Meine Kollegin links von mir arbeitet so schnell, dass mir beim Zuschauen schon schwindlig wird. Wie im Zeitraffer flitzt die Maus über den Tisch und macht hektische Klickgeräusche. Der Kollege rechts von mir hat gerötete Wangen, seine Lippen sind zusammengepresst und die Augen funkeln verdächtig. Gleich kriegt er seinen täglichen Anfall, weil schon wieder überall nur Idioten arbeiten. Meine Mailbox füllt sich minütlich und meine Mutter hat schon drei Mal angerufen. Es ist erst 10:30 Uhr.
Ich atme. Und ich bemerke es sogar. Ich gratuliere mir selbst. Für zwei Minuten das Auge im Sturm. Und die zwei Minuten verändern meine nächste Stunde signifikant.
Autopilot vs. Achtsamkeit
Was für Autos im Alltag noch ein wenig Zukunftsmusik ist, ist für unser Gehirn ein alter Hut. Ein sehr gut und täglich getragener Hut: der Autopilot-Modus. Wir funktionieren, reagieren. Ping-Pong, ping-pong. Anforderung, Reaktion. Blitzschnell, unbewusst. Klar denken wir auch nach. Aber nicht auf der Metaebene. Zumindest nicht im Autopilot – wohl aber im Achtsamkeitsmodus bzw. Mindfulness-Modus (das Gegenteil von: mind is full).
Achtsamkeit bzw. Mindfulness ist ein Zustand der Klarheit und Präsenz. Klarheit darüber, was jetzt um uns und in uns selbst passiert. Das sorgt für ein wenig Abstand, weil wir zu einer Beobachterin und einem Beobachter werden. Raus aus dem Wirbel bzw. Sturm und sich selbst und die Situation von außen betrachten. Erstmal ohne das zu bewerten, in gut-schlecht einzuteilen. Einfach die Fakten feststellen: „Aha, so ist das jetzt.“ Zum Beispiel: „Was genau denke ich gerade? Und was bewirkt dieser Gedanke in mir? Welches Gefühl löst er aus? Was passiert dann mit meinem Körper?“
Der Kollege: Falls er jetzt gerade „Idioten!“ denkt, entsteht oder verstärkt sich dadurch Ärger und sein Körper und Gesicht spannt sich an. Bereit für Angriff oder Verteidigung. Er ist im Stress, im „Überlebenskampf“. Die Kollegin: Falls sie jetzt gerade „Das geht sich nie alles aus. Schneller, schneller!“ denkt, macht sie das wahrscheinlich besorgt-nervös, erhöht ihren Puls, ihre Muskeln spannen sich an, vielleicht fängt der Magen an zu ziehen, sie kennt das schon… Bei beiden schränkt sich der Wahrnehmungsfokus ein und auch die Qualität des Denkens, die Kreativität, die Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeiten. Hormonell gesteuert. Sofort. Es geht auch anders.
Abbildung aus: Matthew Johnstone „Den Geist beruhigen“
Ich atme und bemerke das alles. Für ein bis zwei Minuten lasse ich alle Gedanken über diesen Tag los und atme nur. „Ein, aus, ein, aus“ sind die einzigen Worte, die ich in mir zulasse und ich beobachte mich von innen: spüre, wie die Anspannung in meinem Brustkorb und Bauch nachlässt, wie meine Kiefer- und Stirnmuskeln wieder weicher werden. Ich versuche ein kleines Lächeln und sag mir aufmunternd: „So, wie mache ich das jetzt am besten…?“ Und ich arbeite ruhiger, weitsichtiger und umsichtiger weiter als zuvor.
Das ist bereits eine Mini-Mediation. Für alle, die sagen: „Meditation, nein danke, bäh, das ist nichts für mich! Im Schneidersitz am Boden hocken und nichts tun, nichts denken… bloß nicht! Und überhaupt: esoterischer Quatsch. Da bin ich lieber produktiv. Hab ja keine Zeit zu verschenken.“
3 Experimentier-Tipps „Achtsamkeit“ für jetzt gleich
Wieso nicht mal ausprobieren, was die wissenschaftliche Forschung längst als sehr wirksam belegt hat – für das Gehirn (es verändert sich strukturell!), die Gesundheit und die Wirksamkeit bzw. den Erfolg?
- One Minute to Arrive: Für eine erfolgreiche Besprechung ist es wichtig, sich voll und ganz auf die anderen zu konzentrieren. Wenn man sich gedanklich noch beim letzten Telefonat oder bereits bei der Präsentation befindet, hat damit Schwierigkeiten. Daher ist es sinnvoll, sich vor einem Meeting eine Minute Achtsamkeit zu gönnen. Aufrecht sitzen, bewusst einige Male ein- und ausatmen und zur Ruhe kommen. Man kann sich als Abschluss ein Ziel für diese Besprechung setzen – eine Intention, die das eigene Handeln dann leitet. Bereits im Meetingraum oder bevor man vom eigenen Schreibtisch aufsteht. Tipp für Mutige & Profis: Das Meeting gemeinsam mit „eine Minute in Stille atmen“ beginnen.
- Three Breaths: Anstehende Deadlines, steigende Frustration – In diesen Momenten laufen negative Gedanken gerne wild. Anstatt im Affekt zu handeln und seine Frustration an anderen auszulassen, besteht eine Möglichkeit darin, mit allem aufzuhören, was man gerade tut und drei Mal tief ein- und auszuatmen. In heftigen Fällen dürfen es gerne auch zehn Mal sein. Diese Übung hilft dabei, Spannung loszulassen und anschließend wirksamer über eine Lösung nachzudenken.
- Mindful Walking: Von einem zum anderen Meeting hetzen und beim Gehen weiterdenken – dies führt dazu, dass unser Kopf kontinuierlich auf Hochtouren läuft. Man kann Wege im Büro für geistige Pausen zu nutzen. Indem man seine Geschwindigkeit verringert und ganz bewusst einen Schritt vor den nächsten setzt, richtet man seine gesamte Aufmerksamkeit auf die eigene Bewegung. Der Kopf wird leer(er) und ruhig(er). Im Meeting angekommen, fühlt man sich fokussierter und wacher. Besonders fein ist es, wenn man während des Tages kurz an die frische Luft kann – sich z.B. um die Ecke was zu essen holt und in der Zeit nur beobachtet und dort ist, wo man gerade ist. Das sind wir nämlich selten…
Am besten einfach mal tun. Könnte ja gut sein. Und wenn es mehr sein darf: ein Training (bei uns) dazu buchen?
Mehr zu Hintergründen & Effekten von Achtsamkeit im HRweb-Artikel „Mindful Leadership“
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