Wir suchen immer den Kompromiss. Würde man in Österreich eine Umfrage darüber durchführen, auf welche unserer Fähigkeiten wir besonders stolz sind, wäre diese Eigenschaft vermutlich unter den Top 5 zu finden. In Konfliktsituationen mit allen zu können, diplomatisch geschickt zu agieren und das Verbindende über das Trennende zu stellen – all das sind Aspekte, die in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert genießen.
„Ein Kompromiss ist wie die Laufmasche in einem Nylonstrumpf“ – dieses Zitat der ungarischen Schriftstellerin Erzsébet Galgóczis passt da so gar nicht in unser Weltbild. Es irritiert und legt gleichzeitig die Vermutung nahe, dass der vielgepriesene Kompromiss im Streitfall nicht immer das Gelbe vom Ei sein muss.
Ein gemeinsames Ausweichmanöver als Kompromiss
Wird man als externer Konfliktberater kontaktiert, um eine schwierige Teamkonstellation zu bearbeiten, bringt die nachfolgende Konfliktanalyse sehr oft folgendes Ergebnis: Die Situation war für alle Beteiligten bereits über lange Zeit belastend und spürbar. Aber um des lieben Friedens willen wurde darauf verzichtet, sich mit der Streitthematik offen und ehrlich auseinander zu setzen.
Und so passiert, was immer passiert, wenn Konflikte ignoriert werden: Irgendwann fliegt dann „der Deckel vom Topf“ und die Situation eskaliert. Meistens öffentlichkeitswirksam und mit großem Trara. Und genau dieses für alle Sichtbarwerden zwingt die verantwortlichen Führungskräfte, etwas zu tun. Denn spätestens jetzt kommt der Handlungsdruck oben – sprich der übergeordneten Führungskraft.
Über lange Zeit kann ein Konfliktverdrängen für alle Beteiligten als unausgesprochener Kompromiss funktionieren. Alle leiden, aber keiner spricht das Thema an. Das ist auch eine bequeme Konflikthaltung. Und lässt allen Konfliktparteien die Möglichkeit offen, die Schuld an der Misere beim Gegenüber zu suchen. Bis es kracht …
Ein wechselseitiges Harmonie-Angebot als Kompromiss
Aber auch das moderierte Konfliktgespräch ist keine Garantie dafür, dass endlich die lange schwelenden Themen auf den Tisch kommen. Immer wieder ist man als Konfliktberater erstaunt darüber, mit welcher Nicht-Dynamik diese Gespräche beginnen. Die hochemotionalen Einzelgespräche mit den jeweiligen Konfliktparteien im Vorfeld, gefüllt mit massiven Schuldzuweisungen an die Gegenpartei, scheinen nie stattgefunden zu haben.
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Das ist jene Haltung, mit der viele in dieses Gespräch gehen. Zeigen, dass man gesprächsbereit ist, aber hoffen, dass es schnell wieder vorüber ist und alle ihrer Wege gehen. Der unausgesprochene Kompromiss dahinter – „Tust du mir nichts, dann tue ich dir nichts.“ Das Grundbedürfnis nach Harmonie wird hier besonders gut sichtbar.
Als Konfliktmoderator tut man gut daran, dieses beobachtete Verhalten anzusprechen und aufzuzeigen. Dadurch kann der entscheidenden Impuls für die notwendige Gesprächsdynamik eingebracht werden. Nicht um eine weitere Eskalation zu provozieren, sondern um ein nochmaliges Ausweichen zu verhindern. Und um einen faulen Kompromiss zu vermeiden.
Der faule Kompromiss als Lösung mit Brisanz
„Der Kompromiss ist die kleinste gemeinsame Niederlage.“ Dieser Satz eines unbekannten Autors macht deutlich, dass in der Konfliktarbeit genau darauf zu achten ist, welche Motive hinter einer Kompromisslösung stehen. Ist in der dieser Situation nicht mehr möglich, oder wird hier erneut versucht, einer notwendigen Auseinandersetzung auszuweichen?
Die Bereitschaft zum Kompromiss scheint auch ein Produkt unserer Harmoniesucht zu sein. Menschlich ist das verständlich. Wer allerdings nie gerlernt hat seinen Standpunkt zu vertreten, wird Konflikten immer ausweichen. Und nimmt damit beiden Seiten die Möglichkeit, an sich dem Thema zu stellen. Mit fatalen Folgen für den weiteren Verlauf …
Ein Konflikt, der nur an der Oberfläche bearbeitet und mit einem faulen Kompromiss beendet wird, führt dazu, dass dieses Thema erneut hochkocht. Dann ist die Ausgangssituation allerdings noch schwieriger. Manchmal ist es daher besser, in einem Streitfall klar Position zu beziehen. Und diese auch dann nicht aufzugeben, wenn sich keine Lösung abzeichnet.
„Der erste Verdruß ist der Beste.“ Diese überlieferte Volksweisheit zeigt, dass es oft erst ein reinigendes Gewitter braucht, bevor nachhaltige Konfliktösugen möglich sind.
„Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.“
(Aristide Briand, franz. Politiker, Friedensnobelpreis 1926)
Tipp zum Thema
- Lehrgang: Ausbildung zum internen Konfliktlotsen/-berater
- Start: 10jan2017
- Anbieter: seminarconsult
- Lehrgangs-Leitung: Harald Schmid
Der Kompromiss | Konfliktlösung oder gemeinsame Niederlage?