HR-Tagung-18, 15feb2018, Veranstalter: Netzwerk Humanressourcen
Fotos: © Veronika Jakl
Die diesjährige HR-Tagung in Linz stand im Zeichen der Digitalisierung im HR-Management. Der Megatrend unserer Zeit verändert unser gesamtes Arbeitsleben und das Personalwesen muss und wird sich daran anpassen. Apps, künstliche Intelligenz (AI), Chatbots, Industrie 4.0 und IoT haben die Arbeitswelt bereits verändert und die Veranstaltung wagte einen Blick in die digitale Zukunft.
Vor allem das Einsparungspotential, die Beschleunigung und die Erleichterung durch digitale Abläufe ziehen HR-Verantwortliche an. Aber technische Allmachtsfantasien treffen auf soziale Bedürfnisse von Menschen.
HR goes digital
Prof. Sven Laumer (Universität Erlangen-Nürnberg) sprach über die Digitalisierung der Rekrutierung. Als Treiber sieht er v.a. Social Media, die technische Entwicklungen bei Smartphones (Stichwort: Mobile Recruiting), die Vernetzung von Daten und künstliche Intelligenzen. Das Recruiting der Zukunft sieht er einerseits bei „job recommender“ (AI empfiehlt Kandidaten passende Stellen vgl. XING, LinkedIn) und andererseits bei „staff recommender“ (AI empfiehlt dem Unternehmen Kandidaten aufgrund von online frei erhältlichen Daten).
Die aktuellen deutschen Studien „Recruiting Trends 2017“ und „Bewerberpraxis 2017“ zeigt die bisherige Verbreitung und die Akzeptanz dieser Methoden bei Unternehmen und Kandidaten. Fazit: Social Media ist mittlerweile wichtiger für die Verbreitung von Stellenanzeigen als Printmedien. Unsere Smartphone-Gewohnheiten erhöhen auch die Ansprüche der Kandidaten hinsichtlich Geschwindigkeit der Kommunikation.
Dr. Martin Kuhlmann (Universität Göttingen, Foto unten) warf einen arbeitssoziologischen Blick auf die Thematik. Die Auswirkungen der Digitalisierung (z.B. Qualifikationsanforderung) werden auf verschiedenen Arbeitsplätzen sehr unterschiedlich sein und sind von Hierarchieebene und Industriezweig abhängig. Er geht davon aus, dass die veränderten Anforderungen an betriebliche Führung Führungskräften eher Angst macht. Insgesamt stellte Kuhlmann fest, dass Arbeitsgestaltung aktuell ein Expertenthema ist und die innerbetrieblichen Akteure noch zu wenig involviert werden. Diese interne Kooperation ist jedoch ein Knackpunkt bei der Umsetzung. Er sieht daher die strategische Führungskräfteausbildung und -begleitung als wichtige HR-Aufgabe in der Industrie 4.0.
Future Talk
Der Vormittag wurde abgerundet durch eine Podiumsdiskussion mit Unternehmensvertretern und dem Geschäftsführer Werner Pamminger von Business Upper Austria.
Sigrid Leutgeb (Director HR & Communications, BRP-Rotax) unterstrich den vorhandenen „War for talents“. Sie beschrieb auch die unterschiedlichen Datenschutzanforderungen, die internationale Konzerne in Europa im Vergleich zu Nordamerika erfüllen müssen. Sie plädierte auch dafür nicht alle technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, sondern auch ethische Komponenten mitzuberücksichtigen.
Andreas Berger (HR-Director, Rosenbauer International AG) nutzt bislang nur Active Sourcing. Er warf jedoch in den Raum, dass man z.B. gestandene Betriebsschlosser vielleicht immer noch eher über traditionelle Wege findet und nicht über Social Media. Auch zeigte Berger sich skeptisch, dass die perfekte Passung von Bewerbern in ein bestehendes Team über Algorithmen realistisch bewertet werden kann.
Die durchgehende Meinung der Personalisten am Podium war, dass die letzte Personalentscheidung meistens doch das Bauchgefühl trifft und dass das gut wäre.
Christoph Steindl (Geschäftsführer, Catalysts) erzählte zum Thema Mitarbeiterbindung von seinem Standort in Rumänien: Dort erhält jeder Mitarbeiter pro Monat mehrere Jobangebote von der Konkurrenz! Er gibt den Tipp, dass man für die Zielgruppe sichtbar sein muss. Catalysts schafft dieses Employer Branding u.a. mit Coding-Wettbewerben. Das Thema „Passung von Kandidat zu zukünftiger Führungskraft“ ist für ihn kein Thema, da die Firma fast ohne Hierarchien auskommt. Steindl macht klar, dass sinnstiftendes Arbeiten in Zukunft wichtiger wird. Mitarbeiter sieht er als zu mündig an, als dass man ihnen nur Kommandos gibt und sie kontrolliert. Leader müssten große Ziele verständlich hinunterbrechen und so handeln, dass Mitarbeiter ihnen gerne folgen.
Angesprochen auf neue Organisationsformen meint Leutgeb, dass HR in vielen Fällen noch zu reaktiv sei und eher von den Anforderungen der Abteilungen getrieben sei. Die Kultur würde sich jedoch auch verändern müssen in Hinblick auf Flexibilisierung und andere Führungsstile. Berger fügt hinzu, dass das Wissensmonopol der Vorgesetzten aufgebrochen wird und Führungskraft in Zukunft sich öfters rechtfertigen müssen werden für ihr Handeln aufgrund der vorhandenen Transparenz.
Künstliche Intelligenz. Arbeitserleichterung oder unnötiger Aufwand?
Die IT-Schmiede Catalysts gewährte den Teilnehmern Einblicke in das Themenfeld der Künstlichen Intelligenz. Gesichtserkennung, Chatbots und Zukunftsvorhersagen konnten ausprobiert werden.
In vielen Gesprächen und Kommentaren wird klar, dass HR-Verantwortlichen oft Gefühle und Emotionen in Technologien fehlen. Steindl machte mit einem Beispiel klar, wie mehr Technologie auch zu mehr persönlicher Interaktion führen kann. Gerade im Produktionsumfeld sind viele Mitarbeiter ohne Mobiltelefon unterwegs und tragen Schutzausrüstung wie Handschuhe. Mit Gesichtserkennung ist es möglich, Personen zu erkennen, wenn sie an einem Stützpunkt vorbeikommen. Dort werden der Person dann die persönlichen Nachrichten angezeigt, welche z.B. durch Büromitarbeiter an sie versandt wurden.
Sven Semet (Foto unten) von IBM Deutschland betreut IBM Watson Talent und Digitalisierungsprojekte im DACH-Raum. Er zeichnete einen innovativen Blick, wie Karriereplanung und Personalentwicklung durch AI unterstützt werden kann.
Die künstliche Intelligent IBM Watson ist bereits 7 Jahre alt und war dennoch dem Publikum relativ unbekannt. Semet widerspricht den Vorrednern, die meinen, dass die Digitalisierung „kommen wird“, denn er sieht uns mittendrinnen! Maschinen lernen mittlerweile auch selbstständig an unstrukturierten Daten wie Texte, Bilder oder Videos. Laut Semet wird die Entwicklung „erweiterter Intelligenzen“, wie er sie nennt, daher jetzt schnell gehen und ist mit der Kindesentwicklung vergleichbar (Laufen, Sprechen, Denken).
IBM hat weiters 5 Anwendungsfelder für künstliche Intelligenz im Personalwesen:
1. Recruiting
Er zeigte einen IBM-Pilot, welcher Chatbots auf die nächste Ebene bring: Eine künstliche Intelligenz ruft Talente aktiv an. Die beiden interagieren mithilfe von Spracherkennung und -ausgabe. Watson vereinbart dann einen Vorstellungstermin und gibt Antworten auf die Fragen des potentiellen Kandidaten.
So könne der War for Talents gewonnen werden. Der Vorteil der schnellen Kommunikation könnte der entscheidende Faktor sein im „War for Talents“. Und er bringt eine Erfolgszahl: 97% der Jobinteressenten, die mit einem Chatbot Kontakt hatten, schicken auch eine Bewerbung!
2. IBM Watson Career Coach
Dieses Employee Self Service ermöglicht einen interaktiven Dialog über die individuellen Karrierepfade bei IBM, zeigt vorgeschlagene Top-Positionen, zeigt Statistiken dazu in einem Navigator und gibt Empfehlungen für zukünftiges Lernen). Mitarbeiter können damit selbst ihre Karriere in die Hand nehmen und steuern.
3. Talent Development
Die Plattform Plattform IBM YourLearning ermöglicht individualisiertes Lernen für 380.000 IBM-Mitarbeiter. Es kann gespeist werden mit internem Wissen (FAQs, Content aus Social Collaboration-Tools) und externen Content (u.a. TED-Talks). Dieses Wissen wird gematched mit der Job-Rolle der Person, den vorhandenen Fähigkeiten/Kompetenzen, den individuellen Lernpräferenzen (Videos, E-Learning, Gamification, Projektreports, …) und dem vorgezeichneten Karrierepfad des Mitarbeiters.
IBM empfiehlt seinen Mitarbeitern min. 40 Stunden pro Jahr für diese Weiterbildung. Durchschnittlich werden sogar 72 Stunden konsumiert, wobei dies aufgrund des Entertainmentfaktors auch in der Freizeit passiere.
4. Virtual Agent für HR (Beispiel: ein Chatbot mit den wichtigsten HR-Fragen für Mitarbeiter)
5. Talent Insights (HR-Analystics)
Digitalisierung größer denken
Prof. Peter Zellmann (Institut für Freizeit- und Tourismusforschung) spannte den Bogen von den technischen Lösungen weiter und sprach über die Sinnfragen und den Zusammenhang von Digitalisierung und Lebensstil anhand von 4 Thesen:
- Es gibt einen quantitativen Wandel unseres Lebenszeitbudgets. Unsere Lebenszeit nimmt zu. Die Arbeitszeit nimmt ab.
- Wir haben seit 30 Jahren einen qualitativen Wertewandel. Die Gesellschaft wird weiblicher, ökologischer und emotionaler. Herz UND Hirn prägen die aktuelle Gesellschaft laut Zellmann. Dies fände sich jedoch nicht in Bildungsinhalten, Politik oder Arbeitsverträgen wider.
- Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird geprägt durch personenbezogene Dienstleistungen („high touch“ statt „high tech“). So werden Menschen (doch) ein wichtiger Wertschöpfungsfaktor.
- Die Gesellschaft wird immer mehr bottom-up mitgestaltet, so dass mündigere und interessierte Bürger mitreden.
Zellmann hielt eine Brandrede, dass Digitalisierung nur ein technisches Werkzeug ist und der Mensch als Bindeglied bei der Entwicklung nicht vergessen werden darf. Er sieht die Digitalisierung vor allem als soziale Revolution, die auf alle Lebensbereiche Einfluss nimmt. Er plädiert auch für andere Ausbildungen ab der Volksschule, welche auf für die vermehrten personenbezogenen Dienstleistungen vorbereiten. Auch Planungs-, Organisationskompetenzen und den richtigen Umgang mit Informationen (wie das Beurteilen von Quellen nach Glaubwürdigkeit) sieht er als zentral an. Damit stellt er sich gegen viel Vorredner, die für mehr IT-Ausbildungen plädiert haben.
Für Führungskräfte in der digitalen Zukunft sieht er die Innovationsbereitschaft als zentral an.
Die Stimmung
Geschätzte 90% der Teilnehmer kamen direkt aus HR-Abteilungen und davon rund 50% aus der Industrie & Produktion. Rund die Hälfte der Anwesenden war zum ersten Mal auf der HR-Tagung und netzwerkten aktiv mit den „alten Hasen“. Die Tabakfabrik in Linz bot einen geeigneten Rahmen für viele Gespräche. Einige Aussteller boten die Chance spannende Dinge wie VR-Training auszuprobieren und sich zu vernetzen.
Leider verpassten die zunächst eher kühle Temperatur und eine mittelprächtige Akustik der Veranstaltung einen kleinen Dämpfer.
Fazit
Das Versprechen der Veranstaltung „neue digitale Impulse für die Tätigkeit im HR“ zu geben, wurde gehalten! Unterschiedlichste Anwendungsfelder und Produkte wurden, auch kritisch, beleuchtet.
Es wurde klar, dass der Fokus von HR im Feld von künstlicher Intelligenz auf der passenden Programmierung der Algorithmen liegen muss und nicht auf einem „schönen Interface“.
Es bleibt sich die Frage zu stellen, wo die ganzen weiblichen HR-Führungskräfte beim Thema Digitalisierung stehen. Bei der HR-Tagung 18 jedenfalls gab es mit Sigrid Leutgeb nur eine einzige Frau am Podium (abgesehen von der Moderatorin Barbara Krennmayr).
HR and the machines. HR in revolution. | Ein Event-Bericht der HR-Tagung-18 in Linz