Seit Jänner 2013 ist die Arbeitsplatzevaluierung verpflichtend. Immer noch gibt es Vorbehalte und Ängste. Aber auch bereits viel positive Effekte! Was steckt dahinter? Wir sehen uns nochmal die Hintergründe, Stolpersteine und positiven Seiten an:
Experten-Interview
Was beinhaltet eine Arbeitsplatzevaluierung?
Mag. Regina Nicham (IBG): Die Arbeitsplatzevaluierung ist im Arbeitnehmerschutz festgehalten und bedeutet, dass jeder Arbeitgeber Gefährdungen und Belastungen (psychisch und physisch) im Zusammenhang mit der Arbeit ermitteln, beurteilen und geeignete Maßnahmen gegen die ermittelten Gefahren festlegen muss. Grundidee dabei ist, dass sich Arbeitgeber selbständig und präventiv um die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeitenden kümmern sollen und die Evaluierung als natürlicher und selbstverständlicher Prozess angesehen wird. Die Evaluierung ist als unterstützendes und hilfreiches Instrument auf dem Weg zu einer gesunden Unternehmenskultur gedacht.
Mitarbeiter sind immer häufiger von psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz betroffen. Oftmals sind diese Belastungen zumindest mitverantwortlich für zahlreiche Krankenstände der Belegschaft.
Seit Jänner 2013 (Novellierung Arbeitnehmerschutzgesetz) ist es die Verpflichtung des Arbeitgebers auch die arbeitsbedingten psychischen Belastungen zu evaluieren – unabhängig von konkreten Problemen. Dabei geht es nicht um das Herausfiltern von psychisch erkrankten Mitarbeitenden, nicht um Zufriedenheit und Wohlbefinden und auch nicht um individuelle Befindlichkeiten oder den Gesundheitszustand. Im Fokus stehen der Arbeitsplatz und die Einwirkungen der Arbeitsbedingungen auf den Menschen, es geht dabei ausschließlich um die Bedingungen und Verhältnisse unter denen Arbeit stattfindet.
Die Arbeitsplatzevaluierung ist ein Prozess mit dem Ziel eine ständige Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erzielen
Worin liegen die Ängste der Unternehmen hinsichtlich einer Arbeitsplatzevaluierung?
Mag. Veronika Jakl (Arbeitspsychologie Jakl): Viele Geschäftsführungen scheuen den Aufwand und haben Angst, dass die Maßnahmen Unsummen kosten werden. Auch schrecken einige davor zurück externe Fachkräfte einzubeziehen, auch wenn dies sinnvoll ist, wenn die Kompetenz im Betrieb nicht vorhanden ist.
Gerade bei der Evaluierung psychischer Belastungen haben viele Unternehmen auch Angst vor dem Thema. Sie befürchten, dass sie jetzt für alle Probleme zuständig sind, die auch aus dem Privatleben kommen. Das kann man jedoch gut auffangen durch eine klare Trennung zwischen den Belastungen (Arbeitsbedingungen), die objektiv zu evaluieren sind, und den Beanspruchungen (Auswirkungen wie Gefühlen oder psychischen Erkrankungen), um die es überhaupt nicht geht im Gesetz.
Welche Positiva sind aus einer Arbeitsplatzevaluierung zu ziehen?
Mag. Veronika Jakl (Arbeitspsychologie Jakl): Am Ende einer professionellen Evaluierung sind alle Gefahren auf dem Tisch und es wurden auch bereits realistische, passende Maßnahmen gefunden. Nach einer Evaluierung psychischer Belastungen habe ich von einer Personalleiterin gehört: „Keine Mitarbeiterumfrage der Welt kann so tief in ein Unternehmen eindringen wie eine Evaluierung psychischer Belastungen. Es wird die ganze Firma durchleuchtet.“
Wenn dann die Maßnahmen weiterverfolgt und umgesetzt werden, dann haben alle etwas davon: Die Beschäftigten haben stressfreiere Arbeitsbedingungen und sind dadurch motivierter. Und die Firma profitiert von effizienteren Arbeitsabläufen, einer besseren Zusammenarbeit und engagierteren Leuten.
Durch technische und medizinische Evaluierungen werden arbeitsbedingte Krankenstände verringert und Arbeitsunfällen vorgebeugt.
Welche noch?
Mag. Regina Nicham (IBG): Ich denke, einerseits ist es wichtig auch bewusst zu machen, dass neben dem Thema der Belastungen auch die Ressourcen bzw. die Themen, die gut laufen sichtbar werden. Das Positive gerät leicht in den Hintergrund. Andererseits ist es auch ein wichtiges Instrument im Sinne der Wirkungskontrolle von gesetzten Maßnahmen oder auch Veränderungen im Unternehmen. Nach dem Motto: sich zu schmücken, was sich aufgrund von gezielten Maßnahmen des Unternehmens zum Positiven verändert hat.
Arbeitsbedingungen, die den Arbeitsaufgaben und Menschen angemessen sind, fördern die Gesundheit und die Produktivität der Mitarbeitenden, die Kommunikation und ein gutes Arbeitsklima. Verbesserung der Arbeitsorganisation, Optimierung der Arbeitsumgebung und der Arbeitszeitgestaltung, ausgewogene Informationsweitergabe und gelebte Wertschätzung und Anerkennung sind für alle ein Gewinn – für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer gleichermaßen. Nur mit gesunden, motivierten und damit zufriedenen Mitarbeitenden kann ein Optimum an Leistung und Produktivität erzielt werden. Die psychosozialen Belastungen sind zumindest mitverantwortlich für zahlreiche Krankenstände der Belegschaft. D.h. die Reduktion von Fehlzeiten und längeren Abwesenheiten kann ein wichtiger Mehrwert sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt und Argument für die Arbeitsplatzevaluierung ist, dass Maßnahmen gezielt und spezifisch gesetzt werden können (an der Ursache ansetzend und nicht nach dem Gießkannenprinzip) und Unternehmen auch Anregungen für weitere Entwicklungsschritte bekommen.
Und nicht zu vergessen: Wir verbringen in der Regel alle viel Zeit in der Arbeit. Und damit ist Arbeitsqualität auch Lebensqualität.
Die Gesprächspartner
Mag. Regina Nicham IBG GmbH Mag. Veronika Jakl Arbeitspsychologie Jakl |