Krisen-Management, Change-Management, Umbruch, neue Chancen. Welche Chancen und Risiken ergeben sich konkret für die Betriebliche Gesundheitsförderung? Ein schnelles Experten-Interview:
Ich bitte Mag. Veronika Jakl (Arbeitspsychologie Jakl) und Mag. Ina Lukl (IGB) getrennt voneinander zum Interview. Die Antworten sind erstaunlich deckungsgleich. Lesen Sie selbst:
Anm.d.Red. für jene Leser, die sich erst später zuschalten: wir schreiben den April 2020, d.h. wir stecken noch mitten in der Corona-Phase und werfen einen Blick voraus.
Experten-Interview
Welche neuen Themen/Risiken/Chancen bzgl. BGF ergeben sich aus der Krise?
Mag. Ina Lukl (IBG):
Die letzten Wochen haben zunächst einmal ein rasches Reagieren seitens der Unternehmen erfordert. Mitarbeitende wie Führungskräfte waren enorm gefordert, sich den gerade aktuellen Umständen anzupassen, wie z.B. Absagen oder Verzögerungen von Terminen und Projekten, Zurechtfinden mit Notfallbetrieb, Home Office und/ oder Kurzarbeit, eventuell noch zusätzlicher Herausforderungen durch die Organisation der Kinderbetreuung oder die Versorgung anderer Familienmitglieder, Unsicherheiten bezüglich der eigenen Gesundheit und/ oder eines möglichen Arbeitsplatzverlustes, unerwarteter oder unerwünschter Isolation, etc.
Während das Thema BGF aufgrund anderer Dringlichkeiten einerseits vorerst einmal bis auf weiteres auf Eis gelegt wurde, ergaben sich durch die unerwarteten Veränderungen und Einschränkungen mitunter Maßnahmen, die zuvor nicht denkbar, aber zum Teil durchaus erwünscht gewesen wären: Die Ermöglichung von Home Office zum Beispiel oder Videokonferenzen, wo zuvor stets persönliche Präsenz als unabdingbar galt. Führungskräfte, die einerseits Krisenmanagement im Sinne des Überlebens des Unternehmens betrieben, andererseits aufgrund der Unsicherheiten und Neuheiten als wichtige und präsente Ansprechpersonen für ihre Mitarbeitenden fungierten. Agile Unternehmen richteten ihre Aktivitäten sehr rasch auf die neuen Anforderungen aus und boten statt Teamevents oder Präsenzveranstaltungen Onlinekurse, Webinare, Podcasts usw. an.
Es konnten durch die Krise also viele Maßnahmen sehr rasch auf den Weg gebracht werden, v.a. hinsichtlich Agilisierung und Digitalisierung. Nun sieht es derzeit so aus, also würden wir Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehren und damit haben wir die große Chance, unser Handeln der vergangenen Wochen als Individuen, Teams und Unternehmen zu reflektieren und zu bewerten, was unserer Entwicklung förderlich oder hinderlich war, um uns letztlich zu entscheiden, was wir daraus an neuen Erkenntnissen und Handlungen in die Zukunft mitnehmen wollen.
Die Auswirkungen der vergangenen und kommenden Wochen, z.B. eine potenzielle Zunahme körperlicher oder psychischer Beschwerden oder innerfamiliärer Konflikte oder auch Beeinträchtigungen von Beziehungen im Arbeitskontext aufgrund der Beschränkungen durch die Regierung und der Maßnahmen seitens der Unternehmen, werden wir erst Schritt für Schritt erfassen. Für die BGF bedarf es aus meiner Sicht einer Reflexion der zuvor bereits bestehenden Thematiken hinsichtlich ihrer aktuellen Relevanz. Maßnahmen, die durch die Krise auf der Strecke geblieben sind, gilt es nun, langsam wieder aufzunehmen, gegebenenfalls anzupassen und zu ergänzen. Was voraussichtlich bleiben wird, ist ein verstärktes Bewusstsein, dass diese Welt eine unsichere und komplexe ist. Was uns dabei unterstützen kann, damit besser umzugehen? Auf persönlicher Ebene etwas mehr „grundlose Gelassenheit“. Auf Unternehmensebene jedenfalls das Lernen aus der Krise.
Mag. Veronika Jakl (Arbeitspsychologie Jakl):
Kurzfristig sieht man jetzt schon, dass virtuelle Meetings, Vorträge und Workshops genutzt werden. Das wird sicherlich auch die BGF-Angebote in den kommenden Jahren verändern. Diese werden wahrscheinlich hybride Formen annehmen mit einem Teil virtuell (z.B. Vorträge und Kurzinputs) und einem Teil offline (mit persönlichen Treffen). Das ist eine große Chance um auch Beschäftigte mit Betreuungspflichten und/oder in Teilzeit besser einzubinden in die Angebote. Jedoch sollte dann auch bei Offline-Angeboten noch mehr Wert darauf gelegt werden, dass die wertvolle Zeit der Beschäftigten gut genutzt wird.
Kurzfristig haben jedoch die Firmen auch andere Sorgen und Themen, vor allem wenn sie wirtschaftlich durch die Krise betroffen sind. Daher kommt es gerade zu einer starken Reduktion von BGF-Angeboten für die Beschäftigten und zu einer Pausierung von Projekten. Die Szene kann nur hoffen, dass sich dies in den nächsten Monaten wieder normalisiert.
Als Chance sehe ich, dass mittelfristig diese aktuelle Phase gut reflektiert wird hinsichtlich der Auswirkungen auf psychische und physische Gesundheit. Denn diese Wochen und Monate werden sicherlich Spuren bei uns allen hinterlassen – bei manchen mehr und bei anderen weniger.
Wenn in Zukunft mehr Beschäftigte Home-Office nutzen (dürfen), dann sollten Arbeitgeber auch darauf achten, die Gesundheit der Beschäftigten auch an deren Arbeitsplatz zu Hause ins betriebliche Gesundheitsmanagement miteinzubeziehen.
Die Gesprächspartner
Mag. Ina Lukl IBG GmbH Mag. Veronika Jakl Arbeitspsychologie Jakl |