Experten-Interview: Potential-Analyse als Schnell-Test — Teil 2. Kürzlich erfragte ich in einem Interview, in wie fern Schnell-Tests bei Potenzialanalysen Sinn machen. Dabei entstanden für mich immer mehr Fragen, die ich heute los werden möchte: Grenzen, Einsatzgebiete, nötige Voraussetzungen.
Experten-Interview
Los geht’s:
Welche Grenzen haben Schnell-Tests in der Potenzial-Analyse?
Dr. Reinhold Köbrunner (Lee Hecht Harrison – OTM Karriereberatung): Wenn der „Schnelltest“ nur als verkürzter Test durch Vorgabe einer verminderten Item-Anzahl besteht, dann leidet darunter die Genauigkeit und Sicherheit des Testergebnisses erheblich, vergleichbar mit den Schwankungsbreiten bei ersten versus späteren Hochrechnungen von Befragungs- oder Wahlergebnissen.
Es hängt also vollkommen davon ab, ob die Ergebnisgenauigkeit eine Rolle spielt oder nicht – z.B. im Vergleich von Personen zueinander – oder nur nach der Erfüllung von Mindestkriterien gefragt wird.
Mag. Kathrin Sturm (ITO Individuum Team Organisation): Jedes Testverfahren, das auf Selbstauskunft beruht, hat Grenzen: wir empfehlen, für Entscheidungen immer auch einen Abgleich durch ein Interview vorzunehmen. Die Ergänzung durch Verfahren, in denen die Person ihre Handlungskompetenzen demonstrieren muss, vervollständigt das Bild der Person noch einmal deutlich, insbesondere wenn es um Laufbahnentscheidungen oder/und die Definition von Entwicklungsmaßnahmen geht.
Welche Einsatzgebiete eignen sich besonders für Schnell-Tests bei der Erhebung der Potentiale?
Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Schnell-Tests eignen sich zur Unterhaltung in bunten Managermagazinen. Oder wenn man gerade zu viel Zeit hat.
Ich weiß, das ist böse, aber ich glaube man merkt, dass uns Qualität sehr wichtig ist und die benötigt zumindest ein wenig Zeit und etwas Hingabe. „Husch Pfusch“ sollen bitte andere gerne machen. Auch hier zitiere ich sehr gerne John Ruskin (1819-1900), der meinte: „Es gibt kaum etwas auf der Welt, das nicht irgendjemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften.“ Ich könnte mir vorstellen, dass ein Hauptgrund, warum man einen Schnelltest in Betracht zieht, der Preis ist … Die Zeit kann es nicht sein, denn in Summe wird man mehr Zeit aufwenden müssen.
Mag. Kathrin Sturm (ITO): Schnelltests eigenen sich besonders für den Einsatz in der Selektion, dem Recruiting oder überall da, wo es darum geht, eine Entscheidung basierend auf dem Vergleich der erhobenen Dimensionen mit den erfolgskritischen Kriterien einer Position, zu treffen. Ein solches Verfahren verschafft einen groben Überblick über das „fitting“ und liefert klare Indikatoren für den optimalen Einsatz einer Person.
Was braucht ein kompakter Schnell-Test, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu liefern?
Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Diese Produkte zeichnen sich durch eine sehr große Bandbreite aus. Was jedoch die Grundlage jeder Entscheidung für das eine oder andere Produkt bilden sollte ist, dass jeder qualitativ hochwertige Test, der mir eine fundierte Aussage liefern soll, den gängigen Qualitätskriterien (Objektivität/Reliabilität/Validität) entsprechen bzw. entsprechende Korrelationswerte aufweisen muss – das würde ich mir auch von einem Schnelltest erwarten, sonst ist er nämlich Schrott. Was für einen Mehrwert hat ein Test, wenn er keine zuverlässigen und validen Aussagen trifft?
Dr. Reinhold Köbrunner (Lee Hecht Harrison – OTM Karriereberatung): Ein ernsthafter „Schnelltest“, der durch Vorgabe weniger Testitems zum gleichen Ergebnis kommt wie eine Langform, braucht einen großen und homogen Itempool =Testfragen, aus dem durch iterative Berechnung nach jeder Testaufgabe die nächste informativste Testaufgabe ausgewählt wird.
Dies zeigt, dass die Konstruktion eines qualitativen „Schnelltest“ aufwändiger ist als die eines „Langtests“ und daher nur bei hohen Testvolumina sinnvoll ist.
Die Gesprächspartner
Gesellschafter, PsychologeDr. Reinhold Köbrunner Lee Hecht Harrison – OTM Karriereberatung GmbH Mag. Kathrin Sturm ITO Individuum Team Organisation GmbH Mag. Bernhard Dworak Master Human Resources Consulting GmbH Oliver Wegenberger, MSc managementcube | Gesellschaft für Wirtschaftspsychologie und Organisationsdynamik |
Ich danke den Interviewpartnern sowohl für ihre Geduld als auch ihre Expertise.