balance zwischen Anspannung und Entspannung sowie Beruf und Freizeit fehlt. Insofern ist eine steigende Zahl von Burnouts auch ein Anlass, die bisherige Art der Führung, der Zusammenarbeit sowie der Arbeitsorganisation zu überdenken.
Dies ist auch nötig, weil die nachrückenden Mitarbeiter aus der sogenannten Generation Y (nach 1980 geborene Menschen) teils andere Ansprüche an ihren Arbeitsplatz als ältere Mitarbeiter haben. Sie erwarten, dass ihnen ihr Job ermöglicht, die Balance zwischen Beruf und Freizeit zu wahren. Zudem wollen sie ihre Arbeit als befriedigend und sinnvoll erfahren. Diesen Anforderungen müssen sich die Unternehmen auch aufgrund des demografischen Wandels stellen, wenn sie nicht zu den Verlierern im „war for talents“ zählen möchten.
„Gesunde Unternehmen“ haben gesunde Mitarbeiter
Das fällt vielen Unternehmen schwer, auch weil – gemäß dem salutogenetischen Modell – beim Fördern der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen eine Vielzahl personaler und organisationaler Faktoren zusammenspielen. Entsprechend viele Dimensionen gilt es beim Entwickeln eines zukunftsfähigen Konzepts der betrieblichen Gesundheitsförderung beziehungsweise des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu berücksichtigen. Zusammenfassend lassen sich sieben Ebenen beziehungsweise Dimensionen unterscheiden (siehe Grafik 1):
Grafik 1: Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements (nach Angela Kissel/Birgit Huber-Metz)
1. Resilientes Unternehmen als Rahmen
Das Unternehmen hat den institutionellen Rahmen zu schaffen, der neben einem Bewahren der Gesundheit deren aktive Förderung ermöglicht. Hierfür zählen unter anderem
- das Schaffen von (flexiblen) Arbeitszeitmodellen, die sich auch an den privaten Bedürfnissen der Mitarbeiter orientieren,
- eine gesundheitsfördernde und sinnstiftende Arbeitsorganisation sowie
- das Bereitstellen der hierfür erforderlichen Ressourcen an Geld, Zeit und Personal.
2. Gesunde Führung als (Unternehmens-)Ziel
Wichtig ist eine Unternehmens- sowie Führungskultur, die auch das Thema Gesundheit im Fokus hat. Um eine solche Kultur zu entwickeln, gilt es Führungskräfte rekrutieren und zu fördern, die ein Gespür dafür haben, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf das Wohlbefinden und somit die Gesundheit ihrer Mitarbeiter hat.
3. Gesundes Führen
Damit eine „gesundheitsorientierte Führung“ im Betriebsalltag erfolgt, gilt es auch, die Führungskräfte zu schulen. Sie müssen unter anderem lernen, mit ihren Mitarbeitern eine von Vertrauen geprägte Beziehung aufzubauen – so dass im Gespräch mit ihnen auch die Gesundheit sowie das Wohlbefinden der Mitarbeiter belastende Faktoren thematisiert werden können. Sie sollten zudem wissen, welchen Einfluss ihr Vorgesetzten-Verhalten auf die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter hat.
4. Gesundes Arbeiten im Team
Das Thema „Wie gelingt es uns, trotz hoher Anforderungen eine gesundheitsfördernde Arbeitsatmosphäre zu wahren?“ sollte auch regelmäßig auf der Agenda beispielsweise von Teambesprechungen stehen – unter anderem damit die Mitarbeiter erfahren, dass sie von ihrer Führungskraft auch als Menschen wahrgenommen werden. Zudem sollte im Team über Strategien nachgedacht werden, wie in Zeiten einer hohen Arbeitsbelastung trotzdem eine gewisse Work-Life-Balance gewahrt werden kann beziehungsweise wann und in welcher Form ein Ausgleich erfolgen kann.
5. Individuelle Kompetenz zur Life-Balance
Burnout hat fast immer auch private Ursachen. Er wird jedoch zunächst im beruflichen Umfeld manifest, weshalb dieses häufig als alleiniger Verursacher erscheint. Also sollte den Mitarbeiter auch die Kompetenz vermittelt werden, selbst zu erkennen, wann sie an Belastungsgrenzen stoßen, um dann entweder die Belastung zu reduzieren und/oder einen Bedarf an Unterstützung zu signalisieren.
6. Angebote zur Gesundheitsförderung
Den Mitarbeiter sind zudem Angebote zu unterbreiten, mit denen sie ihre Gesundheit fördern und bewahren sowie bei „Krisen“ wiederherstellen können. Diese Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen können sehr vielfältig sein – abhängig davon, ob bei ihnen der Hebel beim Individuum oder der Organisation angesetzt wird oder die Zielgruppe bereits erkrankte oder (noch) gesunde Mitarbeiter sind (siehe Grafik 2):
Grafik 2: Dimensionen eines zukunftsweisenden Gesundheitsförderungskonzepts
Anhand der vier Dimensionen Individuum und Organisation sowie Pathogenese und Salutogenese können Unternehmen auch eine Standortanalyse durchführen und ermitteln, wo bei ihnen noch ein Handlungs- beziehungsweise Change-Bedarf besteht.
7. Gesundheit als Projekt
Das Projekt „Entwickeln und Implementieren eines zukunftsfähigen Gesundheitsförderungskonzepts im Unternehmen“ braucht die Unternehmensleitung als Auftraggeber. Maßnahmen zur Förderung der Salutogenese greifen und wirken in einer Organisation in der Regel nur, wenn in der Unternehmensleitung ein Commitment über deren Notwendigkeit besteht und sie deshalb deren Einführung aktiv promotet und nachhaltig unterstützt.
Gesundheitsorientiertes Führen
Eine Schlüsselrolle beim Einführen eines zukunftsweisenden und -fähigen Gesundheitsförderungskonzepts in Unternehmen spielen die Führungskräfte. Sie sollten aufgrund des steigenden Veränderungsdrucks unter dem die Unternehmen stehen und der vielen neuen Herausforderungen, die hieraus an die Mitarbeiter resultieren, ihr Selbstverständnis überdenken und ihre Rolle neu definieren. Sie müssen lernen, den Mensch Mitarbeiter mit seinen Wünschen und Bedürfnissen stärker in den Mittelpunkt ihres Denkens und Handels zu stellen, weil nur gesunde und zufriedene Mitarbeiter die gewünschte oder geforderte Leistung erbringen. Das erfordert auch Führungskräfte, die aufgrund ihrer Persönlichkeit in einem zunehmend von geringer Planbarkeit geprägten Arbeitsfeld die erforderliche Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, um ihren Mitarbeiter den gewünschten Halt zu bieten. Das setzt auch eine gesunde Selbstführung seitens der Führungskraft voraus. Verfügen die Führungskräfte eines Unternehmens über diese Kompetenz, dann ist in der Regel ein erster wichtiger Schritt in Richtung „Schaffung eines gesundheitsfördernden Arbeitsumfelds“ getan.
Gastautorinnen: Angela Kissel und Birgit Huber-Metz sind Geschäftsführerinnen des Unternehmens Balance fürs Leben, Urbar (bei Koblenz), das Einzelpersonen beim Aufrechterhalten oder Wiederherstellen der gewünschten Balance in ihrem Leben und Unternehmen beim Erhalt der Gesundheit und Leistungskraft ihrer Mitarbeiter unterstützt (Tel.: +49 / 261 / 9623 112, info@balance-fuers-leben.de, www.balance-fuers-leben.de)
Unternehmensziel: Gesundheit der Mitarbeiter wahren