Die strategische Personalplanung ist in HR-Kreisen in Mode. Sie bietet neue, technisch unterstützte Möglichkeiten, um strategisch relevante Fragestellungen zu beleuchten. Damit rückt der HR-Bereich näher an die Fachbereiche und kann die Rolle als Business-Partner noch besser ausfüllen.
Autoren: Dr. Tobias Thomas, Jürgen Ley
Die Finanzdienstleistungsbranche ist einem dauerhaften und rasant voranschreitenden Strukturwandel unterworfen. Hierzu zählen die zunehmende Digitalisierung des privaten Alltags und der Unternehmensumwelt und – damit eng verbunden – sich verändernde Kundenbedürfnisse bei gleichzeitig steigender Wettbewerbsintensität. Aber auch der aus der anhaltenden Niedrigzinsphase resultierende Druck zur Optimierung der Effizienz und Effektivität sowie die zunehmende Regulatorik verändern derzeit die Bankenwelt in einer bisher nicht gekannten Geschwindigkeit. Hinzu kommen die viel zitierten Herausforderungen um den demografischen Wandel und die Veränderungen in der Arbeitswelt.
Die personellen Ressourcen stellen im Dienstleistungsumfeld einen wichtigen Kostenfaktor dar und sind – gerade in Zeiten sich ändernder Geschäftsmodelle und neuer Herausforderungen – besonders wichtig, um den langfristigen Unternehmenserfolg sicher zu stellen. Für die (Finanzdienstleistungs-)Unternehmen und deren Personalbereiche gilt es daher, auf die ökonomischen Rahmenbedingungen achtend, das benötigte Personal vorzuhalten und gleichzeitig den Aufgaben eines verlässlichen, attraktiven und auf Kontinuität bedachten Arbeitgebers gerecht zu werden.
Die bereits in den letzten Jahren zu beobachtenden Volatilitäten an den Finanz- und Kapitalmärkten wirken sich naturgemäß auch auf die sich zum Teil rasch verändernden Kapazitätsbedarfe aus. Aus personalplanerischer Sicht kann kurzfristig durch eine bestmögliche Flexibilisierung der Belegschaft (zum Beispiel unterstützt durch eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle) reagiert und gegengesteuert werden. Viele Unternehmen stellen sich jedoch die Frage, inwiefern sie sich auch mittel- und langfristig personalseitig auf die bestehenden Herausforderungen vorbereiten können.
Der Personalkörper eines Unternehmens unterliegt einer gewissen Trägheit. Dies liegt zum Beispiel an gegebenen arbeitsmarktbedingten Restriktionen bei möglichen Rekrutierungen, an den rechtlichen Rahmenbedingungen zum Kündigungsschutz, der gesellschaftlichen Verantwortung als Arbeitgeber und – dadurch bedingt – häufig langen Betriebszugehörigkeiten. Durch eine gute und verlässliche Planung können Kosten minimiert und Fehlentscheidungen vermieden werden. Die Personalplanung nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein.
Strategische Personalplanung als aktueller HR-Trend
Die relativ neue Disziplin der „strategischen Personalplanung“ hat sich in den letzten Jahren in vielen mittelständischen Betrieben und Großunternehmen zu einer wichtigen Informationsplattform für den Personalbereich und das Top-Management entwickelt. Sie bietet das notwendige Instrumentarium zur Beantwortung der Fragen rund um die mittel- und langfristige Entwicklung des Personalbedarfs und des Personalbestands und unterstützt damit das Erreichen der strategischen Ziele.
In der Praxis stellt sich dabei immer wieder die Frage, inwieweit aufgrund der zunehmenden Komplexität von Geschäftsmodellen, der bestehenden Unsicherheiten durch nur schwer vorhersehbare externe Effekte und den zu beobachtenden Volatilitäten eine strategische und langfristige Planung überhaupt den erwünschten Nutzen erzielen kann. Oder provokativ gefragt: Handelt es sich bei der strategischen Personalplanung um einen besonders aufwendigen und damit teuren „Blick in die Glaskugel“? Oder können tatsächlich relevante Informationen und Impulse mit strategischer Relevanz erzielt werden?
Personalbedarf und -bestand im Fokus
Methodisch setzt die strategische Personalplanung auf der operativen Personalplanung auf, geht jedoch mit Blick auf den Planungshorizont, die verwendeten Prämissen und das Spektrum der Analyseergebnisse weit darüber hinaus. Betrachtet wird dabei nicht nur die quantitative („wie viele Mitarbeiter?“), sondern auch die qualitative Perspektive („welche Mitarbeiter?“).
Ein zentrales Ziel ist es, fundierte Aussagen zu den in der Zukunft benötigten Qualifikationen zu treffen, um hieraus frühzeitig gezielte Entwicklungsmaßnahmen ableiten zu können. Durch das Einführen sogenannter „Jobfamilien“ (z.B. Projektleiter, Controller, Anwendungsentwickler), einer Art Clusterung von Kompetenzen, wird die ansonsten rein quantitative Planung um qualitative Aspekte erweitert.
Die strategische Personalplanung gibt Antworten auf zentrale (nachfolgend beispielhaft aufgeführte) Fragestellungen:
Personalbedarf:
- Welche Auswirkungen haben Veränderungen am Geschäftsmodell (z.B. neue Geschäftsfelder) auf den Bedarf an Personal mit bestimmten Qualifikationen?
- Wie verändert sich der Personalbedarf bei unterschiedlichen Marktbedingungen?
- Wie soll der Umgang mit Fremdleistungen (beispielsweise. Sourcing im IT-Umfeld) optimal ausgestaltet werden?
- Welche Auswirkungen haben IT-Investitionen zur Steigerung der Produktivität und zu welchem Zeitpunkt sind solche Maßnahmen in der Zukunft sinnvoll?
- Ist die Anzahl der Nachwuchsführungskräfte ausreichend, um künftig den Bedarf an Führungskräften zu decken? Sind die Quellen zur Nachführung (Duales Studium, Traineeprogramme, externe/interne Rekrutierung) richtig priorisiert?
Personalbestand:
- Wie entwickelt sich mittel- und langfristig die Kapazität der Mitarbeiter in den einzelnen Jobfamilien?
- Wie entwickelt sich das Altersprofil der Gesamtbelegschaft? Wann endet die zunehmende Alterung der Belegschaft („Scheitelpunkt“)?
- Wie ist der Altersdurchschnitt einzelner Jobfamilien? In welchen Jobfamilien ist das Altersrisiko am höchsten?
- Wie verhält sich die Kapazität abhängig vom Alter und altersabhängigen Krankheitsquoten?
- Wie entwickelt sich die „stille Reserve“ (ruhendes Arbeitsverhältnis, z.B. Elternzeit, Langzeiturlaub) in Verbindung mit einer sich verändernden Teilzeitquote?
Personalunterdeckung und -überdeckung:
- Wo und wann entstehen in der Zukunft Lücken bzw. Überhänge?
- Was ist der richtige Maßnahmenmix, um Lücken und Überhänge je Jobfamilie wieder ins Gleichgewicht zu bringen?
- Wie können Mitarbeiter anders eingesetzt werden, um den Bedarf zu decken?
- Sind die internen Entwicklungspfade ausreichend, um den Bedarf zu decken?
- Wie muss die Ausbildungspolitik vor dem Hintergrund der Lücke zwischen Bestand und Bedarf aussehen? Wie viele Auszubildende oder Studenten der Dualen Hochschule werden benötigt, um den Bedarf zu decken?
Abbildung: Zu- und Abgänge im Modell
Szenarien-Technik
In der Praxis findet man unterschiedliche Ansätze und Instrumente zur strategischen Personalplanung. Diese reichen von einfachen Excel- bis hin zu komplexen Softwarelösungen. In der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG wird seit 2014 ein Simulationstool eingesetzt, das konkrete Aufschlüsse zu den skizzierten Fragestellungen ermöglicht. Im Zentrum dabei steht das Denken in Szenarien.
Ein komplettes Set an Annahmen, Prämissen und Daten (z.B. Zugänge aus Ausbildungsprogrammen, externe Rekrutierungen, arbeitnehmer- und arbeitgeberseitige Kündigungen, Renteneintritte, Abgänge innerhalb der Gruppe, interne Wechsel, Neugeschäftsentwicklung, IT-Projekt-Portfolio, Einsparungen durch Prozessautomatisierungen, Einsatz von externen Dienstleistern) wird als Szenario bezeichnet. Durch Einsatz des Simulationstools können auf diese Weise verschiedene mögliche Zukunftsbilder erstellt werden. Neben der Ermittlung der Daten für das Basisszenario, das auch als „most-likely-Szenario“ bezeichnet wird, werden weitere mögliche Zukunftsszenarien (über bis zu zehn Jahre) durchgespielt, analysiert und bewertet.
Im Vordergrund stehen dabei immer Überlegungen zu den relevanten Risiken in Bezug auf Alter, Kapazität und Qualifikation der relevanten Jobfamilien. Die Möglichkeiten zur Visualisierung und Darstellung der Ergebnisse sind sehr vielfältig: Sie reichen von Bestandsentwicklungskurven mit prognostizierten Über-/Unterdeckungen über spezielle Abgangs- und Zugangsanalysen sowie der Entwicklung von Alterspyramiden im Zeitverlauf bis hin zu übersichtlichen Ampelfunktionen in Bezug auf einzelne Risikoindikatoren.
Abbildung: Analyseergebnisse
Vorteile, Nutzen und Erkenntnisse
Mit Hilfe der strategischen Personalplanung und der in dieser Form erstmals aufbereiteten Analyseergebnisse konnte bei Schwäbisch Hall zu einer Vielzahl aktueller Themen und Fragestellungen Transparenz geschaffen werden, was sowohl in den Fachbereichen, als auch im Bereich Personal zu neuen, wertvollen Erkenntnissen führte. Die strategische Personalplanung bewährt sich dabei als übergeordnete Diskussionsplattform zwischen Fachbereichen, dem Top-Management und dem Personalbereich, indem auf einer validen Zahlen- und Datenbasis nachvollziehbare Handlungsbedarfe aufgedeckt werden können.
Die Bewertung der Potenziale der strategischen Personalplanung aus Praxissicht fällt daher durchweg positiv aus. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten, um in herausfordernden Zeiten das eigene Unternehmen beim Erreichen der strategischen Ziele zu unterstützen.
Gastautoren
Dr. Tobias Thomas ist Leiter Personalcontrolling, -planung, HR-Systeme bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG, der größten Bausparkasse Europas.
Jürgen Ley ist Abteilungsleiter Personalservice und -systeme bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG.
Die strategische Personalplanung – ein wertvoller Blick in die „Glaskugel“?