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Virtuelles Coaching – eine Alternative?

27Nov2014
5 min
Virtuelles coaching

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Die Welt wird immer digitaler. Die Telekommunikationsangebote immer breiter gefächert. eLearning und webbasierte Trainings finden immer breiter Anwendung. Aber Coaching per Telefon, Skype oder Webmeeting – geht das?

Unter Business Coaching versteht man im Allgemeinen einen zeitlich begrenzten, personenzentrierten Beratungs- und Begleitungsprozess von Einzelpersonen oder Gruppen. Dabei unterstützt ein Coach den Coachee, fachlich-sachliche und/oder psychologisch-soziodynamische Fragen bzw. Problemstellungen zu bearbeiten. Das Gespräch zielt v.a. auf eine Förderung von Selbstreflexion und –wahrnehmung und der Stärkung der Selbstmanagementkompetenzen ab. Coachingprozesse bestehen häufig aus einer Abfolge von 2-8 Terminen um die aktuelle Herausforderung zu meistern oder auch aus regelmäßigen Terminen mit supervidierendem Charakter. Klassisch ist dabei das persönliche 4-Augen-Setting.

Coaching im virtuellen Setting

Bei der Betrachtung der immer breiter werdenden Coachingangebote am Markt fallen einem vermehrt auch virtuelle Coachingangebote auf. Das persönliche Setting wird dabei mit einem technischen Setting ersetzt – ein Medium wie Telefon, Skype, Google Hangouts etc. wird dabei zum virtuellen Coachingraum. Im einfachsten Fall nur mit Tonübertragung, in technische ausgefeilteren Settings auch mit Videozuschaltung.

Aber kann das wirklich funktionieren? Für Coachingprozesse wird allgemein ein hohes Maß an Vertrauen zwischen Coachee und Coach vorausgesetzt. Lässt sich dies in einem virtuellen Gespräch realisieren und etablieren? Wird der fehlende physische Kontakt in diesem Zusammenhang zum Nachteil? Oder wird die fehlende visuelle Ablenkung ggf. sogar zum Vorteil?

Vorteile von virtuellem Coaching

Die Idee virtuelles Coaching zu betreiben erscheint auf ersten Blick attraktiv. Als Vorteile von virtuellen Coachingangeboten werden häufig angeführt:

  • Zeiteffizienz: An- und Abreise fallen weg. Das Coaching kann damit sehr zeiteffizient erfolgen.
  • Kosteneffizienz: Es entstehen keine Reise- oder Anfahrtskosten.
  • Flexibilität: Durch die gesteigerte Flexibilität sind ggf. auch flexiblere Termine oder sogar ad hoc Unterstützung in bspw. Krisensituationen denkbar.
  • Bequemlichkeit: Die Teilnahme am Coaching erfolgt sehr häufig direkt von zuhause aus. Es kann damit ggf. sogar von einer vertrauten Atmosphäre ausgegangen werden.
  • Weltweit/ortsungebunden: Coachingtermine sind auch bei Reisetätigkeit oder Auslandsaufenthalten wie gewohnt einhaltbar.
  • Konzentration: Die visuelle Ablenkung von Coach und Coachee entfallen.
  • Anonymität: Die fehlende direkte Anwesenheit eines Gegenübers schafft einen Raum der Anonymität.

Bei diesen Argumenten stehen aus meiner Sicht v.a. die Zeit-, Kosten- und Flexibilitätsargumente im Zentrum. Es wird möglich – auch im Sinne des Kunden – ressourcenschonend zu agieren, beispielsweise bei sehr dezentralen Organisationen bei denen man etwa flächendeckend in einem gewissen Gebiet Coaching anbieten will. Ein Zusatzargument, das die vergleichsweise kostenintensive Unterstützungsform Coaching etwas moderater erscheinen lässt.

Nachteile von virtuellem Coaching

Wo Vorteile sind, sind natürlich auch Nachteile. Das Setting des klassischen Coachings (das 2er Gespräch face-to-face) wird schließlich radikal verändert. Dabei seien exemplarisch erwähnt:

  • Vorurteile: Meiner Einschätzung nach ist virtuelles Coaching nicht 1:1 gleich anerkannt wie die persönliche Coaching-Variante. Coaching wird noch immer mit dem klassischen bilateralen Setting verbunden. Akzeptanz ist aber Voraussetzung für die Wirksamkeit. Auch hat persönliches Coaching wohl in den Augen vieler auch eine höhere Wertigkeit.
  • Ablenkungen: Dort wo die räumliche Distanz ggf. für Fokus sorgen kann, kann sich auch neuer Raum für Ablenkungen auftun. V.a. dann wenn die Arbeitsumgebung nicht die Ruhe und technische Ausstattung bietet, um störungsfrei teilzunehmen.
  • Fehlender Blickkontakt: Die fehlende gemeinsame Anwesenheit in einem Raum lässt den Sichtkontakt und die Einbeziehung der Körpersprache entfallen. Dies kann dazu führen in gewissen Situationen weniger leicht Vertrauen aufzubauen.
  • Fehlende Krisenintervention: Im Falle belastender Situationen und psychischer Krisen ist die Intervention weitaus schwieriger als in einem persönlichem Setting.
  • Reduziertes Methodenspektrum: Was für mich aber als einer der größten Nachteile hervortritt, ist ein stark reduziertes Methodenspektrum. Fragen zu stellen ist schließlich nur eine Interventionstechnik von vielen. Interventionen die räumliche Aktionen des Coachees verlangen (bspw. Systembrett, inneres Team, Teufelskreis,…) sind im virtuellen Setting nicht möglich.

Neben der prinzipiellen Akzeptanz des Mediums (Telefon, Online) ist dabei v.a. auch eine entsprechende Medienkompetenz (bspw. Erfahrung mit Telefonkonferenzen, Skype,…) Grundvoraussetzung für das virtiuelle Coaching. Das Verhalten mit virtuellen Coaching-Situationen (bspw. Intonation, bildhafte Ausdrucksweise,…) sollte vorab gezielt geübt werden.

Ist virtuelles Coaching effektiv?

Virtuelles Coaching ist ein Kind unserer Zeit und es hat im Methodenkanon der Personalentwicklung sicher seine Berechtigung. Es folgt dabei aber einem anderen Paradigma: Anstelle der direkten personenzentrierten Coaching-Sitzung mit seiner sehr intensiven Interaktionsqualität tritt ein zeiteffizientes aber gleichzeitig distanzierteres Gesprächsformat. Auch dieses kann „Coaching“ im Sinne der grundsätzlichen Ausrichtung und Gesprächstechnik genannt werden, unterscheidet sich aber sehr deutlich vom Original. Effizient scheint virtuelles Coaching vorn herein zu sein, aber ist es auch effektiv?

Die wenigen vorhandenen Vergleichsstudien zeigen (ein Artikel dazu findet sich im Literaturtipp), dass man allgemein von keinen bzw. kaum vorhandenen Unterschieden zwischen „persönlichem Coaching“ und „Distance Coaching“ ausgehen kann. Zwar ist die generelle Akzeptanz bei nicht allen Coachees gegeben (sprich: nicht jeder würde es für sich selbst wollen), dennoch muss man bei jenen die die Bereitschaft dafür aufbringen davon sprechen, dass Telefoncoaching ebenso effektiv wie die klassische Coachingsvariante ausfällt. Es sind laut dieser Studien keine signifikanten Qualitätsunterschiede aus Sicht der Coachees feststellbar.

Ein Resümee

Mein persönliches Resümee aus dem Studium vieler Artikel und meiner eigenen Praxiserfahrung: Virtuelles Coaching oder „Distance Coaching“ kann vor allem in zwei Anwendungsfällen sehr gut eingesetzt werden:

  • Für eher punktuelle coachingähnliche Gespräche wie bspw. Transfergespräche im Rahmen eines 360° Feedbacks oder Rückmeldegespräche im Rahmen einer Potenzialanalyse. Hier wird meist ein stärker strukturierter Gesprächsverlauf genutzt. Es handelt sich oft um einmalige Termine die einen individuellen Beschäftigungsprozess beim Coachee unterstützen sollen.
  • Als Interimstermine in längerfristigen Coachingsprozessen die auf einer schon etablierten Vertrauensbeziehung aufsetzen. Zur Zwischenreflexion, zur Überbrückung auf Dienstreisen oder um zeitlich flexibel zu sein.

Längerfristige Coachingprozesse im engeren Sinn erscheinen mir weiterhin rein virtuell wenig zielführend zu sein. Man beschneidet die Methode Coaching zu sehr eines breiten Teils seines Methodenreportoires; und den Coach von vielen Möglichkeiten den Coachee zu erleben und diesem wiederum Feedback zu geben.

Coaching nicht nur von der Effizienz der Durchführung sondern vielmehr auch von der reflexiven Auszeit die man sich nimmt oder auch gönnt. Und ein „Szenenwechsel“ in ein ruhiges, dafür reserviertes Coachingzimmer verschafft oft erst den dafür nötigen Denkraum, über den Alltag nachzudenken.

 


Literaturtipp

Geißler, Harald: „Traditionelle und moderne Medien im Coaching“ in: „Coaching-Praxisfelder. Forschung und Praxis im Dialog“, Hrsg. Robert Wegener u.a., Springer, 2014.

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