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Recruiting-Markt im Umbruch | Employer Branding neu gedacht

18Mai2018
9 min
HRweb

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Inhalt

Der Recruiting-Markt ist im Umbruch. Auf welche Herausforderungen sich Personalverantwortliche in nächster Zeit einstellen müssen und warum sich Human Resources trotz digitaler Unterstützung wieder auf den zwischenmenschlichen Kontakt konzentrieren muss, erzählt Rudi Bauer (Geschäftsführer von StepStone Österreich) im Interview.

Rudi Bauer, Stepstone ÖsterreichFoto rechts: Rudi Bauer (Geschäftsführer, StepStone Österreich, www.stepstone.at)

Interview

Rudi Bauer

Los geht’s

Herr Bauer, was läuft im Recruiting aus Ihrer Sicht derzeit falsch?

Viele Personalverantwortliche haben nicht bemerkt, dass sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren stark verändert hat. Hatten wir früher die Situation, dass viele Menschen aktiv nach Jobs gesucht haben, gibt es jetzt eine völlig andere Ausgangslage: Nicht mehr Mitarbeiter suchen Jobs, sondern Unternehmen suchen nach qualifizierten Mitarbeitern. Und das zum Teil verzweifelt.

Was bedeutet diese veränderte Situation für Personalverantwortliche?

Sie müssen eine völlig neue Zielgruppe ansprechen. Viele Menschen sind an sich recht zufrieden mit ihrem Job, wären aber theoretisch offen für Veränderungen. Das unterscheidet sie von denjenigen, die aktiv nach einem Job suchen: Für die funktioniert das altbewährte Modell – Suchzeile, Stellenanzeige, Bewerbungsbutton – nach wie vor. Die wirklich guten Leute spricht man aber nicht mit einem Stelleninserat an, sondern über Information, Content und Unterhaltung.

Wie werden passive Kandidaten auf Unternehmen aufmerksam?

In den meisten Jobs gibt es Parameter, die nicht ganz passen: Das können die Kollegen sein, ein unangenehmer Vorgesetzter oder zu lange Anfahrtszeiten. Mit der Zeit beschäftigt das manche Menschen immer mehr: Sie wollen ihren Job optimieren, sind aber nicht aktiv auf Jobsuche. Solche Kandidaten holt man nicht mit einer klassischen Stellenanzeige ab oder einer Suchzeile, in der lediglich nach Berufsfeld und Tätigkeitsort gesucht werden kann.

Was braucht es zusätzlich?

Was erzähle ich, wenn ich mit Freunden über meinen Job spreche? Da rattert niemand elendslange Jobdescriptions herunter. Vielmehr spricht man über seine Leidenschaften, über das, was man gerne tun würde und in welchem Umfeld. Welche Kollegen hätte ich gerne, wie soll der Chef sein? Wie stelle ich mir das Büro vor? All diese Dinge lassen sich nur schwer in der klassischen Jobsuche abbilden, wie wir sie heute kennen.

Wie holt man solche Menschen also ab?

Ich muss sie überraschen. Diese Menschen wollen sich nicht durch 20.000 Jobanzeigen durchackern, sie wollen gustieren, vergleichen, auch ein bisschen umworben werden. Unternehmen müssen genau auf die Parameter eingehen, die dem Einzelnen wichtig sind – ob das der Hund im Büro ist oder flexible Gleitzeiten. Fachkräfte von heute geben sich nicht mit dem erstbesten Angebot zufrieden, sie suchen nach Arbeitgebern, denen sie vertrauen können. Das verlangt seitens der Unternehmen nach Offenheit und Transparenz: Erzähl mir von dir, dann erzähle ich dir von mir.

Das bedeutet für viele Unternehmen und Personalverantwortliche eine ziemliche Umstellung.

Natürlich. Die Branche muss sich erstmals auf Augenhöhe begeben und die Karten offen auf den Tisch legen. Die Unternehmen müssen den Kandidaten erzählen, was sie können, wie es bei ihnen aussieht und was aktuell passiert. Das ist eine ganz neue Herangehensweise: Ich präsentiere mich als Unternehmen vor dem Kandidaten und hoffe, dass er sich aufgrund dieser Informationen für mich entscheidet.

Was habe ich als Unternehmen davon, mich derart in die Auslage zu stellen?

Der Vorteil: Genau das gibt auch kleineren und mittleren Unternehmen, die vielleicht nicht von einem hohen Bekanntheitsgrad profitieren oder dezentral am Land angesiedelt sind, die Chance, sich hervorzuheben. Ob über gute Arbeitgeberbewertungen oder die Darstellung meiner Top-Unternehmenskultur, da können gerade KMU zu wahnsinnig attraktiven Arbeitgebern werden, auch wenn sie nicht BMW, Daimler oder Louis Vuitton heißen. Wenn die eigenen Mitarbeiter öffentlich sagen, das ist das coolste Team, das ich kenne, dann kannst du dich am Bewerbermarkt unheimlich abheben vom Rest.

Ihr Rat: Wie präsentiert man sich als Arbeitgeber bestmöglich?

Dafür gibt es viele Kanäle. Bei StepStone haben wir beispielsweise den Company Hub ins Leben gerufen, eine Plattform, die es Kunden erlaubt, von sich zu erzählen. Sie können so unterschiedliche Facetten von sich präsentieren, in Wort, Bild und Ton. Um die eigene Unternehmenskultur zu vermitteln, kann man Mitarbeiter aus dem Nähkästchen plaudern lassen oder Arbeitgeberbewertungen einbinden, bei denen alle Unternehmensaspekte ehrlich und authentisch beleuchtet werden. Nur so schaffen es Arbeitgeber, latent wechselwillige Kandidaten zu überzeugen: Indem man ihren Informationsgap füllt und sie neugierig auf das eigene Unternehmen macht.

Wenn ich als Unternehmen einzelne Personen erzählen lasse, gibt das kein objektives Bild wieder.

Nein. Aber die Menschen haben durch zahlreiche Bewertungsplattformen und -portale mittlerweile gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Ob bei Hotels, Flügen oder Amazon: Wir wissen inzwischen, dass einzelne Meinungen nicht die ganze Realität abbilden, aber mithilfe mehrerer Meinungen kann ich mir ein halbwegs konkretes Bild machen. Und auch wenn einzelne Punkte vielleicht negativ bewertet werden, muss das Kandidaten nicht zwangsläufig abschrecken: Dem einen wird dieser Punkt nämlich völlig egal sein, während sich ein anderer dadurch sehr wohl von einer Bewerbung abhalten lässt.

Das verringert natürlich die Anzahl der Bewerbungen.

Das Problem ist: Wenn sich diese Kandidaten bewerben, besteht immer die Gefahr, dass sie nach kurzer Zeit im Unternehmen wieder das Handtuch werfen – weil sie eben nicht genau das bekommen, wonach sie gesucht haben. Was nutzt es also, sie mit schönen Worten und perfekt bearbeiteten Bildern an Bord zu holen? Das kostet nur Geld. Wenn ich aber schon im Vorfeld ehrlich über meine Stärken und Schwächen als Arbeitgeber spreche, sorge ich dafür, dass sich nur jene bewerben, die damit auch leben können – oder sogar gezielt danach suchen, was ich bieten kann.

Diese Erkenntnisse finden sich in Stellenanzeigen noch kaum wieder.

Momentan ist die Jobsuche für Kandidaten ein bisschen wie Blind Dating: Man kramt sich durch Jobinserate, die inhaltlich zu 80 % völlig ident sind und nur nebulöse Informationen liefern, die stimmen können – oder auch nicht. Und wenn man dann auf den Bewerbebutton drückt, wird’s wirklich grauslich: Wir wissen nämlich aus Studien, dass 50 % der Menschen, die sich darüber bewerben, überhaupt keine Antwort bekommen. Das kann man Kandidaten nicht antun. Auch der Jobeinstieg läuft in vielen Fällen ab wie ein Blind Date: Mit viel Glück kennt man noch den Teamleiter, aber die Kollegen hat man zuvor noch überhaupt nie gesehen – genauso wenig wie das Büro. Und das, obwohl man ein Viertel seines gesamten Lebens im Job verbringt – mehr Zeit als mit dem Partner, den eigenen Kindern oder seinen Freunden.

Bislang wurde das eigentlich immer so gehandhabt.

Das geht nur so lange und dort gut, wo Menschen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation dringend einen Job suchen. Sobald Fachkräfte Mangelware sind, spielt es das nicht mehr. Und genau darum tut sich Recruiting im Moment schwer: Weil Kandidaten mittlerweile ein ganz anderes Selbstbewusstsein an den Tag legen. Arbeitnehmer von heute sind jederzeit online, digital und vernetzt. Sie wissen genau, was technisch möglich ist. Wenn ich heute online ein Zimmer buche, habe ich auf Knopfdruck alle Daten: Bilder, Beschreibung, Rezensionen etc. Wenn ich mich aber für einen Arbeitgeber entscheiden soll, bei dem ich weitaus mehr Zeit verbringe als in einem Hotelzimmer, gibt es diese Informationen plötzlich nicht. Und genau da hakt es.

Lassen sich die Modelle anderer digitaler Angebote überhaupt auf den Arbeitgebermarkt umlegen?

Auf Reiseplattformen kannst du heute in Sekundenschnelle komplexeste Flugverbindungen auf Knopfdruck buchen, am Geldmarkt werden in Bruchteilen von Sekunden Ressourcen umgelenkt, wenn sich die Kurse ändern, und bei Amazon hat die Kundenzufriedenheit Top-Priorität. Nur beim Thema Arbeit gibt es nach wie vor eine gewisse Trägheit. Das Tempo ist modernen Arbeitnehmern einfach nicht mehr zumutbar: Im Schnitt dauert es 42 Minuten, sich zu bewerben, dann gibt es eine Response-Zeit von 4–6 Wochen für eine Zu- oder Absage, und in 50 % aller Fälle hört man überhaupt nichts mehr vom Unternehmen. Wenn Amazon das genau so mit seinen Bestellungen machen würde, bestellt kein Mensch mehr bei denen.

Recruiting muss also schneller werden.

Die wirklich guten Kandidaten sind im Schnitt nur 3–5 Tage am Markt verfügbar. Wenn man sechs Wochen braucht, bis man denen antwortet, sind die gar nicht mehr da. Wenn sich das Tempo also nicht drastisch ändert, kommt man überhaupt nie an die guten Kandidaten ran.

Wie könnte das konkret aussehen?

Recruiting ist geprägt durch traditionelle Abläufe und Bürokratie. Die klassischen Wege von Anschreiben, Lebenslauf, Telefoninterview, Bewerbungsgespräch sind zum Teil einfach viel zu zeitaufwändig, vor allem, wenn sich dafür mehrere Personen abstimmen müssen. Dabei haben wir heute Medien und Möglichkeiten, die uns helfen, wesentlich schneller zu werden. Im Lehrlingsumfeld etwa sind die Bewerber mit Internet und Smartphones aufgewachsen. Die haben keinerlei Berührungsängste. Für die wäre es beispielsweise durchaus okay, wenn man als Recruiter sagt, stell dich mit 2–3 Sätzen gezielt in einem kurzen Video vor. So bekomme ich in Sekundenschnelle einen Eindruck von meinem Bewerber.

Sind heutige Generationen anspruchsvoller als früher?

Heutige Kandidaten sind nicht komplizierter als früher. Ob Millennials, Generation Y oder Babyboomer: Sie alle suchen nach dem Traumjob, dem Traumpartner und dem Traumhaus. Und da gilt: Wenn wir für eine der drei wichtigsten Entscheidungen in unserem gesamten Leben keine gute Informationsbasis haben, wird das immer eine holprige Geschichte. Man nimmt ja auch nicht die erstbeste Person auf der Straße und sagt, so, du bist jetzt mein Partner fürs Leben.

Einzelne Unternehmen haben ja schon Versuche in diese Richtung gestartet und entsprechende Employer-Branding-Maßnahmen in die Wege geleitet.

In vielen Firmen wird das noch nicht ernst genug genommen. Aus unserer Sicht geht da noch mehr – und vor allem geht es noch besser. Das können wir als Jobplattform aber nicht alleine leisten: Wie sich ein Arbeitgeber präsentiert, welche Informationen er zur Verfügung stellt, liegt am Unternehmen selbst. Und je besser diese sind, je mehr Insight sie ermöglichen, desto eher sprechen sie Kandidaten an, die auch wirklich gut zum Unternehmen passen.

Sie sprechen den so genannten „Cultural Fit“ an: Also nicht nur die Frage, wie gut ein Bewerber seinen Job macht, sondern auch, ob er zur eigenen Unternehmenskultur passt.

Momentan wird der Cultural Fit im Recruiting so gut wie nie abgefragt. Wenn du dir heute einen neuen Mitarbeiter ins Team holst, ist das jedes Mal ein Glücksspiel: Es kann passen – oder auch nicht. Das findet man momentan nur heraus, indem man einen neuen Mitarbeiter auch wirklich an Bord holt. Nach ein paar Monaten, wenn er eingearbeitet ist und sich voll einbringt, merkt man dann, wie sich das Rollengefüge im Team durch ihn verändert hat – zum Besseren oder zum Schlechten.

Wie kann man verhindern, dass eine Neueinstellung das gesamte Team auf den Kopf stellt?

Wir haben mit Good+Co ein spezielles Tool, das schon vor der Einstellung virtuell die Passung von Kandidaten und Team überprüft und sich ansieht, wie der Match zwischen einzelnem Bewerber und Team bzw. Teamleiter ist. Man sieht als Unternehmen also sehr schnell, was gut passt und was gar nicht geht ­– und hat damit wieder eine Entscheidungsgrundlage mehr, aufgrund derer man das optimale Team zusammenstellt.

Stichwort virtuelle Welten: Wie hat die Digitalisierung den Recruiting-Prozess insgesamt verändert?

Es war noch nie so einfach, sich zu bewerben: Wo man früher aufwändig zusammenkopierte Bewerbungsmappen verschickt hat, reicht heute ein Mausklick. Dadurch sind Bewerbungen heute etwas sehr Inflationäres. Das ist die Kehrseite der Medaille. Und genauso, wie sich Kandidaten nicht durch 20.000 nichtssagende Stellenanzeigen quälen wollen, machen unqualifizierte Bewerbungen auch den Unternehmen sehr viel Arbeit und verursachen Frust.

Wie verhindert man unqualifizierte Bewerbungen?

Ich plädiere stark dafür, mehr Wertschätzung in den gesamten Recruiting- und Bewerbungsprozess einfließen zu lassen: Wertschätzung für die Interessen, Ressourcen und Bedürfnisse des Gegenübers. Denn das wirkt sich ganz stark auf die Zeit aus, die man sich für eine Person nimmt. Wenn wir weg wollen von den Massenbewerbungen, müssen wir statt Stellenanzeigen voll hohler Phrasen zu einem wertschätzenden Umgang miteinander finden, der von Ehrlichkeit geprägt ist und dem tiefgehenden Wunsch, sich dem anderen offen zu zeigen. Ob das virtuell über eine Plattform vermittelt wird oder im persönlichen Gespräch geschieht, ist dann zweitrangig.

Wie kommt man als Unternehmen zu mehr Wertschätzung für seine Kandidaten?

Unternehmen müssen sich bewusst mit ihren Kandidaten auseinandersetzen. Dazu gehört auch, Bewerbern regelmäßige Rückmeldung zum Status ihrer Bewerbung zu geben, ihnen zeitnah eine Ab- oder Zusage zu schicken und sie am ersten Arbeitstag auch abzuholen, statt sie stundenlang vor einem PC sitzen zu lassen, der erst eingerichtet werden muss. Was Kandidaten und Bewerber nämlich wirklich begeistert, sind nicht schicke Büros oder fette Gehälter. Was zählt, ist der menschliche Umgang miteinander: Ein freundliches Gegenüber, liebevoll aufbereitete Prozesse und das Gefühl, willkommen zu sein.

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