In vielen Unternehmen stehen Anfang jeden Jahres Mitarbeitergespräche auf dem Plan, in denen es darum geht, Ziele zu vereinbaren und sie gemeinsam zu erreichen. Kurzfristig gesehen machen konkrete Ziele ja durchaus Sinn, aber gerade bei langfristigen Angelegenheiten, wie einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit, sind sie völliger Unsinn.
Vor ein paar Jahren hatte ich das Glück, ein paar Stunden im Auto mit einem österreichischen Manager zu fahren, der jahrelang im Silicon Valley gearbeitet hatte und durch einen gelungenen Verkauf seines Arbeitgebers ein paar Millionen Dollar erhielt. Sein damaliger Arbeitgeber war NeXT, und sein Chef zu dieser Zeit hieß Steve Jobs.
Die Millionen investierte der Manager in soziale Projekte und erklärte mir, nach welchen Kriterien er sein Geld veranlagte. Er war der Überzeugung, dass die jährlichen Ziele einer Organisation für sein Investment völlig irrelevant sind. Das Erreichen eines Ziels bringt mit sich, neue Pläne zu schmieden und neue Ziele zu stecken. Wer immer nur seine Ziele vorantreibt, wird bald selbst zum Getriebenen.
Was ist also besser als ein Ziel? Absichten.
Absichten haben eine langfristige Wirkung und erweitern den Horizont, während Ziele kurzfristig wirken und den Blick einengen. Die langfristige Perspektive für ein erfolgreiches Berufsleben einzunehmen, ist deshalb wichtig, weil es unmöglich ist, die Zukunft vorherzusagen, weil sie einfach zu komplex ist. Wir begegnen neuen Menschen, erleben wirtschaftliche Umschwünge, erleiden Schicksalsschläge, berufliche Aufgaben und Anforderungen entwickeln sich, die Konkurrenz bringt ein neues Produkt auf den Markt, oder das Privatleben ändert sich schlagartig von einem Tag auf den anderen.
In unserer schnelllebigen Welt ist es vollkommen unmöglich, kurzfristig nach spezifisch messbaren Zielen zu planen. Auch Google plant nicht länger als ein halbes Jahr im Vorhinein. Eine langfristige Zusammenarbeit mit Mitarbeitern braucht auch breitere Perspektiven, sie braucht Absichten.
Gleichgültig, wie gut Sie planen und wie fokussiert Sie arbeiten, ist es beinahe unmöglich, ein Ziel punktgenau zu treffen, je weiter es entfernt ist. Wer behauptet, das Leben sei eine einfache gerade Linie, kennt nicht den Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
Mit langfristigen, konkreten Zielen zu arbeiten, bedeutet meistens, vom Leben enttäuscht zu werden, weil Ziele zu ganz spezifischen Erwartungen führen. Aber Erwartungen machen Ihr Denken schmal, weil Ihnen das Leben häufig nicht genau das bietet, was Sie sich erwartet haben. Auf andere Menschen wirken Sie dann undankbar.
Wenn Sie etwa erwarten, dass Sie Ihr Partner zu Ihrem Geburtstag zum Essen einlädt und Sie stattdessen ins Konzert mitnimmt, könnten Sie enttäuscht sein und Ihren Partner Ihren Undank spüren lassen. Wenn Sie stattdessen die Absicht äußern, an Ihrem Geburtstag eine schöne Zeit mit Ihrem Partner zu verbringen, gibt es vielfältige Möglichkeiten, Ihre Erwartungen zu erfüllen, was für beide Seiten befriedigender ist. Vielleicht hat Ihr Partner ja auch eine Idee, die noch schöner ist als alles, was Sie sich vorgestellt haben.
Absichten sind das, was für Sie gewollt und sinnvoll ist. All das, was sich innerhalb dieses Bereichs bewegt, kommt für Sie infrage. Schließlich trägt das Leben zahlreiche Gelegenheiten an Sie heran, an die Sie niemals auch nur gedacht haben, sei es neue Aufgaben von Ihrem Chef oder ein Jobangebot von einem Headhunter. Ihre Absichten sind Ihre Entscheidungshilfe, denn sie ermöglichen Ihnen, den richtigen Kurs in Ihrem Leben zu halten. Sie entscheiden aufgrund Ihrer Absichten, was für Sie infrage kommt und welche Angebote Sie ablehnen.
Wie Sie zu Ihren Absichten gelangen
Stellen Sie sich einen Kreis vor, in dessen Mitte Sie selbst stehen. Die 360 Grad um Sie herum sind alles, was möglich ist. Ihr Ziel ist ein einzelner Punkt am Kreisrand, Absichten sind ein ganzes Tortenstück.
Sie gelangen zu Ihren Absichten, indem Sie in Gedanken in Ihre eigene Vergangenheit zurückgehen und sich die schönsten und schrecklichsten Erlebnisse Ihres Lebens in Erinnerung rufen. Dann vervollständigen Sie folgenden Satz: „Weil ich diese Geschichte erlebt habe, habe ich von nun an für den Rest meines Lebens die Absicht, …“
Zum Beispiel: Mit etwa 20 Jahren gab ich ein Klavierkonzert, bei dem ich eine Rhapsodie von Franz Liszt zum Besten gab. Als ich den Schlussakkord spielte, fand ich, dass ich dieses Stück noch nie zuvor so gut gespielt hatte. Ich stand auf, um mich zu verbeugen, und war freudig überrascht und bewegt, als ich vom Publikum Standing Ovations erhielt. Weil ich dieses Erlebnis hatte, habe ich für mein Berufsleben die Absicht gefasst, möglichst oft auf einer Bühne zu stehen, bei dem mir das Publikum zuhört, meine beste Leistung abzurufen und am Schluss den Applaus zu ernten. Das bewegende Gefühl vom Klavierkonzert damals hole ich mir heute als Speaker und Lektor.
Ein anderes Beispiel, diesmal negativer Art: Als mein früherer Arbeitgeber vor einigen Jahren in Konkurs ging, war die Zeit der Arbeitslosigkeit für mich schrecklich. Obwohl ich nur 9 Wochen ohne Job war, wusste ich während dieser Zeit nicht, wie ich als junger Familienvater meine kleine Familie ernähren sollte. Weil ich in dieser Phase erlebt habe, wie sehr mich mein berufliches Netzwerk bei der Jobsuche unterstützt hat, habe ich die Absicht gefasst, die Vertrauensbeziehung zu allen Menschen in meinem beruflichen Umfeld noch stärker zu pflegen.
Alle Absichten, die Sie sich bewusst machen, geben Ihnen den Rahmen für ein erfolgreiches und erfülltes Leben vor. Alles, was innerhalb dieses Rahmens geschieht, ist ein Erfolg, ob es einem konkreten Ziel entspricht oder nicht. Wenn Sie die Absicht gefasst haben, ein Leben in Reichtum und Fülle zu führen, spielt es keine Rolle, ob Sie das Geld mit Arbeit erwirtschaftet, reich geheiratet oder im Lotto gewonnen haben.
Das Leben eröffnet Ihnen vielfältige Chancen, mit oder ohne Ihr Zutun. Ihre Absichten helfen Ihnen bei der Entscheidung, was davon einen Platz in Ihrem Leben haben soll, damit Sie Ihr Leben ganz nach Ihren Vorstellungen führen können.
Wenn Sie also das nächste Mal mit Ihren Mitarbeitern das Jahresgespräch führen, stellen Sie sicher, dass Sie nicht nur über die kurzfristigen, jährlichen Ziele sprechen, sondern auch die Perspektive erweitern und mittel- bis langfristige Absichten diskutieren.
Warum Ziele langfristig keinen Sinn machen