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Arbeitsmarkt & Wirtschaft | Die Corona-Schere öffnet sich

22Jun2020
6 min
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HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Während sich die gesundheitliche Krise in Europa durch Corona seit April ausgedünnt hat, treten in der Wirtschaft die Unterschiede immer deutlicher hervor. Die Corona-Schere öffnet sich in vielfacher Hinsicht. Wer sich auf der einen Seite befindet, kann weiterhin ein gutes Leben führen und blickt in eine gute Zukunft. Für die anderen wird es immer prekärer.

Attraktive Gehälter der Beschäftigten in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit

Angesichts von rund 500.000 Arbeitslosen und weiteren 1,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit meinen viele, dass die restlichen Beschäftigungsverhältnisse unter massiven Druck kommen. Schließlich arbeiten von den rund 4,4 Millionen Erwerbstätigen in Österreich derzeit 40 % (!) nicht. Doch auf dem Arbeitsmarkt gelten andere Regeln als das klassische Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wer heute noch einen Job hat, führt mehr oder weniger das gleiche Leben wie vor der Krise. In manchen Unternehmen mag es zwar derzeit unstatthaft sein, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen. Die besten Mitarbeiter sind jedoch nach wie vor am Markt gefragt und erzielen die gleichen Gehälter wie vorher. Die Nachfrage etwa nach IT-Experten oder Technikern ist ungebrochen hoch.

Einige Branche profitieren, viele stürzen ab

Manche Branchen haben von der Corona-Krise massiv profitiert: Pharma, Apotheken, Labore, aber auch Produzenten von Mundschutzmasken, Steuerberater, IT-Unternehmen, wie Netflix oder Amazon sowie – besonders zu Krisenbeginn – der Lebensmitteleinzelhandel, der in einer traditionell statischen Branche Rekordumsätze vermelden konnte. Andere Branchen waren von den behördlichen Schließungen besonders negativ betroffen, wie insbesondere Hotellerie, Gastronomie, Eventmanagement oder der stationäre Einzelhandel.

Keine finanziellen Auswirkungen hatte die Krise kurzfristig auf die Gehälter im öffentlichen Sektor, wie etwa für Beamte, Sozialversicherungen oder Schulen. Die fehlenden Steuerleistungen der maroden Unternehmen bei gleichzeitig hohen Ausgaben für Unterstützungsleistungen werden jedoch in den nächsten Monaten auch im öffentlichen Bereich für leerere Kassen sorgen.

Bis dato noch unklar sind die Auswirkungen auf die Finanzbranche, die jedoch vermutlich durch Ausfälle von Krediten noch massiv unter Druck kommen wird. Bis 30. Juni ist die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen in finanzieller Schieflage noch ausgesetzt, danach könnte es zahllose Insolvenzen geben. Der Höhepunkt des Insolvenz-Tsunamis ist jedoch für Anfang 2021 zu erwarten, wenn Unternehmen die gestundeten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bis 31. Dezember nicht bezahlen konnten.

Einkommen aus Arbeit vs. arbeitsloses Einkommen

Wer die Welt aus der Brille eines Angestellten sieht, kennt nur die Unterscheidung in beschäftigt und arbeitslos. Wer hingegen nicht für Geld arbeitet, sondern etwa am Aktien- oder Immobilienmarkt investiert ist, befindet sich bereits nach wenigen Monaten zurück im Zustand vor der Krise. Die Börsenmärkte haben mittlerweile den Verlust der Corona-Krise weitgehend aufgeholt, und auch an den Immobilienmärkten sind keine niedrigeren Preise als vorher zu betrachten. Während Unternehmen und ihre Mitarbeiter in vielen Fällen die Auswirkungen der Krise massiv zu spüren bekommen, waren arbeitslose Einkommen, etwa aus Wertpapieren oder Immobilien, nur kurzfristig betroffen. Der Trend für die Börsenkurse und Immobilienpreise in guten Lagen zeigt ungebrochen nach oben. Der Unterschied zwischen der arbeitenden Bevölkerung und den Vermögenden stieg schon in den letzten Jahrzehnten und vergrößert sich derzeit enorm.

Digitalisierung

Corona ist ein Brandbeschleuniger für die Veränderungen der digitalen Ära. Während sich bis Jahresanfang 2020 noch zahlreiche Unternehmen gegen Home Office gewehrt hatten, zählt dies nun in allen Unternehmen zum guten Ton, selbst in so konservativen Organisationen wie Banken, Versicherungen oder Schulen. Die Corona-Krise hat die Versäumnisse früherer Jahre eindeutig sichtbar gemacht. Wer bereits digitalisiert war, arbeitete weiter bisher. Die anderen mussten in Windeseile umstellen und holten viele Jahre in wenigen Wochen auf. Wer jetzt noch nicht digitalisiert ist, ob Unternehmen oder Schüler ohne Laptop, wird abgehängt.

Produktivität, Agilität, Liquidität

In den 1980-er Jahren war Produktivität das Gebot der Stunde. In den letzten Jahren stand agiles Arbeiten und Flexibilität im Vordergrund, sei es im Projektmanagement mit agilen Methoden wie Scrum oder Kanban, oder auch die Flexibilität von Arbeitszeiten und Arbeiten mit Laptop im Home Office. In Corona-Zeiten, wie in jeder Krise, gilt hingegen der alte Merksatz: „In Krisenzeiten ist Cash der König.“ Wer ausreichend Liquidität aufgebaut hat, kann auch gut eine mehrmonatige Krise überstehen. Wer hingegen von der Hand in den Mund lebt oder in letzter Zeit große Investitionen getätigt hat, meist in Grundstücke und Gebäude, wird von der Krise nach kurzer Zeit aufgefressen. Von der Bank in dieser Phase einen Kredit zu erhalten, ist für Unternehmen ohne Rücklagen fast aussichtslos. Die Argumentation der Banken lautet dem Vernehmen nach: „Wer nach wenigen Wochen Corona-Krise schon einen Kredit braucht, ist ohnehin dem Ende nahe.“ Wenn die Banken keinen Kredit auszahlen wollen, helfen auch staatliche Garantien nicht.

Große Unternehmen und KMU

Die meisten großen Unternehmen kommen offenbar recht gut durch die Corona-Krise. Viele von ihnen haben die letzten zehn Jahre gute Gewinne geschrieben und haben teilweise Rücklagen in Milliardenhöhe. Kleine Unternehmen, insbesondere mit hohen Ausgaben für Mitarbeiter und Mieten, konnten wenig Geld zurücklegen und haben hohe laufende Kosten im Verhältnis zum Umsatz. Die staatlichen Hilfen unterstützen eher die Situation der großen Unternehmen, die unter anderem von den neuen Regeln der Kurzarbeit profitieren. Selbst die üblichen saisonalen Schwankungen der Arbeitslast können manche Unternehmen durch Einführung von Kurzarbeit auf Kosten des Steuerzahlers finanziell ausgleichen.

Ein Einzelunternehmer hingegen kann sich nicht in Kurzarbeit schicken. Diese Gruppe „lebt“ vom Almosen des Härtefallfonds, der durchschnittlich knapp über 500 Euro pro Monat ausmacht. Manche von ihnen haben ihr Gewerbe wieder abgemeldet und erhalten Arbeitslosengeld, das meist höher ist als die Zahlungen des Härtefallfonds. Weniger von der Krise betroffen sind Einpersonenunternehmen (EPU), deren Geschäft digital und ohne persönlichen Kundenkontakt abgewickelt werden kann, wie etwa spezialisierte Unternehmensberater, und die keine hohen Geschäftsmieten und natürlich auch keine Personalkosten außer ihren Unternehmerlohn haben.

Junge und schlecht qualifizierte vs. erfahrene, qualifizierte Mitarbeiter

Besonders hart von der Arbeitslosigkeit werden derzeit junge Mitarbeiter getroffen. Kurzarbeit darf für geringfügig Beschäftigte nicht in Anspruch genommen werden, wodurch die klassischen Studentenjobs in der Corona-Krise meist vollständig gestrichen wurden. Bei den unter 25-Jährigen stieg die Arbeitslosigkeit schon in den ersten Krisenwochen fast um das Doppelte gegenüber dem Vormonat. Erfahrene Experten haben hingegen deutlich bessere Jobchancen und werden von ihrem Arbeitgeber meist unverändert stark umworben. Programme zur Mitarbeiterbindung der besten Fachkräfte sind auch in Krisenzeiten besonders wichtig.

Da sich junge Menschen meist noch kein solides berufliches Netzwerk aufbauen konnten, wird ihnen vermutlich auch der Berufseinstieg nach der Ausbildung in der nun aufkommenden Wirtschaftskrise noch schwerer fallen als sonst. Der Umstand, dass Universitäten und Fachhochschulen fast durchgehend bis zum Sommer geschlossen sind, verstärkt den Mangel an sozialem Austausch und den Aufbau guter Beziehungen zu Studienkollegen und Professoren. Für den Herbst haben einige Fachhochschulen bereits angekündigt, mehr als 50 % des Unterrichts als Distance Learning durchzuführen. Dadurch wird es jungen Menschen zusätzlich erschwert, sich das so wichtige Netzwerk aufzubauen.

Die Arbeitslosigkeit für Angestellte stieg auch in Corona-Zeiten nur um 0,8 %, während sie für Arbeiter 12 % betrug. Aufgrund des hohen Ausländeranteils bei Arbeitern sind Migranten von der Corona-Krise deutlich stärker betroffen. Durch die Schließungen der Schulen stand diese Gruppe zusätzlich unter Druck: Da in bildungsferneren, finanziell schlechter gestellten Familien die Ausstattung mit Laptops und WLAN erheblich geringer ist als in gut situierten Familien, wird auch die nächste Generation schlecht qualifizierter Migrantenfamilien beim Thema Bildung noch weiter abgehängt.

Fazit: Corona verstärkt die Unterschiede in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt.

Wer gut qualifiziert ist, sein berufliches Netzwerk aufgebaut hat, in einem Konzern oder einem flexiblen Kleinunternehmen mit schlanker Kostenstruktur arbeitet, ein digitales Geschäftsmodell hat, schon bisher am Arbeitsmarkt gefragt war und in einer wenig getroffenen Branche beschäftigt ist, lebt und arbeitet weitgehend weiter wie bisher. Für alle anderen beginnen jetzt wohl deutlich schwierigere berufliche Jahre.

Arbeitsmarkt & Wirtschaft | Die Corona-Schere öffnet sich

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