Junge Menschen haben ständig das Handy in der Hand. Ist es gerade deshalb ratsam, Lehrlingsausbildung stark digital zu gestalten. Oder sollten grade deshalb eher andere Lernmethoden bevorzugt werden?
Ein Interview mit Experten aus dem Lehrlings-Sektor:
Experten-Interview
Macht digitales Lernen in der Lehrlingsausbildung Sinn? Wenn ja: weshalb gerade hier? Wenn nein: weshalb nicht?
Mag. Peter Wiltsche (il Aus- und Weiterbildung): Ja, ja – und nochmals ja! Gerade mit Jugendlichen macht digitales Lernen aus vielen unterschiedlichen Perspektiven Sinn. Zum Beispiel, weil man das Lernen direkt dort hat, wo auch die Lehrlinge sind: Am Smartphone. Natürlich auch am Tablet oder am PC, aber vor allem das Smartphone ist hier erwähnenswert, weil es mittlerweile ein Begleiter der Jugendlichen (und auch der Erwachsenen) ist, der nicht mehr wegzudenken ist. Da könnte man jetzt darüber diskutieren, ob das wünschenswert ist – aber Fakt ist: es ist so. Durch diese Verfügbarkeit sinkt die Hemmschwelle, sich mit Lerninhalten auseinanderzusetzen – weil sie viel schneller und unkomplizierter verfügbar sind. Andererseits sind vom Lerndesign her viele lernfördernde Dinge sehr viel leichter und unkomplizierter möglich als früher: Micro-Trainings, Gamification oder „Challenge by choice“ sind hier nur einige Stichworte.
MMag. Victor Mihalic (Easybusiness Training): Das macht nicht nur Sinn, sondern ist eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Lehrlingsausbildung. Die Lehrlinge sind technikaffin und offen für EDV-unterstütztes Lernen. Der Knackpunkt ist sicherlich: Wie bringe ich die Lehrlinge zum Selbstlernen. Die Lehrlinge muss man in dieser Phase leiten und begleiten. Aber das digitale Lernen bietet vielfältige Möglichkeiten, die Lernmotivation zu steigern: Storytelling, Online-Quiz und Wettbewerbe etc. Langfristig muss der Lehrling jedoch einen Sinn im Lernen sehen. Der Lernerfolg muss nachgewiesen, dokumentiert und auch honoriert werden. Angesehene Zertifikate bieten solche Anreize.
Mag.(FH) Catrin Mayerhofer-Trajkovski, MA: Jede Art von Lernen macht Sinn, wenn der Lehrling diesem ernsthaft nachgeht. Ich glaube, dass eine Möglichkeit aus Blended Learning eine ganz gute Option wäre, bei der durch Präsenztermine das digital Gelernte nochmals wiederholt und auch etwas kontrolliert werden kann. Grundsätzlich ist die Art des digitalen Lernens für diese Zielgruppe aufgrund des Alters ideal. Nur digitales Lernen als Methodik anzuwenden, finde ich zu wenig.
Welche konkreten Möglichkeiten gibt es, digitales Lernen in die Lehrlingsausbildung zu bringen? Geht das nur als großes Unternehmen mit dem dementsprechenden finanziellen Hintergrund?
MMag. Victor Mihalic (Easybusiness Training): Digitale Bildung reduziert die direkten, aber vor allem auch die indirekten Kosten (Abwesenheitszeiten, Koordinierungsaufwand) radikal. Zudem gibt es gerade für die Lehrlinge eine Vielzahl an Fördermöglichkeiten für Bildungsmaßnahmen.
Mag.(FH) Catrin Mayerhofer-Trajkovski, MA: Denke ich nicht. Es gibt mittlerweile sehr gute Lernapps, die sehr gut und einfach anzuwenden sind. Z. B.: Kahoot. Da benötigt man nicht viel dazu und es ist auch nicht mit hohen Kosten verbunden.
Gernot Schneebauer (HeartBeat): Viele große Unternehmen gehen diesen Weg schon länger und haben große Teile ihrer fachlichen Ausbildung auf digital umgestellt. Hier gibt es schon viele diverse E-Learning Tools. Was alle kennzeichnet ist: kein bis wenig Papier, alle Unterlagen soweit als möglich digital, interaktiv, Inhalte werden in kurze, verdaubare Einheiten gegliedert (viele Bilder und kurze Erklärvideos), wo am Ende jeder Lerneinheit sofort die Möglichkeit einer digitalen Überprüfung möglich ist. Nicht nur die Lehrlinge, auch ihre Ausbildner sehen den Lernfortschritt und die Entwicklung. Gute Tools bereiten den Lehrling schon während der ganzen Lehrzeit auf die LAP (Lehrabschlussprüfung) vor und berücksichtigen auch die fachlichen Schwerpunkte des Unternehmens.
Für ein kleineres Unternehmen ist der Einstieg in die digitale Lernwelt natürlich schwieriger. Hier ist nicht nur der finanzielle Aufwand höher, eine große Hürde sind vor allem die internen Ressourcen und das Know-How. Die E-Learning Tools sind nur so gut, wie der Inhalt und das Design der Lerneinheiten. Größtes Problem ist hier die Zeit – wer erstellt die Inhalte, den Ablauf (angepasst auf das Unternehmen) und wer überprüft die Lernfortschritte der Lehrlinge bzw. entwickelt das Tool weiter?
Für kleinere Unternehmen ist hier die beste Möglichkeit, dieses Thema in einer Kooperation mit anderen Unternehmen anzugehen. Wir betreuen derzeit mehrere Branchen-Kooperationen (Tischler, Metallverarbeiter, Gastronomie, Sporteinzelhandel, Textileinzelhandel). Mit unserer Tischlerkooperation haben wir auf Wunsch der Lehrlingsausbildner eine eigene E-Learning Plattform entwickelt. Der fachliche Aus- und Weiterbildungsplan pro Lehrjahr wurde mit Hilfe der Ausbildner aus den Unternehmen in Lerneinheiten gestückelt und daraus Aufgabenblöcke erstellt. Die Lehrlinge bekommen in regelmäßigen Abständen diese Aufgaben auf die Plattform und müssen auch ständig mit ihren Ausbildnern kommunizieren bzw. die Ergebnisse überprüfen lassen, bevor sie weitermachen können. Dadurch haben wir auch die analoge Welt (miteinander sprechen) wieder eingebaut. Ausgehend von den Seminaren bei uns bekommen sie auch regelmäßig Aufgaben im Bereich Persönlichkeitsentwicklung. Die Kosten sind pro Unternehmen recht überschaubar (geteilt durch 16 Firmen), die Betreuung der Plattform erfolgt durch HeartBeat. D.h. dadurch schonen wir die sehr knappen zeitlichen Ressourcen in den Betrieben.
Für Unternehmen, die in keiner Kooperation sind, gibt es für einige (wenige) Branchen Lernapps für die fachlichen Themen. In OÖ hat es die WKO erstellen lassen.
Woher weiß ein Unternehmen, welches (digitale) Tool das richtige für dieses Unternehmen ist?
Gernot Schneebauer (HeartBeat): Hm, das ist gar nicht so leicht. Es gibt schon viele und alle sind die Besten???? Da hilft nur, einige Anbieter checken und sich die Tools präsentieren lassen. Zu empfehlen ist auch, Kontakt mit Unternehmen aufnehmen, die schon LMS (Learning-Management-Systeme) verwenden und sich deren Erfahrungen erzählen lassen.
Noch ein Tipp: sich im Vorfeld klar sein, was ich konkret möchte – und was nicht. In die Auswahl auch die Lehrlingsausbildner einbinden, ev. sogar Lehrlinge im 3. Lehrjahr.
Mag. Peter Wiltsche (il Aus- und Weiterbildung): Der Kern der Sache ist definitiv, sich zu überlegen, was das Tool können soll und wofür man es braucht. Auch die Nutzung ist eine wesentliche Frage – wann und wie soll es genutzt werden? Da empfiehlt es sich, sich einen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten zu verschaffen, auch rechtliche Rahmenbedingungen abzuklären (bspw. BYOD) und lieber etwas später, dafür umso zielgerichteter zu starten.
Die Gesprächspartner
Victor Mihalic Easybusiness Training Gernot Schneebauer HeartBeat GmbH Mag.(FH) Catrin Mayerhofer-Trajkovski, MA Mayerhofer-Trajkovski Mag. Peter Wiltsche il Aus- und Weiterbildung GmbH |
Ich danke sowohl für Ihre Expertise als auch für Ihre Geduld!
Mein persönlicher Luxus ist es, mitunter auch kontroverse Aussagen im Interview präsentieren zu können. Über den Tellerrand sehen und letztendlich dadurch den Mehrwert generieren. Besonderen Spaß macht es mir, darüber hinaus freche, unerwartete, provokante Blickwinkel dabei zu haben.