Ein Persönlichkeitstest ist ein wunderbares Werkzeug – sowohl als berufliche und/oder private Hilfestellung als auch zur Schubladisierung. Mir geht es heute um den beruflichen Kontext, um das Zusammenspiel von Teams, um die positiven Auswirkungen wenn die Teammitglieder ein wenig besser wissen, wer die Person gegenüber eigentlich ist.
Meine konkretes Beispiel: Ein – undefiniert großes – Team soll besser, schneller, reibungsloser, glücklicher (!) zusammenarbeiten und investiert daher Zeit in ein Teambuilding. Unterstützend soll bereits im Vorfeld jedes Teammitglied einen Persönlichkeitstest durchführen, doch manchen Teilnehmern steht die Skepsis deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein Persönlichkeitstest ist nicht so ihr Ding, denn Schubladisierung kann nicht glücklicher machen.
Persönlichkeitstest – mehr als Schubladisierung
Mit diesem Thema wende ich mich an eine Experten-Runde, die ich zum Interview einlade, meine Gesprächspartner sind einerseits jene, die sich mit Teamentwicklung beschäftigen und andererseits jene, deren Kernkompetenz Potenzialanalysen sind. Beide Gruppen haben einiges zu Persönlichkeitstest zu sagen und bringen auf jeden Fall zahlreiche Erfahrungen und Meinungen mit.
Birgt ein P.-Test die Gefahr einer unzulässigen „Schubladisierung“ der getesteten Teambuilding-Teilnehmer?
Mag. Paul Bischofberger (TeamManufaktur): Ja, das ist tatsächlich ein großes Thema, wir haben das – leider – oft genug beobachtet. Diesem Phänomen entgeht man nur bei jenen Teams (bzw. Teilnehmern), die Persönlichkeitstests von vorneherein eher skeptisch gegenüber stehen und dementsprechend die Testergebnisse mit einer gewissen nüchternen Distanz betrachten. Hier steht man wiederum vor der Herausforderung, dass ebendiese (skeptischen) Teilnehmer den jeweiligen Test – wenn überhaupt – mit hoher Wahrscheinlichkeit nur sehr oberflächlich ausfüllen und die Ergebnisse folglich kaum sinnvoll interpretierbar sind.
Alles Gründe, die aus unserer Sicht in der Regel gegen den Einsatz von einem Persönlichkeitstest in einer Team-Entwicklungs-Veranstaltung sprechen.
Ing. Christian Koudela, MA, MSc, MBA (GfP – Gesellschaft für Personalentwicklung): Das kommt darauf an, wie diese Tests von den Trainern vorgestellt und eingeführt werden. Je eher diese als „das ist deine Persönlichkeit“ vermittelt werden, desto höher die Chance zur Schubladisierung und damit auch zur Stigmatisierung. Daher bevorzuge ich jene Analysen, die sich nicht auf die Persönlichkeit, sondern auf das Verhalten beziehen – dann das ist immer vom Kontext abhängig.
Mag. Josef Wegenberger, CMC (Gesellschaft für Wirtschaftspsychologie und Organisationsdynamik): Ein Team ist eine Zweckgemeinschaft, welches auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist, es geht dabei um den Umgang mit dem Anderssein, die anderen Teammitglieder sind anders, haben eine andere Ausbildung, andere Erfahrungen in ihrem Leben gemacht, ein anderes Geschlecht, sind jünger/älter, haben andere [Lebens]einstellungen, sind durch andere Kulturen geprägt, … und genau diese Vielfalt lässt sich nicht in 5 Typen einteilen.
Testergebnisse sind immer sensible Daten, sei es in der Auswahl, der Karrierediagnostik oder auch der Teamentwicklung, darum sehen die entsprechenden Normen [DIN, ISO] vor, dass Testanwender speziell auf die Anwendung der entsprechenden Verfahren und damit auch auf den Umgang mit den Ergebnissen, geschult sind.
Noch etwas?
Petra Schulte (USP-D Consulting): Wenn wir im Team-Prozess zulassen, dass Teilnehmer an ihren Einzelergebnissen festgemacht werden, entstehen Messungen und Zuordnungen – diese währen länger, als der Teambuilding-Prozess selbst. Der Nutzen des scheinbaren Verstehens durch Schubladisierungen ist bei weitem geringer, als die durch sie erlaubte Stigmatisierung, die sich sofort weit über die Teamgrenzen hinaus kommuniziert. Hat das Team hingegen die Chance, sich durch die Auswertung als Einheit – gern fragmentiert, widersprüchlich und polarisiert, aber eine auf einander bezogene und ein Bild abgebende interdependente Gruppe – zu erleben, helfen auch banale Schubladen, um sich einander zu nähern. Sie werden nämlich in der weiteren Auseinandersetzung wohlwollend versprachlicht und wieder aufgelöst.
Mag. Petra Koinig (ITO Individuum Team Organisation): Wahrnehmung beruht – ob wir dies wollen oder nicht – auf der Fähigkeit, Muster zu erkennen, einer grundlegenden Funktion des menschlichen Gehirns, so suchen wir ständig nach Übereinstimmungen, um neue Informationen in bereits vorhandene besser einordnen zu können und nehmen unbewusst subjektiv „Schubladisierungen“ vor. Wenn Tests oder andere Analysemethoden im Vorfeld eingesetzt werden, dient dies gerade dem Aufbrechen und Bewusstmachen von Mustern oder “Schubladisierungen“ sowie der Reflexion der dahinterliegenden Annahmen.
Mag. Nathalie Karré, MBA (ACCELOR): Die Gefahr von Schubladisierungen ist bei Typenbasierten Tests größer, die z.B. von „rotem oder gelbem Typ“ sprechen. Diese Verfahren sind allerdings nicht mehr zeitgemäß und auch von der psychologischen Forschung nicht mehr empfohlen. Von solchen empirisch nicht abgesicherten Verfahren, die einen hohen Interpretationsspielraum in der Auswertung zulassen, rät auch die Schweizer Fachgruppe für Diagnostik ab (erwähnte Verfahren sind z.B. MBTI oder DISG). Bei zeitgemäßen, erprobten Verfahren, die Persönlichkeit mehrdimensional abbilden, besteht diese Gefahr nicht.
Was noch?
Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Nein. Die Persönlichkeit eines Menschen umfasst die Gesamtheit seines Wesens – sein Denken, seine Gefühle, seine Erfahrungen und Wertvorstellungen, sowie alle seine Eigenschaften und Begabungen. Diese Einmaligkeit und komplexe Vielfalt bestimmen maßgeblich das Handeln und Tun einer Person. Qualitativ hochwertige Persönlichkeitstests bilden diese Gesamtheit der Persönlichkeit in vielen Dimensionen ab und Tatsache ist, dass keine Person der anderen gleicht. Durch die unterschiedlichen Ausprägungen und deren Verhältnis zueinander entstehen unendlich viele Möglichkeiten, die grundlegend verschieden sind.
Eine Schubladisierung ist auch deshalb kein Thema, weil es bei diesen – wissenschaftlich fundierten – Instrumenten kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Es gibt Ausprägungen und eine eindeutige, wertfreie Interpretation davon. Leider gibt es eine Anzahl von Instrumenten, die wissenschaftlich nicht fundiert sind oder nur eines der wichtigen Qualitätskriterien aufweisen. Die Kunst liegt darin für die eigenen Bedürfnisse die beste Lösung zu finden – John Ruskin (engl. Sozialreformer) formuliert in seinem „Gesetz der Wirtschaft“ sehr treffend „Es gibt kaum etwas auf der Welt, das nicht irgendjemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften.“
Mag. Ursula Autengruber (Autengruber Consulting): Bei jedem ersten Eindruck erfolgt eine Schubladisierung – das Structogram-Trainingssystem bietet eine Orientierung und die Möglichkeit, den ersten Eindruck systematisch zu überprüfen. Im Workshop wird genau darauf geachtet, dass es zu keiner Schubladisierung kommt. Dazu gibt es zahlreiche Gruppenarbeiten mit wechselnder Zusammensetzung.
Ein Dank an meine Interview-Runde, die sich sowohl aus Teamtrainings-Experten als auch aus Potenzial-Analyse-Profis zusammensetzt. Obwohl ich hier bereits viel erfahren habe, liebäugle ich damit, das Thema ein wenig zu vertiefen. Deshalb werde ich bald die nächste Interview-Runde einläuten. Auf jeden Fall noch im nov2017.
Die Gesprächspartner: Persönlichkeitstest sowohl aus Potenzialanalyse- als auch aus Teamentwicklungs-Sicht.
Persönlichkeitstest | Wertvolle Hilfe versus Schubladisierung.
Mag. Bernhard Dworak Master Human Resources Consulting GmbH Mag. Paul Bischofberger TeamManufaktur GmbH Mag. Petra Koinig ITO Individuum Team Organisation GmbH Petra Schulte USP-D Consulting GmbH Ing. Christian Koudela, MA, MSc, MBA GfP – Gesellschaft für Personalentwicklung GmbH Mag. Josef Wegenberger, CMC GWO – Gesellschaft für Wirtschaftspsychologie und Organisationsdynamik Mag. Ursula Autengruber Autengruber Consulting Mag. Nathalie Karré, MBA ACCELOR Consulting & Business Development GmbH |
Ich danke den Interviewpartnern sowohl für ihre Geduld als auch ihre Expertise.