Betriebliche Gesundheitsförderung zur Mitarbeitermotivation. Und/oder um Krankenstand zu minimieren. Um etwas für’s Employer Branding zu tun. Für die Unternehmens-Kultur, letztendlich: um die Gesundheit der Mitarbeiter hoch zu halten!
Dennoch sind nicht alle Unternehmen davon überzeugt, dass das Geld in BGF gut investiert ist. Weshalb? Worin liegen einerseits die größten handfesten Hürden und andererseits die emotionalen Ressentiments begründet?
Experten-Interview
Welche sind die häufigsten Ressentiments die Ihnen von Firmenseite gegenüber BGF (betriebliche Gesundheitsförderung)begegnen? Wie gehen Sie darauf ein?
Mag. Gernot Kampl, MA (IEPB): Eine immer noch weit verbreitete Aussage lautet: Projekte in der betrieblichen Gesundheitsförderung sind teuer und „bringen“ nichts. Dem ersten Vorurteil kann man schnell entgegenwirken, indem man entsprechende Fördermöglichkeiten aus nationalen und internationalen Fördertöpfen vorstellt. Aus meiner beruflichen Erfahrung kann ich versichern, dass ein BGF-Projekt selten bis nie am Geld scheitert.
Ob ein Projekt der Betrieblichen Gesundheitsförderung dem Unternehmen etwas „bringt“, ist eine Frage der Definition und in weiterer Folge eine Frage der Projektkonzeption. Normalerweise verfolgt man mit Projekten für die betriebliche Gesundheitsförderung Ziele. Diese Ziele sollten vor Projektstart definiert UND messbar sein. Nur eine im Projektplan berücksichtigte Überprüfung der Zielerreichung schafft Klarheit darüber, ob das Projekt einen gewünschten Mehrwert geschaffen hat – sprich, ob die gesteckten Ziele erreicht wurden.
Verhaltens- und Verhältnisprävention
Mag. Michaela Hoefer (research team Graz): Viele Unternehmen stellen sich die Frage, inwieweit sie für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter (mit-)verantwortlich sind – auch weil betriebliche Gesundheitsmaßnahmen zumeist mit einem Kostenaspekt verbunden sind! In Anbetracht der Tatsache, dass Berufstätige einen beträchtlichen Teil ihres Tages am Arbeitsplatz verbringen, gilt es daher, ein Verständnis zu schaffen, dass man auch als Betrieb in einer verantwortungsvollen und einflussreichen Position sitzt, wenn es um die Mitarbeitergesundheit geht – Gesundheit findet schließlich nicht nur in der Freizeit statt!
Ein guter Ansatzpunkt hierzu ist die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention. Während unter Verhaltensprävention sämtliche Maßnahmen verstanden werden, die vom jeweiligen Mitarbeiter selbst für seine Gesundheit getan werden können (z.B. gesunde Ernährung, Sport), fokussiert sich die Verhältnisprävention auf die Arbeitsbedingungen, unter denen Mitarbeiter tagtäglich arbeiten, und überlegt, wie diese gesundheitsförderlich gestaltet werden können (z.B. Gesundheitszirkel, ergonomische Arbeitsplätze). Unsere langjährige Erfahrung hat gezeigt, dass aufeinander abgestimmte, parallel durchgeführte verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen besonders zielführend sind. Die Wissenschaft konnte übrigens bereits einen Return on Investment für Maßnahmen für die betriebliche Gesundheitsförderung feststellen, welcher für Krankenstände bei 1:2,73 Dollar liegt (iga.Report 28, 2015).
Sinnhaftigkeit
Michael Leitner (Virgin Pulse): Wie so oft geht es in den meisten Fällen um die Kosten, welche ein Unternehmen für die Implementierung eines BGF-Programmes investieren müsste. In dem Fall fragen wir gerne nach, ob sich das Unternehmen denn schon mal überlegt hat, was es kostet, nichts zu unternehmen? Kann es sich ein Unternehmen heute überhaupt leisten, nichts in die Gesundheit und das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter zu investieren? Präsentismus, Fehltage, Arbeitsunfälle durch Müdigkeit/Erschöpfung – all dies verursacht enorme Kosten, deren sich die Unternehmen oft gar nicht bewusst sind. Diese proaktiv und präventiv durch BGF-Programme anzugehen, lohnt sich unserer Erfahrung nach für alle Unternehmen.
Die Sorge, dass sich die Mitarbeiter nicht an BGF-Programmen beteiligen würden und die Investition somit nutzlos ist, wird häufig als weiteres Hindernis genannt. Beachtet man aber folgende Aspekte, kann man mit relativ kleinen Maßnahmen eine hohe Teilnahmequote für BGF-Initiativen erreichen. Erstens braucht man ein strategisch durchdachtes und ganzheitliches Programm, welches die unterschiedlichen Typen und Motivationen von Mitarbeitern berücksichtigt – einer möchte körperlich fitter werden, der andere seinen Schlafrhythmus optimieren und der Dritte möchte seine Konzentration am Arbeitsplatz verbessern. Ein ganzheitliches und mehrdimensionales Programm erreicht so, dass sich jeder mit dem einen oder anderen Aspekt der Gesundheitsinitiative identifizieren kann. Des Weiteren ist es äußerst wichtig, dass die Geschäftsleistung hinter dem Projekt steht und sich aktiv miteinbringt. Motiviert ein CEO persönlich seine Belegschaft, an einem Programm teilzunehmen, hat das einen ganz anderen Einfluss, als wenn die Kollegin oder der Kollege aus der HR-Abteilung das Programm alleine bewirbt.
Konkrete Vorgehensweise
Mag. Ina Lukl (IBG): „Was bringt es, außer Kosten?“ – Inzwischen gibt es zahlreiche Studien und Metastudien zu diesem Thema, die im deutschsprachigen Raum einen Return of Investment von 1:1.25 bis zu 1:10 (!) bestätigen. Generell ist mittel- bis langfristig mit höherer Produktivität, einer Senkung von Krankenständen und Unfallraten sowie geringerer Fluktuation zu rechnen. In den von uns begleiteten Projekten konnten wir bisher stets und mitunter gravierende positive Entwicklungen in der Reduktion psychischer Belastungen und der Erhöhung des Arbeitsvermögens sowie der Reduktion von Krankenständen beobachten. Auf die Frage „Was bringt es?“ empfehle ich grundsätzlich eine gute Visions- und Zielarbeit, also: „Was soll es bringen? Wie würde es realistischer Weise im besten Fall am Ende des Projektes aussehen?“
„Zuerst die Pflicht, dann die Kür!“ Für die Gesundheit der Mitarbeiter gilt es, das ASchG einzuhalten, dafür braucht es keine Betriebliche Gesundheitsförderung. „Wohlfühlen“ kommt danach! – Nutzen Sie betriebliche Gesundheitsförderung als Chance der Integration des ASchG in das Unternehmensdenken. Durch gezielte Analysen im Zuge eines BGF-Projektes bekommen die Präventivfachkräfte oftmals starken Rückenwind um „ihre“ Anliegen voranzubringen. Es gilt also, Synergien zu nutzen, im Sinne von „Was ist unser gemeinsames Ziel? – Die Gesundheit der Mitarbeiter!“ Je mehr Hebel für Maßnahmen gefunden werden, umso besser.
„Je mehr wir tun, umso mehr wird erwartet, ohne dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter zunimmt.“ – Eine Sichtweise, die aus psychologischer Sicht durchaus nachvollziehbar ist, schmerzt uns doch der Verlust eben noch verfügbarer und geschätzter Dinge in unserem Leben viel mehr, als wären wir zuvor nie in den Genuss ebendieser Annehmlichkeiten gekommen. Wir strecken uns eben nach der Decke, wird diese abgesenkt, sinken auch unser Wohlbefinden und unsere Zufriedenheit, und damit einhergehend früher oder später auch unsere (subjektive) Gesundheit.
Die (Unternehmens-)Realität ist dennoch im Allgemeinen eine andere: Um scheinbar unumgängliche Belastungen wie z.B. Zeitdruck oder mangelnde Informiertheit auszugleichen, werden den Mitarbeitern dort Benefits angeboten, wo gesundheitserhaltende oder –förderliche Alternativen als leichter umsetzbar betrachtet werden, also z.B. bei Gesundheitsangeboten. Um bei der Metapher mit der Zimmerdecke zu bleiben: Es wird wohl immer ein paar Räume mit höheren und niedrigeren Zimmerdecken geben, die einmal mehr und einmal weniger Handlungsspielraum ermöglichen. Oder anders gefragt: Können Mitarbeiter und damit Unternehmen jemals „zu gesund“ sein?
Die Gesprächspartner
Mag. Ina Lukl IBG Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH Michael Leitner Virgin Pulse Mag. Gernot Kampl, MA IEPB – Institut zur Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz GmbH www.iepb.at Mag. Michaela Hoefer research team Graz |