Führungskräfte sollten ihre gewohnten Reiz-Reaktionsmuster reflektieren. Und sofern nötig durchbrechen. Gerade in Krisen-Zeiten. Denn: In ihnen sind auch ihre Mitarbeiter hochgradig verunsichert. Entsprechend empfindsam sind sie.
Autor: Rainer Paszek
Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie fordern und belasten die Führungskräfte der Unternehmen in vielerlei Hinsicht, denn: In ihnen müssen nicht nur viele Entscheidungen und gewohnte Vorgehensweisen überdacht werden; auch das Führungsverhalten muss den veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden.
So fragen sich denn auch viele Führungskräfte aktuell: Wie kann ich in diesem von einer hohen Unsicherheit geprägten Umfeld
- als Entscheider meine Handlungsfähigkeit bewahren,
- als „Leader“ meine Mitarbeiter durch den Dschungel der Veränderungen führen und zugleich
- als Mensch mir meine Freude am Job bewahren und u.a. im Mitarbeiterkontakt die nötige Zuversicht und Gelassenheit ausstrahlen?
Eine erhöhte Achtsamkeit ist gefragt
So unterschiedlich die Antworten auf diese Frage sein mögen, ein Faktor ist für das Bewältigen der hinter ihr stehenden Herausforderungen unabdingbar: eine erhöhte Achtsamkeit beim Führen der eigenen Person sowie der Mitarbeiter – auch Mindful Leadership genannt.
„Mindfulness“, also Achtsamkeit, ist eine besondere Form der Konzentration, bei der man bewusst wahrnimmt, was im Moment ist und geschieht – und zwar ohne dies zunächst zu beurteilen. Ein Vordenker in diesem Bereich war Dr. Jon Kabat-Zinn, ein emeritierter Professor der University of Massachusetts Medical School in Worcester. Er entwickelte in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Trainingsprogramm namens „Mindfulness Based Stress Reduction“, um nachhaltig besser mit Stress sowie beruflichen und privaten Herausforderungen umzugehen. Seine Kerninhalte sind verschiedene Meditationsformen sowie eine gezielte Entwicklung der Achtsamkeit im Alltag. Dieses Programm wird seit über 40 Jahren in mehr oder minder modifizierter Form in der Personalentwicklung angewendet und wissenschaftliche Studien belegen seine positiven Effekte – nicht nur auf der psychologischen Ebene.
Das Führungsverhalten verschärft reflektieren
Im Zentrum des Programms steht die Entwicklung der Selbststeuerungsfähigkeit durch eine sensiblere Wahrnehmung von sich selbst. Sie ermöglicht es, unbewusst wirkende Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster in sich zu erkennen und bei Bedarf außer Kraft zu setzen – also eingeübte Reiz-Reaktionsmuster zu durchbrechen, denn: Durch diese Form des Bewusstseins-Managements vergeht zwischen dem jeweiligen externen Reiz und unserer Reaktion auf diesen eine kleine Zeitspanne. In ihr können wir unsere Antwort bzw. Reaktion auf den Reiz bewusst wählen. Die achtsame Wahrnehmung dieses inneren Prozesses ermöglicht es uns somit, unser Empfinden und Verhalten zu steuern.
Dies ist gerade in Krisenzeiten beim Führen von Mitarbeitern wichtig, denn in ihnen sind auch diese oft hochgradig verunsichert und belastet. Deshalb achten sie stärker als in „normalen“ Zeiten auf die Reaktionen, das Verhalten und die Aussagen ihrer Führungskräfte und versuchen hieraus, Antworten auf solche Fragen abzuleiten wie:
- Wie sicher ist mein Arbeitsplatz?
- Wie viel Vertrauen schenkt mir mein Chef noch?
- Wie loyal ist er seinen Mitarbeitern gegenüber?
Sich der Wirkungen des Verhaltens bewusst sein
Deshalb kann ein Verhalten, das in „normalen“ Zeiten durchaus zielführend ist, in Krisensituationen extrem negative Wirkungen haben. Also müssen Führungskräfte in ihnen ihr Verhalten verschärft reflektieren und gegebenenfalls neu justieren. Allein fällt dies Führungskräften in Zeiten, in denen selbst unter Druck stehen, oft schwer. Deshalb sollten Unternehmen gerade dann erwägen, ihren Führungskräften einen Coach zur Seite zu stellen.
Wenn Fürhungskräfte ihre Achtsamkeit steigern, können sie ihre Führungsaufgaben authentischer und erfolgreicher wahrnehmen. Das erkannte zum Beispiel Google schon 2007 und etablierte weltweit ein Mindful-Leaderhip-Programm in seiner Organisation. Auch viele deutsche Unternehmen haben inzwischen die Bedeutung einer gezielten Schulung der Achtsamkeit nicht nur ihrer Führungskräfte erkannt und bieten ihnen entsprechende Trainings an.
Mindful Leadership hat viele positive Effekte
Durch ein achtsamkeit-basiertes Leadership-Programm können bei Führungskräften folgende positiven Wirkungen erzielt werden:
- Konzentrationsfähigkeit und Kreativität steigen,
- Aufbau nachhaltiger Stressbewältigungsstrategien,
- verbesserte Selbst- und Fremdwahrnehmung,
- Ausbau wichtiger Führungskompetenzen wie Empathie und Emotionale Intelligenz,
- flexiblerer Umgang mit (neuen) Herausforderungen.
Hieraus resultieren für die Unternehmen folgende positiven Effekte:
- höhere Produktivität aufgrund effektiverer Führungsarbeit,
- höhere Motivation und Zufriedenheit im Team,
- weniger krankheitsbedingte Fehltage,
- ein vernetzteres Denken und Handeln,
- höhere Arbeitsidentifikation aufgrund eines besseren Betriebsklimas.
Die Kompetenz zur Selbstführung trainieren
Die Basis für eine achtsame Führung ist eine bewusste Selbstführung. So kennen achtsame Führungskräfte zum Beispiel ihre Werte, Einstellungen und Motive. Deshalb wissen sie, warum sie gerade in Stress-Situationen zu gewissen Reaktionen neigen. Also können sie ihr Verhalten auch steuern.
Das dahinter stehende „Selbst-Bewusstsein“ fällt nicht vom Himmel: Es erfordert vielmehr Veränderungsbereitschaft, Zeit sowie ein regelmäßiges Üben. Für Führungskräfte bedeutet dies konkret: Sie sollten zum Beispiel täglich circa 20 Minuten in ihre Entwicklung investieren und die eigene Achtsamkeit beispielsweise durch Meditation trainieren – gerade in Zeiten wie den aktuellen.
Gast-Autor
Rainer Paszek, Eglfing (Oberbayern), arbeitet als Führungskräftetrainer und -coach. Zudem ist er Lehrcoach sowie zertifizierter Mediator (Webseite: www.fuehrungskraefteentwicklung.team).
Achtsame FKs| Sich selbst und die Mitarbeiter achtsam führen