Es ist ja ein Grundbedürfnis aller Menschen, Verbindungen herzustellen. Von Geburt an kann kein Mensch auf Dauer glücklich allein überleben, und vor der Geburt schon gar nicht. Fische schwimmen, Vögel fliegen, und Menschen vernetzen sich mit anderen Menschen. Aus der Gruppe ausgestoßen zu sein, ist eine der dramatischsten Strafen, sei es durch Gruppenmobbing in der Schule oder Einzelhaft im Gefängnis. Kurz gesagt: Sie brauchen ein Netzwerk, um ein Mensch zu sein und sich als Mensch zu fühlen.
In beruflichen Fragen gilt dies ganz genauso. Es ist schlichtweg unmöglich, völlig allein beruflich erfolgreich zu sein. Sie brauchen immer jemanden anderen. Entweder haben Sie einen Job, dann brauchen Sie einen Chef, der Sie fördert, mit Ihnen die Aufgaben durchspricht und das Gehalt mit Ihnen bespricht. Oder Sie machen sich selbständig. In diesem Fall brauchen Sie Kunden. Ein selbständiger Unternehmer ohne Kunden geht Pleite.
Sobald dieser wichtige Punkt in Ihr Bewusstsein gedrungen ist, stellt sich nicht die Frage, ob Sie ein Netzwerk brauchen, sondern nur noch, wie es ausgestaltet sein sollte. Eine häufige Frage bezieht sich auf die Größe des Netzwerks. Ist es besser, wenige gute Kontakte zu haben oder ganz viele.
Ihr berufliches Netzwerk
Meiner Erfahrung nach kann ein Netzwerk so groß sein, wie Sie sich damit wohlfühlen. Manche arbeiten gerne in überschaubaren Gruppen und fühlen sich in großen Ansammlungen unwohl. Andere lieben die Menschenmassen und gehen sofort und ohne Vorbehalte auf alle Fremden zu.
Dabei spielt es aus meiner Sicht gar keine Rolle, wie groß das Netzwerk ist. Der wirklich entscheidende Punkt ist, wie intensiv die Vertrauensbeziehung in diesem Netzwerk ist. Sie können also immer Kompromisse bei der Größe, also der Quantität des Netzwerks machen, aber niemals bei der Qualität.
Netzwerk von Eins
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir Roland, ein Mann Mitte 30, der seit der Schule in einer kleinen Bank arbeitet. Er hat mir bei einem Mittagessen erzählt, dass er ein Netzwerk von einer Person hat. Natürlich hat er Kunden, Kollegen und einen Generaldirektor, die alle seine Arbeit schätzen. Aber seine Karriere verdankt er einer einzigen Person, nämlich seinem unmittelbaren Chef.
Dieser Chef stellte Roland vor über zehn Jahren in die Bank ein und erkannte gleich sein Talent, gute Kundengespräche zu führen. Er schickte Roland zu weiteren Ausbildungen und Schulungen und übertrug ihm immer mehr Aufgaben. Rolands Verantwortungsbereich wuchs im Laufe der Jahre, bis er schließlich zum Teamleiter befördert wurde. Sein Gehalt wuchs entsprechend mit.
Eines Tages traten Veränderungen in der Bank ein, und Rolands Chef erhielt eine neue Position. Er wurde zum neuen Bereichsleiter ernannt, und Roland fürchtete, den Kontakt zu ihm zu verlieren. Doch seine Sorge war unbegründet. Rolands Chef hielt so viel von ihm, dass er ihn zu seinem Nachfolger als Abteilungsleiter beförderte.
Mittlerweile arbeiten Roland und sein Chef seit vielen Jahren erfolgreich zusammen. Die Bank hat sich verändert, auch die Bankenlandschaft, das Umfeld, die Ansprüche der Kunden, die Aufgaben und auch viele gesetzliche Bestimmungen. Einfacher ist nichts geworden, und nach der Bankenkrise musste Roland und sein Team viel Kritik einstecken. Auch sein Ansehen bei den Freunden war sehr wechselvoll. Manchmal wurde er als „Bankster“ bezeichnet und indirekt für die Bankenkrise im Jahr 2008 verantwortlich gemacht.
Eine einzige Sache blieb konstant: Rolands gutes, tiefes Vertrauensverhältnis zu seinem Chef. Sie arbeiten intensiv zusammen, und manchmal kommt es ihnen so vor, als seien sie ein altes Ehepaar. Tatsächlich sind Roland und sein Chef länger zusammen in der Bank als Roland mit seiner heutigen Frau. Meist läuft die Arbeit gut, und wenn es Konflikte gibt, werden sie gleich bereinigt. Beide Seiten wissen, was sie aneinander haben. Es ist kaum auszudenken, was passieren müsste, damit das Vertrauensverhältnis nachhaltig beschädigt würde.
Der Vorstandsvorsitzende beging unlängst seinen 60. Geburtstag. Anlässlich dieser Feier sprach er unter vier Augen mit Rolands Chef. Er fragte ihn, ob er Interesse hätte, in ein paar Jahren seinen Posten zu übernehmen, wenn er schließlich in Pension gehen würde. Rolands Chef nickte daraufhin bedächtig und meinte, er könne es sich gut vorstellen. Noch am selben Tag weihte er Roland in die möglichen zukünftigen Entwicklungen ein. Denn eines ist klar: Wenn Rolands Chef in paar Jahren in den Vorstand aufsteigen sollte, wäre Roland seine erste Wahl als neuer Bereichsleiter.
Roland ist zwar erst 35 Jahre alt, doch er kann sich gut vorstellen, sein ganzes Berufsleben in der Bank zu verbringen. Wenn alles gut läuft, ist er bis 40 Bereichsleiter. Und die Chancen stehen gut, dass Roland eines Tages auch Vorstand wird, wenn sein jetziger Chef in den Ruhestand geht.
Fazit
Grundsätzlich gilt ja, dass es umso besser ist, je größer Ihr berufliches Netzwerk ist. Das Beispiel von Roland zeigt, dass aber ein großes Netzwerk gar nicht dafür entscheidend sein muss, eine langfristig höchst erfolgreiche Karriere zu verfolgen. Sie brauchen gar kein großes Netzwerk. Es genügt eine einzige Person, die Sie fördert, die Sie befördert, die Ihnen Gehaltserhöhungen gewährt und zu der Sie ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis pflegen. Das ist das „Netzwerk von Eins“.
Wie groß Ihr berufliches Netzwerk sein sollte