Der Begriff Intrapreneurship wurde 1978 durch Gifford Pinchot geprägt und seither gilt auch das Interesse von ForscherInnen dem Thema, wie durch mehr Verantwortungsbewusstsein und eigenverantwortliches Handeln, Mitdenken und aktive Gestaltung die Flexibilität in Organisationen erhöht werden kann.
Einige Unternehmen experimentieren mit Selbstorganisation – oft jedoch nur vordergründig sagen Kritiker. Fragen rund um die Selbstorganisation und v.a. wie das auch in einem Konzern funktionieren kann, darf ich mit Klaus Polley besprechen.
Interview
Los geht’s:
Du hast Selbstorganisation in einer Abteilung in der Deutschen Telekom IT eingeführt – wofür steht für dich persönlich Selbstorganisation?
Ich persönlich denke, dass in der Arbeit wieder einen Sinn und Zweck geben muss . Diesen Sinn und Zweck nenen wir Purpose. Selbstorganisation hängt für mich ganz stark mit dem Purpose der Arbeit zusammen, der ein Großteil des Kontextes mit sich bringt. Wichtig ist es daher dem Mythos , dass Selbstorganisation keinen Regeln folgt, frei nach dem Motto „Jeder macht was er will“ etwas entgegen zu halten, da das nicht so stimmt. Es gibt im Gegensatz dazu gefühlt sogar mehr Regeln, da man die Selbstorganisationsregeln immer transparent an zentraler Stelle hat. Die Regelnordnen sich wiederum dem Sinn und Zweck unter – man arbeitet als Team gemeinsam in dem so definierten Raum. Nicht jeder macht was er/sie will, das funktioniert nicht. Man braucht eben übergreifend ein Ziel welches man mit anderen gemeinsam verfolgt, weil ich das eben mit anderen gemeinsam besser kann, was ja dem ökonomischen Sinn der Zusammenarbeit entspricht). Aber: in meiner Rolle im gegebenen Rahmen kann ich selbst entscheiden, was ich priorisiere und wie ich eine Aufgabe erledige – d.h. es gibt mehr Entscheidungsspielraum und Partizipationsmöglichkeiten in einem klar vorgegebenen Frame.
Kann deiner Meinung nach Selbstorganisation auch in klassischen hierarchischen Organisationen funktionieren?
Grundsätzlich spricht da in der Theorie nicht viel dagegen, aber ich erlebe, dass Selbstorganisation sich stärker in agileren Umgebungen entwickeln kann, da dort bereits das entsprechende Mindset vorhanden ist. Wenn Selbstorganisation in einem abgegrenzten Bereich koexistiert und dort dann die Pyramde „ausgeschaltet“ wird dann ist das gut möglich. Es braucht nur eine gute Transferleistung an der Zellmembran. Dementgegen halte ich von den Hybriden-Organisationen die das eine nicht loslassen und das andere darüber legen persönlich nicht so viel. Meine Erfahrung ist, dass in solchen hybriden Konfigurationen, v.a. in Stress- oder Ausnahmesituationen oft das traditionell klassische System gewählt wird. Es ist definitiv nicht unmöglich, aber es wird ein System sein, welches aufgrund der menschlichen Natur, wie unser Gehirn funktioniert, meiner Ansicht nach nicht reibungslos funktionieren kann. Viele Organisationen die geraden den Agilisierungskult betreiben und alles und jeden mit dem gleichen Konzept anglisieren erhalten oft einen versteckten hybriden Status. Dieser wird dann meist vor dem Vorhang gespielt. Hinter der Bühne wirken aber oft noch die klassischen Machtmechanismen.
Der Weg mit deinem Team in die Selbstorganisation, also beispielsweise mit Teams, die bisher viele Weisungen erhalten haben, da muss es ja anfangs Schwierigkeiten geben, das Maß an Selbstorganisation und Selbstverantwortung zu finden? Wie kann HR und die Führungskraft, also wie hast du konkret deine Mitarbeiter in eine selbstorganisierte Teamstruktur geführt?
Ich glaube, dass ich mit meinem Führungsstil bereits in einigen Dimensionen sehr nahe an einer selbstorganisierten Teamstruktur war, ohne es zu wissen. Ganz klar sein muss für eine Führungskraft, ich muss einen Rahmen geben und in dem können sich dann meine Mitarbeiter auch bewegen. Wir haben wir das gemacht? Wir haben mit einem öffentlichen eintägigen Erfahrungsworkshop gestartet, um Selbstorganisation im Entscheidungsprozess zu erleben und dann habe ich meine Führungskräfte gefragt, ob wir das mal so in unserem Team mit eigenen Themen versuchen wollen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass man nur so starten kann – zu meinen praktisch zu erleben was Selbstorganisation bedeutet und zudem deinem Team die Wahlfreiheit zu geben.
Dann haben wir uns entschieden diesen Prozess mit externer Begleitung durchzuführen. D.h. die erste Stufe ist das Erleben, damit wir auch dann fundiert entscheiden können, ob wir das auch wirklich wollen. Die zweite Stufe ist das Ausprobieren und dabei jederzeit die Chance zu haben zu experimentieren, aber auch „es“ abzulehnen und klassisch fortzufahren. Die dritte Stufe ist maximale Transparenz also auch klar machen, wie verändern wir etwas und was sind die Regeln. So haben wir dann zu elft im engen Führungskreis begonnen Selbstorganisation zu leben und dadurch, im Laufe der Zeit,auch Aufmerksamkeit in anderen Teams geweckt. Wir wurden gefragt, was denn bei uns anders sei und ob sie das auch mal probieren können und das obwohl wir es nicht an die große Glocke gehängt haben – die Umwelt merkt es einfach, dass da was anderes heranwächst!
Oft kommt das Argument, dass man in einem regulierten Umfeld mit vielen Standards nicht agil, bzw. selbstorganisiert arbeiten kann. Wie siehst du das?
Ja, das höre ich auch immer wieder, aber da halte ich immer mit meinem persönlichen Erfahrungen dagegen, denn der Telekommunikationsmarkt ist ja der mitunter am stärksten regulierte Märkte in Deutschland. Ich sehe das als eine (hart gesagt) zumeist fadenscheinige Ausrede, warum man nichts verändern kann. Eine der vielen anderen ist dann auch das geht ja bei kleinen Organisationen oder in Branche XY oder, oder…
Die Agile Transformation bei Swarovski, also statt die alte Organisationsform abzuschaffen, nutzt der Unternehmensbereich Gemstones agile Kreise und klassische Linienhierarchie parallel. Der scheinbare Gegensatz erweist sich als pragmatische Lösung. Wie siehst du diesen Mittelweg, ist dieser möglich oder stiftet er Verwirrung? Wie ging es dir hiermit in der Konzernstruktur, wobei ja eben nur dein Bereich komplett umgestellt hatte?
Ja, das ist auch eine Form der Hybridorganisation über die schon vorher kurz sprach, die ich persönlich als eher kritisch sehe. Insbesondere dann wenn eine Organisation, die stark hierarchisch ist, wo man nach dem Motto „ich gebe meinen Mitarbeitern mal ein bisschen Freiheit“ – Selbstorganisation als Label vergibt, aber das Kernproblem, der Frage wie Macht verteilt ist, eigentlich nicht wirklich aufgreifen. Da wird sich m.E. nur wenig tun.
Gibt es auch Risiken der Selbstorganisation, so nach dem Motto „Vorsicht, Freiheit!“. So verheißungsvoll Selbstorganisation auf den ersten Blick scheint, so schwierig ist sie in der Umsetzung. Kritische Stimmen deklarieren selbstorganisiertes Arbeiten für die Mitarbeiter zur seelischen Belastungsprobe. Wie siehst du das?
Hätte ich früher auch so gesehen, habe mittlerweile aber einen etwas differenzierteren Blick auf diese Frage. Es kann auch passieren, dass es schlimmer wird, weil oft alte Werte und neue Strukturen aufeinander treffen was zu einer starken Belastung der Mitarbeiter führt. Oft ist das bei diesen „Hauruck-Projekten“, die mit wenig hilfreicher Expertise durchgeführt werden, die dann einfach nicht funktionieren. Pseudo-Freiheit oder Selbstorganisation als Pflaster für Symptome funktioniert einfach nicht. Agile Coaches werden in 2-Tages Methoden-Crash-Kursen ausgebildet, Manager durchlaufen 2-Stunden Methoden- und Werte Workshops und dann werden alle Mitarbeiter in die Agilität geworfen? Das kann nicht wirklich funktionieren.
Selbstorganisation trägt meiner Ansicht ja auch stark zur Beschäftigungsfähigkeit bei, ich habe hierzu erst kürzlich eine Studie publiziert. Wie siehst du das, was ist deine Erfahrung in Bezug auf die Entwicklung von Mitarbeitern in der Selbstorganisation?
Für mich hängst Selbstorganisation ganz stark mit der Lernenden Organisation zusammen. Meine Erfahrung ist, dass beispielsweise Tools wie ernsthafte (kollegiale) Feedbackprozesse hier zu unglaublichen Veränderungen führen können. Oft gibt es hier Entwicklungen bei Mitarbeitern, die man sich so gar nicht erwarten würde und das sehe ich sehr oft mitunter aufgrund des höheren Entscheidungsspielraumes, welcher einem Mitarbeiter in einem selbstorganisierten Team gewährt wird.
Ein Mitarbeiter hat mal zu mir gesagt, dass „…das was wir hier gemacht haben(Anm. Selbstorganisation), das Genialste ist was er für seine persönliche Entwicklung je erlebt habe…, und er sich auch gar nicht mehr vorstellen kann, in klassischen Strukturen zu arbeiten….“….Ist das nicht das beste Feedback, wes dem Idividuum und dem Team hilft!?
Danke für das Gespräch!
Interview-Partner
Klaus Polley: Als Diplom Betriebswirt und Arbeits-, Organisationspsychologe habe ich mehr als 5 Jahre Organisationsberatungs- und Mittelstandserfahrung. Im Rahmen meiner letzten Tätigkeit habe ich in verschiednen Führungspositionen einen Großkonzern mit bewegt. So habe ich Organisationen aus den verschiedensten Perspektiven (u. a. Marketing, Vertrieb, IT, Prozessmanagement, Finance und Vorstandsstab) als auch durch die Brille als In- und Externer sehen dürfen. Darüber hinaus gelang es mir die Organisationen in die unterschiedlichsten Reifegrade aktiv mit transformiert.
Als Pionier im Thema Veränderung und Weiterentwicklung von Führung in großen Organisationen ist das Thema Selbstorganisation und agiles Mindset zu meiner persönlichen Herzenssache geworden. Neben dem Planeten, auf dem wir gemeinsam leben, steht dabei der Mensch für mich im Mittelpunkt meines Denken und Tuns.
Neben der Tätigkeit im Konzern Deutsche Telekom AG bin ich zudem als selbstständiger Coach im Bereich der Führungskräfte- und Organisationsentwicklung und als Speaker zum Thema ‚Neues Führen & New Work‘ aktiv.