Der War for Talents zieht bei manchen Bereichen spurlos vorbei, andere sind vom Fachkräftemangel (Österreich dient hier „nur“ als Beipspiel) stark gebeutelt.
Welche Branchen / Positionen sind besonders betroffen und: wie kann/soll gegengewirkt werden – nicht politisch oder sonstwie deligierend, sondern wie kann das Unternehmen/die HR-Abteilung ganz konkret ansetzen?
Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, Schwarzmalerei ist mir ein Greuel. Doch im Zuge dieses Interviews über „Fachkräftemangel – Österreich“ fühlte ich mich als würde ich selbst einen großen breiten Pinsel in Schwarz tauchen.
Experten-Interview
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Ich versuche gerne, die Zahl der Interviews-Partner überschaubar zu halten. Heute sind es 10. Das ist weit über eine brauchbare Zahl hinausgehend. Doch es ist erstaunlich: ich erhielt nicht zahlreiche inhaltsgleiche Antworten, sondern viele unterschiedliche Blickwinkel – ein herzliches „danke!“ an meine Interview-Runde!
Los geht’s:
Bei welchen Branchen & Positionen ist der Fachkräftemangel (Österreich) besonders spürbar?
Elisabeth Weghuber (Secretary Search Personalberatung): Stetig spürbar ist der Fachkräftemangel in technischen Berufen. Ganz besonders im IT-Bereich ist der Bewerbungsrücklauf eher rar. Meiner Erfahrung nach liegt das auch am Bewerbungsverhalten dieser Zielgruppe. Anders als bspw. Marketingfachleute bewerben sich IT-Spezialisten seltener, sind weniger auf Job-Plattformen präsent. Hier ist es vermehrt erforderlich, Kandidaten aktiv anzuwerben.
Mag. Klaus Lercher, MBA (Trenkwalder Personaldienste): Wenn man die Marktsituation beobachtet, kann man feststellen, dass vor allem im Baugewerbe aber auch in Bereichen von Technologie-, Elektro- und Maschinenbau ein akuter Engpass an gut ausgebildeten Fachkräften herrscht. Ärztemangel, Pflegenotstand in Heimen und Krankenhäusern sind schon lange bekannt – zusätzlich sind branchenübergreifend auch Positionen im Vertrieb und Kundendienst vom Mangel an geschulten Mitarbeitern betroffen.
Civ. Ek., Margareta Holz (Deloitte Recruiting Services): Spürbar ist die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage vor allem im mittleren Management – bei den typischen Sandwichpositionen; das liegt vor allem daran, dass die Anforderungen an Führung hier stark gestiegen sind bzw. teils auch sehr anders aussehen als vor einigen Jahren – aber der Gros der Führungskräfte lebt dieses neue Führungsbild noch nicht. Branchen sind alle betroffen – vielmehr geht es aber um konkrete Positionen bzw. Funktionen, wo ein Gap besteht. Das sind z.B. Tätigkeitsbereiche, die erst relativ neu entstanden sind oder die sich in den vergangenen Jahren stark verändert haben. Z.B. haben sich durch die vielen regulatorischen Bestimmungen im Finanzbereich ganz neue Anforderungsprofile im Bereich Risiko, Compliance, etc. heraus kristallisiert. Da gibt es einfach noch nicht genügend Personen mit den relevanten Kompetenzen.
Victoria Petsch (Markus Baldauf Management Consulting): Die Technologiebranche ist eine der wichtigsten und am schnellsten wachsenden Sektoren überhaupt. Sich mit den Anforderungen der IT-Branche zu arrangieren und in diesem innovativen Sektor Fuß fassen zu können stellt für viele Arbeitsnehmer eine große Hürde dar. Der Fachkräftemängel ist in dieser Branche besonders spürbar und reicht von Einstiegspositionen bis in die C-Level Ebenen. Daher haben wir uns auf die Direktansprache in diesem Bereich spezialisiert.
Gerhard Krennmair (Dr. Pendl & Dr. Piswanger): Ich behaupte, dass es keinen Fachkräftemangel gibt – zumindest nicht, wenn man global denkt und handelt! Die Fachkräfte sind nur geographisch „nicht optimal“ verteilt. Es wird also immer wichtiger mit überregional vertretenen Personalberatern zusammen zu arbeiten oder konzernintern eine Struktur zu finden, die es einem ermöglicht am richtigen Ort mit dem richtigen Vorgehensmodell zu „sourcen“.
Wie stehen Sie zu der Aussage: „Es liegt nicht nur ein Fachkräftemangel vor, sondern die Unternehmen wollen vermehrt Bewerber, die alles können sollen.“ Die geniale eierlegende Wollmilchsau eben.
Wuk Petrovic (APS Austria Personalservice): Stimmt so nur zum Teil, ja Unternehmen versuchen natürlich möglichst die eierlegende Wollmilchsau zu bekommen aber im Grunde sind die meisten Unternehmen auch zufrieden, wenn der Bedarf an einer qualifizierten und motivierten Unterstützung gedeckt wird. Daher ist diese Aussage mit Vorsicht zu sehen.
Victoria Petsch (Markus Baldauf Management Consulting): Der Zukunftstrend geht in die Richtung, dass Bewerber sehr intensiv und gut ausgewählt werden. Unternehmen möchten hoch-qualifizierte und loyale Mitarbeiter und schrauben als Maßnahme dafür die Anforderungen in die Höhe. Eine Ausbildung, eine stimmige und aussagekräftige Berufslaufbahn und ein proaktives Auftreten sind dabei die wichtigsten Eigenschaften. Unternehmen sind auf der Suche nach funktionierenden Gesamtpaketen, je nach Position mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Als Bewerber darf man sich von hochgesteckten Anforderungen nicht abschrecken lassen und sich selbst und seiner Qualifikationen bewusst werden.
Elisabeth Weghuber (Secretary Search Personalberatung): Dieser Trend ist wenig erstaunlich; schließlich haben erfolgreiche Unternehmen erkannt, dass das Personal eine wichtige – wenn nicht gar die wichtigste – Schlüsselressource ist, um im Wettbewerb zu bestehen. Darüber hinaus wird versucht den Brückenschlag zwischen Spezialisten – die nicht über den Tellerrand blicken können – und Generalisten – die alles können, jedoch nichts im Detail – zu schaffen. Keine leichte Aufgabe, die mitunter in unrealistischen Anforderungsprofilen resultieren kann. In solchen Fällen ist das Know-how und Einfühlungsvermögen eines erfahrenen Personalberaters gefragt, um den Kunden dabei zu unterstützen, tatsächlich relevante Aspekte eines Job-Profils von verzichtbaren abzugrenzen. Diese Aspekte gelten jedoch für sämtliche Segmente des Recruitings, zeigen sich bspw. auch im Assistenzbereich, nicht nur bei der Suche nach Fachkräften.
Dr. Claudia Hümpel (headworx personalberatung): Nach unserer Erfahrung sind nur sehr wenige Unternehmen bereit, Bewerber einzustellen, die nicht mindestens 80% des fachlichen Qualifikationsprofils abdecken. In Einarbeitung und Weiterbildung von neuen (und teilweise auch langjährigen) Mitarbeiter wird ungern und wenig investiert – lieber suchen die Firmen so lange, bis sie die Person gefunden haben, die fachlich alles mitbringt. Engagierte Kandidaten, die bereits gezeigt haben, dass sie sich in neue Aufgabengebiete rasch einarbeiten können und von ihrer Persönlichkeit super ins Team passen würden, haben in der Regel weniger Chancen als diejenigen, die alle fachlichen Anforderungen erfüllen aber von ihren sozialen Kompetenzen schwächer sind. Genau in diesen Situationen leisten wir häufig Beratungs- und Überzeugungsarbeit.
Mag. Barbara Schopper (Schulmeister Management Consulting): Die Anforderungsprofile und Erwartungen der Unternehmen werden tatsächlich immer spezifischer im Hinblick auf Bewerber. Der Fachkräftemangel ist jedoch davon unabhängig zu sehen. Am Arbeitsmarkt bzw. den Unternehmen stehen insgesamt zu wenig Bewerber mit speziellen Aus- und Weiterbildungen zur Verfügung.
Reinhard Bader (ANOVA HR-Consulting): Viele Konzerne geben heute Richtlinien vor, welche maximale Flexibilität fordern, um möglichst „punktgenau“ auf unregelmäßige Umsatzmöglichkeiten zu reagieren, maximalen Einsatz im Dienste der Kunden bei gleichzeitig maximaler Einsparung an verfügbaren Mitarbeitern erwarten und dabei noch maximale Vorbildwirkung durch die Führungskräfte, bei gleichzeitig multifunktionalem Einsatz, fordern. Tatsächlich mangelt es jedoch vielerorts lediglich an der fehlenden Bereitschaft, durch entsprechende Planung, Strukturen zu schaffen, die die Erfüllung dieser Kriterien zur Zufriedenheit aller Beteiligten ermöglichen würde.
Agnes Gaspar (JOB WORLD): Es stimmt, dass zunehmend all jenen Kandidaten der Vorzug gegeben wird, die flexibel und sehr vielseitig einsetzbar sind. In Österreich ist die Begegnung mit der „eierlegenden Wollmilchsau“ im Stellendschungel keine Seltenheit mehr. Arbeitgeber stellen immer höhere Anforderungen an das Profil von Job-Bewerbern, was sowohl die „soft skills“ als auch die „hard skills“ betrifft. Wenn jedoch zu stark der Eindruck entsteht, dass ein Unternehmen den perfekten „Alles-Könner“ sucht, schreckt das gerade TOP-Bewerber ab.
Durch welche Maßnahmen ist dem Fachkräftemangel am zielführendsten aus dem Weg zu gehen / vorzubeugen?
Gerhard Krennmair (Dr. Pendl & Dr. Piswanger): Am richtigen Ort mit dem richtigen Vorgehensmodell nach den Fachkräften zu suchen und dabei vielleicht mit Sprachanforderungen gegenüber Ausländern in der Startup Phase etwas nachsichtiger zu sein. Glücklicherweise wird Europa immer mehr zum Dorf, in dem Bewerber immer flexibler werden sich geographisch zu verändern!
Elisabeth Weghuber (Secretary Search Personalberatung): Secretary Search hat mit der Gründung der Business Unit Diversity Search einen meines Erachtens besonders nachhaltigen Weg im Umgang mit dem Fachkräftemangel eingeschlagen. Durch Diversity Recruiting, das wir in dieser Business Unit schwerpunktmäßig betreiben, erweitern wir die Zielgruppen potentieller Bewerber. Darüber hinaus empfehlen wir unseren Kunden mittels Diversity HR Management die Identifikation ihrer Mitarbeiter mit dem Unternehmen sowie deren Zufriedenheit zu steigern. Beides sind Mittel zur Erzielung stärkerer Loyalität und damit beständigerer Betriebszugehörigkeit, die wiederum potente Mechanismen zum Schutz des eigenen Unternehmens vor dem Fachkräftemangel sind.
Mag. Agnes Gaspar (JOB WORLD): Zum Einen sollte man verstärkt (hoch) qualifiziertes Fachpersonal im Ausland rekruitieren. Zum Anderen können sich Unternehmen, die ein duales Studium anbieten, ebenso gegen den Fachkräftemangel absichern. Denn diese Studienform zeichnet sich durch einen intensiven Praxisbezug aus und bietet Unternehmen somit die Chance top qualifizierte Nachwuchskräfte auszubilden. Generell gilt, dass eine breitere Flexibilität in den Handlungsoptionen im Kampf um die besten Köpfe erforderlich ist.
Weitere Strategien um den (zukünftigen) Mangel an Fachkräften auszugleichen: Mitarbeiterbindung durch Employer Branding (um so die Fluktuation möglichst gering zu halten), attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten, Entwicklungsperspektiven, flexible Arbeitszeitmodelle und ebenso Sozialleistungen und Benefits wie z. B. Betriebskitaplätze oder Home Office.
Mag. Klaus Lercher, MBA (Trenkwalder Personaldienste): Die effektivsten Methoden um dem Fachkräftemangel gegen zu steuern sind Weiterbildungsmaßnahmen sowie Schulungen für Mitarbeiter, die vom Unternehmen angeboten werden. Aufgrund solcher Maßnahmen entscheiden sich Bewerber auch eher für die vakante Position. Man sollte auch versuchen, ältere Erwerbstätige länger im Arbeitsprozess zu halten, sie sind die Know-how Träger und Experten die sehr wichtig für die Unternehmen sind. Dafür wäre die Anpassung der Lebens-Einkommenskurve notwendig. Ebenso müssen auch junge Menschen motiviert werden, Berufe zu ergreifen in denen Fachkräftemangel herrscht. Umschulungen, Lehrberuf mit Maturaabschluss, Integration älterer Arbeitnehmer sowie die Vereinbarung von Familie und Beruf sind weitere Schritte um Fachkräftemangel vorzubeugen.
Mag. Barbara Schopper (Schulmeister Management Consulting): Vermehrte interne Aus- und Weiterbildung, vermehrte Anstellung von ausländischen Bewerbern, Kooperationen mit spezifischen Ausbildungsstätten, zielgruppenspezifisches Personalmarketing, schnelle Entscheidungswege im Zuge des Recruitingprozesses.
Civ. Ek., Margareta Holz (Deloitte Recruiting Services): Kurzfristig kann man nur mit klugen Partnern arbeiten, die die richtigen Kontakte und Netzwerke haben. Mittel- und langfristig ist es wichtig, sowohl die interne Nachfolgeplanung zu verstärken und im Bereich Talent Management tätig zu sein (das senkt die Abhängigkeit vom externen Bewerbermarkt), als auch am Employer Branding zu arbeiten. Und damit meinen wir nicht viele bunte Plakate, die das Unternehmen als tollen Arbeitgeber positionieren, sondern strukturierte Arbeit an allen Kerndimensionen der Arbeitgebermarke – von Gehalt über Entwicklung bis zum Leadership.
Wuk Petrovic (APS Austria Personalservice): Bessere Bildungspolitik (mehr Chancengleichheit, bessere Vorbereitung der Jugend auf die Entscheidung, welche Ausbildung bzw. welchen Beruf sie später ausüben möchten). Es sollten Unternehmen und Schulen früher miteinander kooperieren und nicht erst ab der 2-3 HTL Klasse, sondern einfach einen jungen Menschen ggf. schon früh eine Vision für die Zukunft geben. Des Weiteren sollten auch Unternehmen mehr Interesse an einer zielgerichteten Weiterbildung von Mitarbeitern haben. Die Beziehung Mitarbeiter – Firma sollte neu überdacht werden, da Mitarbeiter und besonders Fachkräfte nicht mehr nur auf das Gehalt achten, sondern auch andere Anforderungen an Arbeitgeber richten (Stichwort: Work/Life bzw. Entstressen, Weiterbildung etc.). Aus dem Weg zu gehen ist der falsche Ansatz für eine Lösung, wir (Unternehmen, HR Abteilungen, HR Dienstleister etc.) müssen uns noch mehr mit dem Thema beschäftigen, da es wahrscheinlich in den nächsten Jahren noch schwieriger werden wird passende Kandidaten zu finden. Ich persönlich glaube nicht, dass die Lösung unseres „Fachkräftemangels“ im Ausland zu suchen ist, sondern im Inland auf längere Sicht, gelöst werden kann.
Dr. Claudia Hümpel (headworx personalberatung): Angesichts der demographischen Entwicklung in fast allen Ländern der EU kann es sich kein Unternehmen leisten, darauf zu hoffen, dass sich die Situation wie von Geisterhand verbessert oder sich die Politik dieses Themas annimmt.
Wichtig ist zunächst ein Umdenken in den Unternehmen selbst – nicht die Bewerber sind die Bittsteller, sondern die Unternehmen müssen zeigen, dass sie ein attraktiver Arbeitgeber sind, bei dem man als Mitarbeiter gerne arbeitet. Sie glauben gar nicht, wie manche Geschäftsführer ins Nachdenken kommen, wenn ich sie frage, warum ich als Bewerberin ausgerechnet in ihrem Unternehmen arbeiten sollte;-)
Also als mittel- bis langfristige Maßnahme geht es darum, eine echte Arbeitgebermarke zu entwickeln. Unternehmen, denen das gelingt, haben häufig gar kein Problem, die Mitarbeiter zu finden, die zu ihnen passen und klagen auch nicht über Fachkräftemangel. In diesem Zusammenhang empfehle ich gerne das absolut lesenswerte Buch von Martin Gaedt „Mythos Fachkräftemangel“. Er bezieht sich bei seinen Ausführungen zwar auf den deutschen Arbeitsmarkt, aber viele der angesprochenen Punkte lassen sich 1:1 auf den österreichischen Arbeitsmarkt übertragen.
Darüber hinaus gibt es unserer Meinung nach kein Patentrezept, aber zumindest einige mögliche Handlungsfelder, in denen die wenigsten Unternehmen bis zum jetzigen Zeitpunkt ihre Hausaufgaben gemacht haben:
- Active Sourcing – d.h. proaktiv nach möglicherweise irgendwann einmal passenden Bewerbern suchen, mit ihnen in Kontakt treten und diesen dann auch pflegen
- Kontaktpflege mit ausscheidenden Mitarbeitern und mit abgesagten (guten) Bewerbern
- Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeiter
- Berücksichtigung der folgenden Bewerbergruppen:
- Menschen, die älter als 45 sind
- menschen aus EU und Drittstaaten, auch wenn sie zu Beginn noch nicht so gut Deutsch können
- Menschen, die die fachlichen Anforderungen nur zum Teil erfüllen, aber das Potential haben, sich die fehlenden Kenntnisse rasch anzueignen
- Berufsanfänger und Quereinsteiger
Die Gesprächspartner
„Recruiting-Herausforderung | Lassen Sie den Fachkräftemangel (Österreich) doch hinter sich!“
Elisabeth Weghuber Secretary Search Personalberatung Wuk Petrovic APS Austria Personalservice GmbH & Co KG Viktoria Petsch Markus Baldauf Management Consulting Civ. Ek., Margareta Holz Deloitte Recruiting Services Mag. Klaus Lercher, MBA Trenkwalder Personaldienste GmbH Mag. Barbara Schopper Schulmeister Management Consulting GmbH & Co KG Mag. Agnes Gaspar Job-World KG Dr. Claudia Hümpel headworx personalberatung KG Reinhard Bader ANOVA HR-Consulting GmbH Gerhard Krennmair Dr. Pendl & Dr. Piswanger GmbH |