Seit einiger Zeit fällt auf, dass PotenzialAnlaysen nicht nur für Recruiting, Identifikation von High Potentials, etc. eingesetzt werden, sondern zunehmen auch zur Berufs-Orientierung. Dem möchte ich auf den Grund gehen.
Experten-Interview
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Los geht’s:
Worin sehen Sie die immer größer werdende Nachfrage nach Potenzialanalysen / Testverfahren im Bereich der Berufs-Beratung/-Orientierung?
Petra Schulte (USP-D Consulting): Der Nutzen für Lernende und Studierende zeigt sich darin, dass der Arbeitsmarkt sehr früh nach Spezialisierungen bei gleichzeitig breit angelegten sozialen Kompetenzen sucht. Viele Ausbildungsstätten bereiten junge Erwachsene durch Praxisprojekte vor. Wird jungen Arbeitssuchenden die Möglichkeit gegeben, ihre persönliche und soziale Kompetenz in Testverfahren und Assessments zu überprüfen, bekommen sie über die Passbarkeitsdiagnose hinaus eine umfassende Status Quo Diagnose ihrer aktuellen Ausprägungen und Potenziale. Damit gewinnen sie einen Überblick für weitere Qualifizierungen und können ihr direkt nächstes Arbeitsassignment sicherer und entwicklungsorientiert angehen.
Direkte Assessment Verfahren eignen sich aufgrund ihrer Praxisrelevanz und der weitgehend identischen Arbeitssimulation am ehesten. Sie zielen weniger auf persönlichkeitsbezogene Prädispositionen ab, sondern stellen das situative Handeln ins Zentrum und geben Aufschluss über die Lernfähigkeit, Stressresistenz und Flexibilität der Teilnehmer. Teilnehmer wie Beobachter gewinnen ein für mehrere Jahre gültiges Bild über Potenziale und Handlungsalternativen des Probanden.
GEGENPERSPEKTIVE: Personalleiter suchen verstärkt nach komplementären Kompetenzen und Bewerbern mit komplementärem Profil, weil sie auf diesem Weg Diversität schaffen und organisationale Engpässe durch zu schmale Mitarbeiterprofile vermeiden. Testverfahren und Assessments helfen die Auswahl und vor allem im Anschluss die weitere Entwicklung der neuen Mitarbeiter effektiver gestalten.
Dr. Gabriele Kössler (Kooperationsteam Kössler & Partner): Ob es nun ein junger Mitarbeiter ist, der neu in einen Beruf einsteigt oder ein erfahrener Experte, der eine neue verantwortungsvolle Position anstrebt: er möchte die richtige Berufs-Wahl und den für ihn richtigen Arbeitsplatz, die richtige Karriere-Entscheidung treffen. Jede falsche Berufswahl ist eine falsche Investition in die Zukunft. Deshalb wollen heutzutage auch Arbeitnehmer und Manager ihre Stärken, Anlagen und Potenziale hinterfragen und ausloten. „Wenn ich weiß, was alles in mir steckt, kann ich dies auch im Bewerbungsverfahren richtig und optimal platzieren.“
Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Wir stehen heute vor einer unüberschaubaren Fülle von Bildungs- und Berufsmöglichkeiten. Natürlich ist das auf den ersten Blick wünschenswert, der nach Orientierung Suchende kann in diesem Meer von Angebot aber leicht untergehen. Je früher er seine eigenen Potentiale identifiziert, umso früher kann er beginnen, die berufliche Zukunft danach auszurichten und damit etwaige „Ehrenrunden“ in falschen Berufsfeldern vermeiden. Weder Unternehmen, die profilierte Mitarbeiter brauchen, noch der Berufstätige an sich können sich jahrelange Desorientierung und berufliche Fehlbesetzungen leisten. Das Bewusstsein dafür, dass rein subjektive Einschätzungen oder alte Testmodelle für die Zukunftsarbeit von Berufsberatern, Recruiting-Verantwortlichen oder Personal-Consultants nicht länger ausreichen, ist im Steigen.
Wie bedeutend Potentialanalysen in Zukunft sein werden hängt meines Erachtens davon ab, wie schnell Unternehmen sich ihrer Bedeutung für nachhaltigen Erfolg bewusst werden. Als Stichwort nenne ich: Know-how Abfluss und Kosten, die Firmen aus starker Fluktuation erwachsen. Natürlich hätte man auch von staatlicher Seite hier ein Instrumentarium für zielgerichtete Bildungspolitik und Arbeitsmarktförderung.
Wie hoch schätzen Sie dieses Geschäftsfeld im Vergleich zu Recruiting und der Personalentwicklung ein?
Dr. Gabriele Kössler (Kooperationsteam Kössler & Partner): So genau kann ich dies nicht beziffern, es ist jedenfalls ein zunehmendes und ernst zu nehmendes Feld.
Dr. Kurt Durnwalder (ITO – Individuum Team Organisation Personalmanagement): 15%. Obwohl 15% einen geringen Teil vom Gesamtaufwand erscheinen mag, haben gut durchgeführte Potenzialanalyse-Maßnahmen einen nicht unerheblichen Einfluss auf andere Tätigkeiten, wie z.B. Personalentwicklung, Nachfolgeplanung oder Talent Management.
Petra Schulte (USP-D Consulting): Bei steigender Tendenz kann das Geschäftsfeld des Bewerber-Testings und der gezielten Berufsberatung heute bereits 40% ausmachen. Recruiting Prozesse, die noch 50% Aufwand kosten können, reduzieren sich deutlich in Relation zur wachsenden Sorgfalt und umsichtigen Steuerung in der Berufsberatung. So wie erfahrende Führungskräfte mitunter Karrierecoaching in Anspruch nehmen, ist ein Berufswahl- oder Karrierecoaching auch für junge Bewerber durchaus zu empfehlen. In drei zweistündigen Sitzungen kann ein Bewerber seine Potenziale erkennen, für sich Handlungsfelder definieren und mit dem Coach die Berufswahl und den in ihr liegenden zukünftigen Scope vorbereiten. Da sich der Arbeitsmarkt längst zu einem Bewerbermarkt entwickelt hat und sich dieser Trend noch deutlicher abzeichnen wird, dürfen wir die Berufsberatung einerseits bereits als einen Teil des Recruiting verstehen und andererseits gleichzeitig als den 1. Schritt der Personalentwicklung und Vorbereitung auf die späteren Profilvarianzen des Bewerbers.
Die richtige Berufs- und Karriere-Entscheidung braucht reifliche Überlegung und gute Vorbereitung – kann eine Potenzialanalyse dafür Unterstützung leisten?
Dr. Gabriele Kössler (Kooperationsteam Kössler & Partner): „Mein Branding“ – wie kann ich als künftiger Mitarbeiter oder künftige Führungskraft in einem Unternehmen bestmöglich einsteigen: beim Bewerbungsgespräch, beim Assessmentcenter oder Hearing und dann in den neuen Arbeitsplatz, in das neue Team?
Jeder High Potential strebt einen lückenlosen und zielorientierten Karriereweg an: dazu muss er sich selbst und seine Potenziale gut kennen, um diese richtig platzieren und vermarkten zu können. Eine Potenzialanalyse ist dafür das richtige Instrument. Eine Potenzialanalyse gibt Auskunft: wie gehe ich eine Führungssituation, eine Verhandlungssituation an, soll ich mich eher in eine Führungsposition begeben oder liegt mir eine Spezialistenkarriere mehr, bin ich mehr und lieber der Generalist oder der Experte für ein Thema, wie forsch oder wie vorsichtig gehe ich vor, welche Werte sind mir ganz besonders wichtig im Berufsleben?
Die Life-Balance muss heutzutage für uns alle stimmen: wer sich, seine Potenziale und seine Stärken gut kennt, wird den richtigen Beruf und den richtigen Arbeitsplatz wählen und damit für sich eine optimale Life-Balance erreichen.
Worin liegt der größte Nutzen einer guten Potenzialanalyse?
Dr. Kurt Durnwalder (ITO – Individuum Team Organisation Personalmanagement): Die betroffene Person kann in kurzer Zeit so viel erkennen und dazugewinnen wie oft in Jahren nicht. Man erhält zielgenauere Personalentscheidungen, wenn es um Personalauswahl oder Karriereentwicklung geht, ebenso wie erhöhte Objektivität. Bei bestehenden Mitarbeitern: zielgenauerer Einsatz von Budgetmitteln z.B. für die Personalentwicklung.
Wie finde ich als Nutzer die passende Methode in dem großen Angebot an Potenzial-Analysen?
Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Wie bei jeder seriösen Untersuchung gilt es, Objektivität (Ist die Unabhängigkeit der Versuchsergebnisse von den Rahmenbedingungen gesichert?), Validität (Misst der Test wirklich das, was gemessen werden soll?) und Reliabilität (Wie zuverlässig ist der Test?) zu garantieren. Vertrauensvolle Kundennähe und Kenntnis darüber, wie unser Geschäftspartner in seinem Geschäftsgebaren und in seiner sozialen Kultur „tickt“ hilft uns, das Gesuchte und die dafür passende Methode zu identifizieren.
Der Analyse-Prozess ist nicht statisch und die Ergebnisse sind keine Momentaufnahmen, sondern behalten auch nach Monaten noch ihre Gültigkeit. Wir unterstützen unsere Kunden daher teilweise über längere Phasen und stehen ihnen persönlich für alle Fragen im Bereich der Personaldiagnostik zur Verfügung.
Wie kann eine Potenzialanalyse die Berufswahl unterstützen?
Mag. Alfred Lackner (Lackner & Kabas): Eine der ersten eigenverantwortlichen Handlungen von jungen Erwachsenen besteht darin, den passenden Beruf zu wählen. Dabei bewegen sie sich in einem Spannungsfeld. Hinter ihnen spüren sie den Erwartungsdruck der nächsten Angehörigen, von vorne ertönen die Werbebotschaften der Wirtschaft. In diesem Spannungsfeld ist es nicht leicht, das für die eigene Person Richtige zu finden. Oft ist es am Einfachsten, eine akzeptable Berufswahl (durch eine pragmatische Entscheidung) zu treffen.
Die Wahl des richtigen Berufs braucht Zeit und konkrete Erfahrung mit beruflichen Tätigkeiten/beruflichen Kontexten. Im ersten Schritt geht es zunächst einmal darum „interessante“ berufliche Richtungen zu identifizieren. Hier kann die Potenzialanalyse sehr hilfreiche Dienste leisten und den Raum der Möglichkeiten auf relevante Möglichkeiten einschränken.
Im zweiten Schritt geht es darum los zu ziehen und die relevanten beruflichen Alternativen zu erkunden. Interesse ist als spürbare energetische Kraft, Ausdruck einer Anziehung. Man könnte Interesse auch als Form der Ressonanz beschreiben. Interesse kann nur durch Kontakt zustande kommen. Folgt man dem Interesse, können zwei Entwicklungen beobachtet werden: Interesse wird mehr oder weniger (bleibt nie gleich). Steigert sich das Interesse mit zunehmender Auseinandersetzung mit einer Tätigkeit/einem Beruf, bedeutet das „weitergehen“. Wird das Interesse weniger, ist diese berufliche Alternative keine gute Wahl.
Empfehlenswert ist es die Wahl des richtigen Berufs in drei Etappen zu gliedern. Die erste Phase kann als die Wahl der beruflichen Richtung benannt werden. In dieser Phase ist eine professionelle diagnostische Dienstleistung sehr unterstützend. Ist die Wahl der beruflichen Richtung festgelegt, beginnt die Ausbildung für diesen Beruf. Diese Investitionen sollte auf eine fundierte Basis aufbauen. Erst in der dritten Phase erfolgt der wirkliche Einstieg in den Beruf durch die Wahl eines passenden Jobs. Aus psychologischer Sicht sollte für die Wahl des richtigen Berufs ausreichend Zeit und Erfahrung veranschlagt werden. Die positiven Konsequenzen einer richtigen Berufswahl sind erst mit 40 oder 50 Jahren zu richtig spürbar. Der richtige Beruf sollte spätestens mit 30 Jahren gefunden sein.
Die Gesprächspartner
PotenzialAnalysen | Berufs-Beratung & -Orientierung als neues Geschäftsfeld?
Dr. Gabriele Kössler Kooperationsteam Kössler & Partner Mag. Bernhard Dworak Master Human Resources Consulting GmbH Petra Schulte USP-D Consulting GmbH Mag. Alfred Lackner LACKNER & KABAS Management Assessments Psychologie Dr. Kurt Durnwalder ITO – Individuum Team Organisation Personalmanagement GmbH |