Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz & Stressfaktoren messen – im Kleinen wie im Großen?
Die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz ist gerade häufig für Klein- und Mittelbetrieben eine große Herausforderung: Fehlende HR-Spezialisten, wenig Ressourcen, wenig Wissen. Doch wie kann die gesetzliche Pflicht auch in KMUs für alle gewinnbringend umgesetzt werden?
Das Arbeitnehmerschutzgesetz (Österreich) schreibt für alle Unternehmen ab dem ersten Mitarbeiter die gleichen Aufgaben vor. Auch die Evaluierung der psychischen Arbeitsbedingungen gehört seit 2013 verpflichtend dazu.
Die Umsetzung fällt jedoch gerade kleinen Unternehmen schwer. Und nachdem 66% aller Arbeitgeberunternehmen max. 4 MitarbeiterInnen haben soll in diesem Artikel gezeigt werden, wie man auch hier die Evaluierung psychischer Belastungen gewinnbringend durchführen kann.
Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz: Eine Frage der richtigen Fragen
Die erste Frage, die Sie sich stellen sollten, lautet:
„Welche Arbeitsplätze habe ich im Unternehmen?“.
In einer kleinen Trafik oder einem kleinen Handwerksbetrieb wird die Antwort sicherlich leichter fallen als in einem großen Konzern. Nehmen wir an, wir evaluieren eine Tischlerei. Wir haben den Inhaber (macht die Kundenbetreuung), seine Frau (macht die Buchhaltung), 2 Gesellen und 1 Lehrling (machen die Arbeit).
Nachdem der Inhaber nicht unter das Arbeitnehmerschutzgesetz (Österreich) fällt, bleiben uns 4 Angestellte übrig, die 2 verschiedene Arbeitsplätze haben.
Die zweite Frage lautet:
„Welches Messverfahren setze ich ein?“
Grundsätzlich gibt es drei große Methoden um psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu messen:
- Schriftliche Fragebögen,
- standardisierte Gruppendiskussionen und
- Beobachtungsinterviews.
Jede dieser Methoden hat Vor- und Nachteile und es kann kein „goldener Weg“ für alle Unternehmen empfohlen werden. Grundsätzlich ist zu beachten, dass Fragebögen nur bei einer größeren Anzahl von Personen pro Arbeitsplatz sinnvoll auswertbar sind, dafür haben dann alle Personen gleichberechtigt die Möglichkeit ihre Einschätzung abzugeben (Beispiel: BASA II). Für standardisierte Gruppendiskussionen braucht es einen Moderator und circa 4 Stunden Zeit, dafür können dann auch gleich Lösungsmöglichkeiten besprochen werden (Beispiel: ABS Gruppe). Bei Beobachtungsinterviews braucht es jemanden, der objektiv die Fragen stellt und beobachtet, dafür kann man es auch bei Arbeitsplätzen mit einem Mitarbeiter anwenden (Beispiel: SGA).
Unterstützung bei der Auswahl bieten gelegentlich auch die AUVAsicher-Präventivfachkräfte (Arbeitsmedizin und Sicherheitsfachkräfte), die ohnehin jedes Unternehmen unter 50 Mitarbeitern hat.
Bei unserem Beispiel bietet es sich an, zwei Beobachtungsinterviews durchzuführen: einmal mit der Buchhalterin und einmal mit den Tischlern.
Nun folgt die Frage:
„Wer führt das denn in unserem Unternehmen durch?“
Für die Interpretation eines Fragebogenergebnisses, die Moderation einer Gruppendiskussion oder die Durchführung eines Beobachtungsinterviews sollten Sie eine Person nehmen, die erstens arbeitswissenschaftlich ausgebildet ist und sich zweitens mit dem Messverfahren auskennt.
Wenn der Chef es selbst durchführt, kann das problematisch sein. Wer würde seinem Chef schon ehrlich antworten auf die Frage „Unterstützt Sie Ihr Vorgesetzter?“, wenn es hier Probleme gibt?
Also: Gibt es eine Sicherheitsvertrauensperson im Betrieb? Hat jemand von den langdienenden Mitarbeitern Interesse, die Aufgabe zu übernehmen? Oder nehmen Sie die kreative Lösung: Suchen Sie einen befreundeten Betrieb in der Umgebung und evaluieren Sie sich gegenseitig. So gibt es keine Abhängigkeiten aber viele Vorteile.
Beispiel Tischlerei: Hans, ein Geselle, ist seit 15 Jahren im Betrieb, kann mit allen auf Augenhöhe sprechen und hat die SVP-Ausbildung. Er liest sich in die Thematik ein und übernimmt die Beobachtungsinterviews.
„Sind alle informiert?“
Bevor Sie eine Aktion starten: Holen Sie die Mitarbeiter zusammen und erzählen Sie, worum es geht und wie sie einen Beitrag leisten können. Es ist wichtig, dass alle verstehen, dass es nicht um psychische Erkrankungen oder Befindlichkeiten geht.
Beispiel Tischlerei: Jeden Montag wird gemeinsam gefrühstückt und die Projekte der Woche besprochen. Das wird genutzt um offen die Evaluierung psychischer Belastungen zu erklären. Martina, die Frau des Chefs hat kein Problem damit, weil sie sich mit Hans gerne unterhält. Michael, der Lehrling, glaubt zuerst, dass seine Leistung beurteilt werden soll, aber versteht nach dem Gespräch, dass es um seine Arbeitsbedingungen geht.
„Wie läuft das nun ab?“
Hans nimmt sich einen Vormittag Zeit, setzt sich zuerst mit Martina zusammen und geht mit ihr den Beobachtungsbogen durch. Er kennt bereits viele Abläufe, aber lässt sich von ihr nochmals alle Aufgaben erklären. Dann geht er zu seinem Kollegen Jürgen und dem Lehrling Michael und fragt hier genauer nach deren Eindrücken. Hans bespricht auch gleich mit allen, ob er die Ergebnisse so für Chef Walter aufschreiben darf und notiert Verbesserungsvorschläge.
„Was mache ich mit den Ergebnissen?“
Setzen Sie klare Maßnahmen, die spezifisch zum Problem passen. Die Vorgabe dazu finden Sie in §7 des Arbeitnehmergesetzes. In fast allen Fällen wird es darum gehen, Arbeit besser zu organisieren. In den wenigstens Fällen werden die Maßnahmen wirklich Geld kosten, sondern nur Überwindung.
Dokumentieren Sie die Ergebnisse in den Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten, wo auch die anderen Evaluierungen schon nachgelesen werden können. Wichtig ist festzuhalten, mit welchem Messverfahren man welche Ergebnisse festgestellt hat und welche Maßnahmen dagegen getroffen werden.
Beispiel Tischlerei: Am Ende macht Hans die Auswertung wie im Handbuch dargestellt. Am nächsten Montag werden die Ergebnisse beim Frühstück gemeinsam besprochen und Maßnahmen überlegt.
Es hat sich herausgestellt, dass Hans, Jürgen und Michael den neuen Gehörschutz nur ungern tragen, weil er kleiner ist als der alte und damit drückt. Walter verspricht beim nächsten Einkauf wieder das Vorgängermodell zu kaufen. Er wollte eigentlich nur einen anderen Lieferanten ausprobieren.
Vor zwei Jahren stellte die Tischlerei das Verrechnungssystem um. Früher wurde bei Auslieferung bezahlt. Nach einer größeren Kundeninsolvenz muss nun eine Anzahlung geleistet werden. Martina hat festgestellt, dass viele Stammkunden darüber sehr verärgert sind. Es wird beschlossen, dass Walter diese Stammkunden in den nächsten Wochen gezielt persönlich besucht und die Hintergründe der Umstellung erklärt. Weiters wird das Bestellformular angepasst zugunsten einer transparenteren Kommunikation.
Michael ist erst seit 6 Monaten im Unternehmen. Er erzählte schüchtern, dass er das Software-Programm für die Produktdaten noch nicht verstanden hat. Jürgen und Hans geben zu, dass es bislang noch keine strukturierte Einschulung gegeben hat, weil sie es schlicht vergessen hatten. Das wird innerhalb von 2 Wochen nachgeholt.
Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz – ein Fazit
Die Evaluierung psychischer Belastungen ist ein zusätzlicher Aufwand, der jedoch, wenn es richtig gemacht wird, einen Betrieb deutlich produktiver und Mitarbeiter motivierter machen kann. Im Kleinbetrieb wie im Großbetrieb.
Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz … in KMU & Kleinstunternehmen