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„Segeln lernt man nicht im Sturm“ | Trends in der Personalentwicklung [Teil 2]

21Jan2019
5 min
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HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Rückblick: Besonders in dynamischen, komplexen und fallweise krisenanfälligen Wettbewerbsumfeldern zeigt die Forschung, dass Führungskräfte ihre Dynamic Managerial Capabilities (Helfat & Martin 2015), d.h. ihre individuellen Veränderungsfähigkeiten, veredeln müssen, um vor dem Hintergrund von Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten in vielen Entscheidungsprozessen schnell passende Entscheidungen zu treffen. Die gegenwärtige Hochkonjunktur bietet hierfür ein Zeitfenster, denn Unternehmen sollten in die Personalentwicklung ihres Führungskaders besonders dann investieren, wenn Zeit für Lernen und Reflexion ist, denn „Segeln lernt man nicht im Sturm“.

Autorin: Christine Güttel

Dieser Beitrag „Trends in der Personalentwicklung II“ bezieht sich auf einen im nov2018 veröffentlichten ersten Teil.

Hierfür passende Lernarchitekturen müssen neben der inhaltlichen Weiterentwicklung vor allem die Reflexionsfähigkeit des eigenen bisherigen Führungsverhaltens fördern. Denn eine gefestigte Führungsidentität ist die Basis für effektives Agieren auf individueller Ebene in der Entscheidungsfindung als Führungskraft, im Umgang mit dem Team sowie für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Organisation (Güttel 2017; Müller & Schweiger 2018). Schlüssel für die Auseinandersetzung mit der Führungsidentität ist erfahrungsorientiertes Lernen. Der Einsatz von gruppendynamischen Übungen, die Nutzung von Fallstudien oder von Methoden kollegialer Beratung, wo reale Fälle der Teilnehmer diskutiert und ansatzweise gelöst werden, bietet einen Reflexionsraum für die Auseinandersetzung mit der eigenen Führungsidentität. Dies ist insofern bedeutsam, da viele Ausbildungscurricula von Führungskräften kaum Gelegenheit bieten, sich mit der Identitätsentwicklung als Führungskraft auseinanderzusetzen. Abhängig von der Persönlichkeit und von der Sozialisationserfahrung als Führungskraft (von der Übernahme von ersten Führungsrollen in der Schule bis zum Unternehmen) fühlen wir uns mit gewissen Führungsstilen wohler und verfügen über ein eingelerntes und oftmals wenig hinterfragtes Führungsverhalten.

Führungskräftetrainings können nun dazu beitragen, dass die eigene Identität als Führungskraft entschlüsselt wird und die damit verbundenen Stärken und Schwächen ins Bewusstsein gerückt werden. Dadurch werden Verhaltensweisen für die Führungskraft verstehbar und (bedingt) veränderbar, die bislang nahezu als selbstverständlich betrachtet wurden. Dies ist deshalb bedeutungsvoll, da jedes Führungsverhalten in bestimmten Situationen Vorteile und Nachteile mit sich zieht. Je breiter das Verhaltensrepertoire als Führungskraft wird, desto leichter können vielfältige und im Voraus wenig abschätzbare neue Situationen bewältigt werden (Yukl 2012). Hierdurch entsteht Potential für Agilität, das dann aktiviert werden kann, wenn tatsächlich Flexibilität, Radikalität oder Innovativität verlangt wird. Über erfahrungsorientierte Lernmethoden bietet sich für Führungskräfte ein sozialer Raum, sodass sie über ihr eigenes Führungsverhalten lernen, unterschiedliches Verhalten ausprobieren und auch bei anderen Teilnehmern die Auswirkungen von bestimmten Führungsstilen beobachten können. Über Feedbackprozesse kann tieferliegendes Lernen gefördert werden.

Im Trainingskontext ist daher die Kreation von Vertrauen und von psychologischer Sicherheit bedeutsam, denn es bildet den sozialen Kontext für reflexionsorientiertes Lernen (Edmondson 1999). Dies ist im Kontext von eLearning-Aktivitäten nur sehr bedingt möglich. Deshalb zeigt sich auch, dass Fachtrainings (z.B. Compliance-Schulungen) durchaus kosteneffizient und effektiv über eLearning durchgeführt werden können. Doch für die Weiterentwicklung der Führungsidentität sowie für reflexionsorientierte Lernprozesse sind eLearning-Methoden ungeeignet. Sie können als Ergänzung von Führungskräftetrainings zur Vorbereitung auf und zum Austausch zwischen den Modulen oder als Informationsplattform eingesetzt werden. Tiefere Konversationen oder die Aufrechterhaltung einer intensiven Vertrauensbeziehung sind kaum möglich. Dazu braucht es nach wie vor die persönliche Face-to-Face-Interaktion in Seminarräumen, die um informelle Aspekte am Abend oder im Outdoor-Modul ergänzt wird. Dabei wird die soziale Beziehung der Teilnehmer weiterentwickelt und ein vertrauensvolles Lernsetting aufrechterhalten.

Im Gegensatz zu eLearning-Aktivitäten zeigt sich, dass die Verzahnung von Führungskräfteentwicklungsaktivitäten mit realen Lernmöglichkeiten eine große Kraft erzeugen kann, dass sich die Führungsidentität weiterentwickelt und dass eine Verbindung mit Organisationsentwicklungsmaßnahmen im Unternehmen stattfinden kann (z.B. Innovationsprojekte, Acceleratoren). In diesen real-life-Lernsettings sind Führungskräfte nicht nur gefordert, in völlig neuen Kontexten ihre bisherigen Führungsfähigkeiten anzuwenden und über das dort erfahrene Feedback zu reflektieren. Sie sind zudem mit neuartigen Herausforderungen konfrontiert, um die Breite ihres Führungsverhaltens zu vergrößern. Werden diese Prozesse auch mit Veränderungsarchitekturen aus Organisationsentwicklungsprozessen verbunden, dann können auch die strategischen, strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen mitgestaltet werden, um das neue Führungsverhalten im Unternehmensalltag zusätzlich zu unterstützen und dadurch größere Potenziale der Führungskraft für das Unternehmen nutzbar zu machen.

Fazit

Neue Trends in der Personalentwicklung richten daher besonderes Augenmerk auf die Rolle von Führungskräften in dynamischen und komplexen Unternehmensumfeldern. Wenn der Führungskader in der Lage ist, die eigene Führungsidentität über reflexionsorientiere Lernsettings zu stärken und weiterzuentwickeln, dann wird die Grundlage für eine robuste und flexible Organisation gelegt. Unternehmen können Führungskräfte daher durch passende Lernarchitekturen in ihren Management Development-Programmen und in der strategischen, strukturellen und kulturellen Gestaltung der Organisation unterstützen, um effektiv agieren zu können. Managementmoden kommen und gehen; effektive Führung bleibt!


Literatur

  • Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350-383.
  • Güttel, W. H. (2017). Führung und Wandel des Leistungskerns von Organisationen. Güttel, W.H. (Hg.). Erfolgreich in turbulenten Zeiten: Impulse für Leadership, Change Management & Ambidexterity, 19-48.
  • Helfat, C. E., & Martin, J. A. (2015). Dynamic managerial capabilities: Review and assessment of managerial impact on strategic change. Journal of Management, 41(5), 1281-1312.
  • Müller, B. & Schweiger, S. (2018): Führungsbilder, Fallen und HeldInnen. Austrian Management Review, 8, SEITEN.
  • Teece, D. J. (2007). Explicating dynamic capabilities: the nature and microfoundations of (sustainable) enterprise performance. Strategic Management Journal, 28(13), 1319-1350.
  • Yukl, G. (2012). Effective leadership behavior: What we know and what questions need more attention. Academy of Management Perspectives, 26(4), 66-85.

Autorin

Mag.a Christine Güttel ist Academic Coordinator am Studienbereich Personal & Organisation der FHWien der WKW und leitet als Program Manager das Weiterbildungsprogramm MSc Leadership in Kooperation mit dem Hernstein Institut für Management und Leadership.

„Segeln lernt man nicht im Sturm“ | PE-Trends [Teil 2]

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