Wessen Verantwortung ist es, dass betriebliche Gesundheitsförderung umgesetzt wird und Mitarbeiter fit sind / bleiben / werden? Müssen Unternehmen vieles / alles daran setzen, fitte Mitarbeiter zu haben? Und darüber hinaus: Erhöht körperliche Aktivität – zusätzlich zum Arbeitspensum – eventuell die Gesamtlast für den einzelnen Mitarbeiter und intensiviert so den Stress?
Fragen über Fragen, die ich an meine Interview-Runde weiterreiche:
Experten-Interview
In wie fern sollte das Unternehmen darauf achten, dass sich die Mitarbeiter körperlich fit halten?
Mag. Regina Nicham (IBG): Wenn man von diesem ganzheitlichen Ansatz ausgeht, ist es für Unternehmen wichtig und für ihre Mitarbeiter profitabel, Maßnahmen auf beiden Ebenen anzubieten und zu ermöglichen daran teilzunehmen. Die Mitarbeiter können dann im Sinne der Eigenverantwortung entscheiden, in wie weit sie diese in Anspruch nehmen möchten.
Ich sehe es aber nicht als die Verantwortung von Unternehmen oder Führungskräften, dass sich die Mitarbeiter fit halten. Auch können, wie gesagt, Unternehmen und Führungskräfte die körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden nur bedingt beeinflussen. Es ist wichtig, Maßnahmen anzubieten und als Führungskraft vielleicht auch hier immer wieder Vorbild zu sein, neugierig zu machen und auch von sich selbst zu erzählen.
Mag. Gernot Kampl, MA (IEPB): Freiwilligkeit ist das Um und Auf, sonst erreichen Sie das Gegenteil des erwünschten Zwecks. Optimal wären vielfältige, niederschwellige, kostengünstige bis kostenlose Angebote. Ideal sind auch Schnupperangebote, damit Neues unverbindlich ausprobiert werden kann. Größere Betriebe können ihr Intranet nutzen, um darauf eine Plattform für Gleichgesinnte zu entwickeln, die damit z.B. gemeinsame sportliche Aktivitäten in den unterschiedlichsten Sportarten organisieren können. So wird die physische Aktivität gefördert, gleichzeitig aber auch der abteilungsübergreifende firmeninterne Zusammenhalt, etwas, woran es in vielen Betrieben mangelt.
Der Tischtennistisch o.ä. für die sportliche Pausengestaltung ist zwar auch eine nette Idee, allerdings müssen dann auch die Rahmenbedingungen stimmen (Duschmöglichkeit, ausreichend lange Pausen).
Mag. Renate Strommer ASO & WiLAk): Psychische Belastungen wirken auf den Körper und Gesundheitszustand. Daher hat die Organisation die Verantwortung, darauf zu achten. Eine Gallup Studie aus 2013 zeigt, dass 85 % der Arbeitnehmer sich dem aktuellen Arbeitgeber nicht verpflichtet fühlen, 61 % machen Dienst nach Vorschrift. Als Hauptgrund wird der direkte Vorgesetzte genannt. Dies lässt auf eine enorme psychische Belastung schließen, mit langfristigen Auswirkungen auf Körper und Geist.
Als Unternehmen kann ich natürlich unterstützende Angebote auf der Fitness-Ebene machen.
Beispiel 1: Wie kann der Mitarbeiter seine Pause sinnvoll zur Entspannung und körperlichen Fitness nutzen? In der Beantwortung dieser Frage liegt das Potential des Angebotes des Unternehmens. An der Praktikabilität und Attraktivität des Angebots hängt die Annahme und Umsetzung durch den Mitarbeiter.
Beispiel 2: In einer Studie über die Zusammenhänge von Kohlenhydraten und Bewegung wurde nachgewiesen, dass Bewegung in engem Zusammenhang mit Essen und Nährstoffaufnahme und –verarbeitung von Kohlenhydraten zu verstehen ist. Eine Organisation, die Essen in einer Kantine anbietet, müsste auch das Gegenstück Bewegung anbieten und zwar vor dem Essen.
Erhöht körperliche Aktivität – zusätzlich zum Arbeitspensum – eventuell die Gesamtlast für den einzelnen Mitarbeiter und intensiviert so den Stress?
Mag. Pia Kasa (Wings4minds): Das kommt auf die Arbeit selbst an. Wenn es sich um Büromitarbeiter handelt, bzw. um Mitarbeiter, die hauptsächlich sitzen oder stehen, verbessert körperliche Aktivität die Leistungsfähigkeit. Handelt es sich um Arbeitsplätze mit hoher Aktivität z. B. am Bau, brauchen die Mitarbeiter einen anderen Ausgleich, nämlich zur Ruhe kommen durch Entspannung.
Mag. Brigitta Giselbrecht (bGesundheitsmanagement): Eine erhöhte Aktivität erhöht die Gesamtlast der einzelnen Mitarbeiter und somit den Stress nicht, solange der Mitarbeiter es nicht übertreibt. Wenn am ganzen Tag nur am Tischfußballtisch „gearbeitet“ wird, muss die „verlorene“ Zeit unter Zeitdruck eingeholt werden. Wenn am ganzen Tag volle Leistung erbracht wurde, und dann noch zum Training hecheln muss, dann erhöht die körperliche Aktivität das Stresserleben. Jedoch kommt es wieder auf Dosis und Relevanz an. Einmal zum Training hinstressen, erhöht die Gesamtlast mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Wenn man sich eine Ausgleichsaktivität als fixen Bestandteil der Woche einplant, beugt man schon einiges vor. Daher hat körperliche Aktivität eher eine höhere gesundheitsförderliche Auswirkung.
Mag. Renate Strommer ASO & WiLAk): Mit welcher Motivation und wie betreibe ich körperliche Aktivität? Unterstütze ich meine Antreiber und verstärke die Wirkung dieser Antreiber durch meine Einstellung, mit der ich körperlich aktiv bin, dann erhöht sich die potentielle Gefahr der Überforderung. Ein Beispiel: Mein Leistungsdrang betrifft nicht nur mein Arbeitsleben, sondern auch wie und welchen Sport ich betreibe, wie ich Beziehungen gestalte und lebe, …. Hier liegen blinde Flecken, die ohne Begleitung nicht transparent werden.
Körperliche Aktivität kann Entspannung und Entlastung bringen. Ich sollte mir bewusst machen, wie ich das schaffe bzw. gestalte.
Mag. Eva-Maria Schneider (Achtsames Atmen): Wie viel körperliche Aktivität angemessen ist und nicht zur Überforderung beiträgt, ist individuell verschieden. Manche Mitarbeiter benötigen ein Mittagsschläfchen, anderen hingegen geht es besser, wenn sie zu Fuß in die Kantine gehen, anstatt mit dem Lift zu fahren. Der Mitarbeiter sollte selbst einschätzen können, was an zusätzlichen Fitness-Angeboten für ihn Sinn macht. Selbstverständlich hat die Führungskraft Obsorge-Pflicht und muss sich einschalten, bevor ein Mitarbeiter überfordert wird.
Mag. Regina Nicham (IBG): Bezogen auf Stressbewältigung bzw. –prävention ist körperliche Aktivität prinzipiell eine gute und empfehlenswerte Möglichkeit sich auszugleichen, negative Energie abzugeben sowie Positiv aufzutanken. Nicht zu vergessen, körperliche Aktivität heißt nicht automatisch Sport zu betreiben. Damit kann ein Spaziergang, Stiegen statt Aufzug, also allgemeine Alltagsbewegung genauso gemeint sein. Auch während des Arbeitsalltages sind körperliche Betätigungen als aktive Kurzpausen ein guter gesunder Ausgleich. Natürlich soll die körperliche Aktivität nicht als zusätzliche Belastung oder Stressfaktor ausarten – dann würde es eher den Stress intensivieren und weniger als Entlastung und Entspannung erlebt werden. D.h. es darf auch mal sein, dass man körperliche Aktivität gerade in einer sehr stressigen Arbeitsphase weniger als Entlastung sieht, sondern mehr Bedarf nach Ruhe und Passivität hat. Wenn die körperliche Aktivität sowie ein Nachlassen der Energie und Motivation für körperliche Betätigungen über einen längeren Zeitraum (z.B. 6 Monate) nachlassen bzw. wegfallen, dann kann das auch ein Warnsymptom für eine erhöhte Belastung und Erschöpfung sein.
Haben Sie ein paar Studienergebnisse für mich?
Mag. Brigitta Giselbrecht (bGesundheitsmanagement): Aktuelle Studienergebnisse bestätigen, dass 91% der Mitarbeiter in Deutschland sich regelmäßiges und ehrliches Feedback von ihren Führungskräften sowie Wertschätzung und Anerkennung für ihre Leistungen wünschen. 88 % der Befragten gaben an, sie wären zufriedener im Job, wenn ihre Chefs öfter Interesse an ihnen als Person zeigen würden. Das ist das Ergebnis der Studie ‚Jobzufriedenheit 2017‘, die von der ManpowerGroup Deutschland durchgeführt wurde. (Quelle: managerSeminare 232 vom 23.06.2017)
In einem meiner letzten Projekte haben wir mit einer Kurzbefragung und einer kurzen Zeitspanne ca. 800 Mitarbeiter befragt: „an welchen betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen würden sie in ihrem Unternehmen gerne teilnehmen?“ In der Vorphase wurde ein Maßnahmenkatalog von ca. 25 Maßnahmen erstellt, aus denen sie wählen durften. Es gab für das Unternehmen überraschenderweise eine enorme Rückmeldungsquote. Es gab mehr als 2000 Maßnahmen-Votes. Die Verantwortlichen in einem Unternehmen können und sollen lenken und steuern, aber es ist wichtig, dass die Mitarbeiter beitragen können („ihren Senf dazu geben können“). In unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft ist es wichtig und wird für die zukünftige Mitarbeitergeneration (Millennium Generation) immer wichtiger, die Meinung der Anderen zu erfragen und gehört zu werden. Durch die dadurch entstandene Kommunikation entstehen die gesundheitsförderlichen Faktoren wie gegenseitige Einflussnahme und Austausch.
Welche Tipps haben Sie um das Wohlbefinden und die psychische Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu steigern?
Mag. Pia Kasa (Wings4minds):
- Täglich mindestens 5 Minuten lachen und wenn Sie allein vor dem Spiegel stehen und lachen
- Freundlich sein – dann kommt auch die freundliche Gegenreaktion, sei es wenn Sie im Auto in der U-Bahn oder an der Kassa sind
- Positive Seiten von z. B. Entscheidungen wahrnehmen und hervor streichen, statt zu nörgeln.
Noch ein paar Tipps für Führungskräfte:
- Nehmen Sie Ihre Mitarbeiter wahr – hören Sie aktiv zu, fragen Sie nach
- Nehmen Sie die Stärken der Mitarbeiter wahr und geben Sie ganz konkretes Feedback
- Sagen Sie oft danke und begründen Sie es wofür
- Beginnen Sie Ihre Meetings mit: was war seit dem letzten Meeting gut? Was konkret hat wie funktioniert?
Sie werden sehen, wie sich das Klima verändert und das Engagement steigt. Und zusätzlich sinken die Abwesenheitsrate und die Krankheitsquote und Ausfälle.
Die Gesprächspartner für BGF / Betriebliche Gesundheitsförderung
Betriebliche Gesundheitsförderung | Mehr körperliche Aktivität = gesamt mehr Stress?
Mag. Pia Kasa wings4minds Kasa KG Mag. Gernot Kampl, MA Institut zur Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz GmbH (IEPB) Mag. Regina Nicham IBG Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH Brigitta Giselbrecht bGesundheitsmangagement Mag. Renate Strommer ASO & WiLAk GmbH Eva-Maria Schneider Achtsames Atmen |