Ein unmittelbarer Einblick in die Unternehmens-Kultur in China: immer wieder sehe ich in meinen Programmen, dass den Führungskräften die grundlegenden Unternehmenswerte nicht bekannt sind.
Autor: Mag. Martin Brandstötter, MSc (besser führen)
Teilweise war in der raschen Marktdynamik nie Zeit dafür, teilweise wurde die asiatische Niederlassung bei der Kommunikation einfach vernachlässigt. Gleichzeitig beklagen alteingesessene Mitarbeiter im Headquarter, „die haben ja gar nicht unsere Firmenkultur“.
Zahlreiche Unternehmen haben sich bereits nach China gewagt. Und für manche hat dieser Schritt einiges kräftig verschoben. Zwar ist die Firmenzentrale weiterhin in Österreich, doch die Mitarbeiterzahl in China hat sich in Riesentempo vervielfacht. Und während man in Österreich stolz auf die Eigengewächse und langjährige Mitarbeiterbindung ist, mussten chinesische Führungskräfte und Facharbeiter extern angeworben werden. Das Mindset ist anders und die österreichischen Mitarbeiter meinen nicht nur die fernöstliche Kultur, wenn sie sagen: „Das ist nicht mehr unsere Welt.“
Die HR-Verantwortlichen in den Firmenzentralen kennen diese drei Fragen:
- Kann ich unsere Unternehmenswerte angesichts der rapiden Internationalisierung erhalten?
- Wie implementiere ich unsere Unternehmenskultur in den internationalen Standorten?
- Verstehen die internationalen Führungskräfte überhaupt, was wir damit meinen?
Diese Themen stellen sich nicht nur in Bezug auf China, doch hier ist es zugespitzt: in den Boom-Regionen gibt es eine große Auswahl gut klingender Arbeitgeber. Das verschafft auch Status im privaten Bereich. Für viele ist es deshalb nicht attraktiv, bei einem mittelständischen Zulieferbetrieb zu arbeiten. Österreichische Unternehmen zählen oft zu den Technologie- und Weltmarktführern – doch was nutzt das, wenn das nicht einmal die Führungskräfte wissen? Und welchen realen Verlust bringt das mit sich, wenn sie sich deshalb zu wenig mit ihrem Unternehmen identifizieren? Headhunter, Auswahlverfahren und Einschulung sollte man da getrost mit einrechnen.
Führungskräfte in China
In China ist dieses Thema auch deshalb relevant, weil Hierachieorientierung und Eigenverantwortung anders gelebt werden. Oft müssen chinesische Führungskräfte hart an sich arbeiten, um die europäische Idee von Mitarbeiterentwicklung zu leben. Gut Qualifizierte sind schnell frustriert, wenn sie mit tollen Perspektiven angeworben werden und rasch feststellen, dass der unmittelbar Vorgesetzte keinen Millimeter delegiert.
Zudem betonen chinesische Star-Unternehmer wie Alibaba-Gründer Jack Ma die Notwendigkeit von werteorientierter Firmenkultur. Viele Führungskräfte spüren also intuitiv, dass ihr Unternehmen ein Stück Tiefgründigkeit braucht. Sie wissen, dass ihnen ein breiteres Methodenset fehlt und erahnen dennoch selten, was genau sie benötigen, um gut agieren zu können.
Deshalb sind Führungsverantwortliche in China sehr froh, endlich zu erfahren, was das Unternehmen von ihnen erwartet. Denn sie können ihren Mitarbeitern nur dann Orientierung geben, wenn sie selbst einen Kompass haben.
Tatsächlich ist es für chinesische Führungskräfte europäischer Unternehmen ein Spagat: einerseits sollen sie einer westlichen Unternehmenskultur entsprechend handeln, andererseits müssen sie die Erwartungen ihrer eigenen Landsleute erfüllen. Doch nur wenn sie dieses Spannungsfeld aktiv reflektieren, können sie ihre Führungsrolle gut ausfüllen.
Beispiele
Und es geht dabei um Brisanteres, als bloß um so genannte softe Kulturthemen. Drei Beispiele gefällig?
- Wie soll eine chinesische Führungskraft die europäisch geprägten Compliance-Regeln anwenden, wenn dort hochpreisige Geschenke üblich sind?
- Wie soll ein chinesischer Chef selbst Vertrauen vorleben, wenn vom Headquarter Misstrauen und Angst vor Know-how-Verlust ausgehen?
- Wie soll er dem Headquarter sagen, was der chinesische Markt braucht, wenn er dafür eine unüberwindbare innere Hierarchiegrenze überwinden müsste?
In Personalentwicklungsprogrammen vor Ort erlebe ich öfter, dass Führungsverantwortliche das Gefühl haben, die Unternehmenswerte hätten mit ihnen selbst nichts zu tun. Sie glauben, da ist eine große Distanz. Und ihre Mitarbeiter wiederum beklagen die Unglaubwürdigkeit des eigenen Chefs, denn sein Verhalten passt ja mit dem Leitbild an der Wand nicht zusammen.
Unternehmenskultur international erhalten
Es stellt sich also die Frage: kann man die Unternehmenskultur international überhaupt erhalten?
Meine Antwort ist ja. Und der zweite Teil dieser Antwort ist: Gerade mit den Kollegen in China ist diese Kultur- und Personalentwicklungsarbeit immens wichtig, denn andernfalls ginge die Identifikation mit der Firma verloren – und das verursacht hohe Kosten.
Ein schönes Erlebnis war, als ein chinesischer Manager im Rahmen eines Workshops sagte: „Jetzt haben wir das Leitbild von der Wand genommen und in die Herzen unserer Führungskräfte gepflanzt.
Gast-Autor
„Grundlegend und Wert-voll: Unternehmenskultur in China“
Mag. Martin Brandstötter, MSc arbeitet als systemischer Führungskräfte-Coach. Der studierte Sinologe führt seine Programme auf chinesisch durch. Er begleitet chinesische Führungskräfte beim Ausgestalten ihrer Führungsrolle und beim Implementieren einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Zu seinen Kunden zählen bedeutende internationale Unternehmen aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor.
martin@besser-fuehren.at, www.besser-fuehren.at