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Handlungspielraum – zentral für psychische Gesundheit | Konkrete Tipps

08Mai2017
5 min
psychische-gesundheit

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Handlungsspielraum ist ein zentrales Merkmal für psychische Gesundheit und psychologisch gesunde Arbeitsbedingungen. Die Wahl zu haben und selbst entscheiden zu können, ist für uns Menschen extrem wichtig. Holen Sie sich hier Tipps, was Sie als Führungskraft dazu beitragen können.

Stellen Sie sich vor: Sie kommen in der Früh ins Büro, setzen sich an Ihren Schreibtisch. Ab jetzt ist alles vorgegeben. Sie haben eine Liste mit Aufgaben, welche Sie in der vorgegebenen Reihenfolge abarbeiten müssen. Sie haben dafür eine Software, die Sie nicht verändern oder anders verwenden können. Die Software fragt Sie genau nach den notwendigen Daten, die Sie aus einer Liste abschreiben. Wenn ein Anruf von einem Kunden kommt, nehmen Sie dessen Daten auf und geben Sie Ihrer Chefin, welche dann über die weitere Vorgehensweise entscheidet und selbst zurückruft.

Ein Horror, oder?

Das liest sich jedenfalls wie ein Job, bei welchem das Engagement und die Kreativität im Keim erstickt werden. Und so ist es auch. Wir benötigen Wahlfreiheiten um psychisch und körperlich gesund zu bleiben.

Wissenschaftlich bestätigt

Nach dem wissenschaftlich bestätigten „Job-Characteristics-Modell“ von Hackman & Oldham (1980) lautet die Formel für das Motivationspotential eines Jobs wie folgt:

 

psychische Gesundheit, 1

Man sieht hier, dass Rückmeldung und Autonomie zentrale Punkte für psychische Gesundheit sind, die immer erfüllt werden sollten. Sinkt einer der beiden Aspekte auf Null, dann sinkt auch das Motivationspotential auf Null!

Ein wichtiges Modell in Zusammenhang mit psychischer Gesundheit ist auch das Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek (1979). Es unterscheidet 2 Dimensionen: Arbeitsanforderungen und Handlungsspielraum. Diese bilden durch ihre Ausprägungen vier mögliche Typen von Jobs:

 

psychische Gesundheit 2

Tätigkeiten mit hohen Arbeitsanforderungen und gleichzeitig geringem Handlungsspielraum wirken sich negativ aus und führen zu Stress. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen … und minimiert die Wahrscheinlichkeit für psychische Gesundheit.

Psychische Gesundheit: Fehlender Handlungsspielraum macht krank

Wissenschaftlich ist der Zusammenhang zwischen Handlungsspielraum und körperlicher Gesundheit klar bestätigt, vor allem bei der fordernden Jobs.

Personen in Jobs mit hoher Anforderung und geringem Handlungsspielraum haben einen signifikant höheren Blutdruck (systolisch und diastolisch) während der Arbeit. Bei Männern zieht sich das auch in die Privatzeit und in den Schlaf hinein.

Handlungsspielraum ist auch der stärkste positive Einflussfaktor auf Kreativität. Sollen die Mitarbeiter also ab und kreativ sein, so sollten auch Tätigkeitsspielräume, insbesondere der Entscheidungsspielraum, vorhanden sein.

Autonom zu handeln ist auch wichtig für alternsgerechtes Arbeiten. Mit den Jahren der Berufserfahrung haben die Mitarbeiter immer mehr Wissen und Erfahrungen, welche Abläufe gut sind oder verbesserungswürdig. Sie kennen die Organisationskultur und auch die impliziten Spielregeln. Sie dann ohne Handlungsspielraum arbeiten zu lassen ist Verschwendung von Wissen und Verbesserungspotential.

Autonomie stärkt auch das Selbstwertgefühl und zeigt Selbstwirksamkeit auf. Wenn die Mitarbeiter autonom arbeiten können, steigert dies auch die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Man fühlt sich nicht bedeutungslos.

Beispiel:

In der Personalabteilung eines Industriebetriebs erzählten die Mitarbeiter, dass sie auch nach 10 Jahren Berufserfahrung auch bei einfachen Fragen (zu Abrechnungen, zu Gehaltseinstufungen) noch unsicher sind, ob sie direkt Auskunft geben dürfen. Sie werden dafür oft von der Chefin kritisiert, egal ob die Auskunft richtig war oder nicht und müssen immer vorab Rücksprache halten. Die Chefin ist auch diejenige, die alle Arbeitsschritte auf die Mitarbeiter aufteilt. Es ist nicht vorgesehen, dass sich die Mitarbeiter gegenseitig aushelfen bei ungleichmäßiger Arbeitsverteilung. Die Mitarbeiter wirkten sehr demotiviert und erzählten von großen Schwierigkeiten, sobald die Chefin nicht anwesend war. Die Mitarbeiter waren es einfach nicht gewohnt, dann selbstständig kleinere Entscheidungen zu treffen.

Die Chefin hingegen beklagte sich über zu viel Arbeit und schien selbst sehr gereizt aufgrund der Arbeitsüberlastung.

Was würden Sie der Chefin raten?

Psychische Gesundheit – konkrete Tipps | Was kann ich als Führungskraft tun?

Betrachten wir dazu die verschiedenen Aspekte von Handlungsspielraum. In jeder Organisation, bei jedem Job werden Sie Ihren Mitarbeitern unterschiedliche Formen von Autonomie geben können:

  1. Lassen Sie den Mitarbeitern Wahlmöglichkeiten bei der Vorgehensweise und lassen Sie sie entscheiden wie sie eine Aufgaben erledigen.
  2. Lassen Sie die Mitarbeiter die Arbeitsmittel selbst aussuchen. Das beginnt beim Kugelschreiber und geht bis zur Software. Kann der Software-Benutzer Einfluss nehmen auf die Oberfläche und deren Aufbau (Welche Dialoge sind sichtbar? Welche Benachrichtigungen kommen?)?
  3. Gehen Sie den Mitarbeitern die Freiheit sich Interaktionen selbst aussuchen zu können. (Mit wem spreche ich dazu und in welcher Form? Von wem hole ich mir die Information? Welche Kunden oder Interessenten möchte ich ansprechen?)
  4. Flexible zeitliche Arbeitsorganisation und flexible Pausengestaltung sind auch eine Art von Freiheit. Bieten Sie flexibles Home-Office und Gleitzeit an.
  5. Lassen Sie Mitarbeiter Entscheidungen selbst treffen. Sie sollten zumindest in einem gewissen Rahmen Aufgaben festlegen können und sich auch bewusst gegen Aufgaben entscheiden zu können. Lassen Sie das Team die Arbeit selbst organisieren. Probieren Sie das zunächst aus, wenn ein neues Projekt oder eine neue Aufgabe aufgeteilt werden muss. Binden Sie dazu nicht nur Sachbearbeiter, sondern auch das Sekretariat ein.
  6. Können einschränkende Vorschriften und Aufgaben mitunter weggelassen werden? Beispielsweise wird oft das statistische Erfassen der Arbeitsaufgaben als mühsam und ohne Konsequenzen empfunden.
  7. Lassen Sie die Mitarbeiter selbstständig Ziele setzen, auch beispielsweise im Rahmen der übergeordneten Organisationsziele.

Autonomie kann von jeder Führungskraft gewährt werden. Auch bei umfassenden Vorgaben durch Konzern, bei Null-Fehler-Kulturen oder bei strikten Organisationsstrukturen. Sie glauben das nicht? Fragen Sie mal Ihre MitarbeiterInnen, in welchen Aspekten diese gerne mehr Freiheiten und Entscheidungsspielraum hätten.

Spielräume geben – Motivation gewinnen

Ermöglichter Handlungsspielraum wird auch oft als Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens seitens der Führungskraft angesehen.

Handlungsspielraum zu geben ist eine Kernaufgabe für Führungskräfte, denn Führen heißt auch Loslassen. Betreiben Sie kein Mikromanagement indem Sie alles vorgeben. Setzen Sie die großen Ziele und Prioritäten. Erklären Sie die Hintergründe. Und lassen Sie Ihre Leute dann arbeiten.

Das ist auch gut für Sie als Führungskraft. Sie laufen weniger Gefahr an Burnout oder anderen Stressreaktionen zu erkranken. Sie haben mehr Kapazitäten für wichtigere Aufgaben.

Mitarbeiter sich selbst überlassen?

Autonomie bedeutet jedoch nicht die Mitarbeiter allein zu lassen, sich sozial zu istanzieren oder sich als Führungkraft zu isolieren. Feedback ist gerade bei autonomem Arbeiten wichtig!

Achten Sie auch darauf, dass durch die Erweiterung des Handlungsspielraums nicht notwendige Sicherheiten (große Ziele, Arbeitsplatzsicherheit, Eingebundenheit in eine Gemeinschaft) wegfallen.

Viel Erfolg beim Umsetzen!


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