Was bedeutet New Work für uns? Auf diese Frage muss jedes Unternehmen seine eigene Antwort finden. Davon sind die beiden Change- und New Work-Berater Caroline Zielke und Max Leichner von der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner überzeugt.
Interview-Partner
Die Interviewpartner arbeiten als Change- und New Work-Berater für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Diese bietet eine berufsbegleitende New Work Pioneer Ausbildung an, in der Max Leichner und Caroline Zielke als Lead-Trainer fungieren.
Das Interview
Frau Zielke und Herr Leichner, Ihr Unternehmen bietet seit diesem Jahr eine Ausbildung zum New Work Berater bzw. Pioneer an. Warum?
Max Leichner: Wir reagieren damit auf eine entsprechende Nachfrage von Unternehmen und teils der Beraterzunft.
Inwiefern?
Leichner: Viele Unternehmen haben im Verlauf der Corona-Krise erkannt, dass sie, um zukunftsfit zu sein, unter anderem die Zusammenarbeit in ihrer Organisation neu strukturieren müssen. Offen ist aber noch die Frage: Wie? Hierauf versuchen sie in der New Work-Debatte, für sich passende Antworten zu finden.
Die Arbeit mit den Mitarbeitern neu gestalten
Was unterscheidet diese von der Agilitätsdebatte in den zurückliegenden Jahren?
Zielke: In der Debatte über das Thema Agilität stand primär die Frage zentral: Wie gelingt es uns, in unserer Organisation die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um adäquat auf die Herausforderungen zu reagieren, vor denen wir in der von rascher Veränderung geprägten VUKA-Welt stehen? Die Frage, wie gewinnen wir die Mitarbeiter für dieses Anliegen, spielte hierbei eine eher nachgeordnete Rolle. Bei der New Work-Debatte hingegen spielt zwar auch der Wunsch der Unternehmen, sich zukunftsfit zu machen, eine zentrale Rolle. Die Mitarbeiter mit ihren Wünschen und Bedürfnissen stehen aber stärker im Fokus. Das verändert die Diskussion.
Wie kam es dazu?
Leichner: Aus unserer Warte stehen eigentlich alle Themen, die aktuell in Zusammenhang mit dem Thema New Work diskutiert werden, zumindest latent schon lange auf der Tagesordnung der Unternehmen.
Welche zum Beispiel?
Zielke: Zum Beispiel die Frage: Wie gelingt es uns in unserer arbeitsteiligen Welt, den Wunsch der Mitarbeiter zu befriedigen, ihre Arbeit als sinnhaft zu erfahren? Oder: Wie schaffen wir es, dass bei unseren Mitarbeitern, die zunehmend in virtuellen Teams arbeiten, trotzdem ein Wir-Gefühl entsteht?
Leichner: Oder wie gestalten wir, dem Wunsch vieler Angehörigen der Generation Y und Z entsprechend, die Arbeit so, dass ihnen ausreichend Raum und Zeit zur Selbstverwirklichung im privaten Bereich bleibt?
Zielke: Richtig. All diese Themen wurden durch Corona-sozusagen von der Hidden Agenda mancher Personaler auf die offizielle Unternehmensagenda gehievt.
Die Corona-Pandemie beschleunigte das Umdenken
Wieso?
Zielke: Ausgelöst durch die Pandemie mussten die Unternehmen viele Arbeitsprozesse und die Zusammenarbeit neu strukturieren.
Weil ihre Mitarbeiter zum Beispiel im Homeoffice arbeiteten?
Zielke: Ja, und manche Mitarbeiter fanden dies schrecklich, andere toll. Auf alle Fälle stellten sie sich aber verschärft die Frage: Was ist mir bei meiner Arbeit wichtig und wie sieht für mich eine gesunde Work-life-balance aus? Hieraus erwuchsen auch neue Erwartungen an ihre Arbeitgeber.
Leichner: Zudem sammelten viele Unternehmen die Erfahrung: Wenn unsere Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten, bröckelt mit der Zeit oft auch ihre emotionale Bindung ans Unternehmen. Also stellt sich für sie verschärft die Frage: Wie kriegen wir die divergierenden Interessen unter einen Hut und wie stellen wir sicher, dass die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen und ihre Motivation gewahrt bleiben?
Zielke: Aber auch: Wie schaffen wir es, dass bei allen Gestaltungsfreiräumen, die wir bieten, noch ein gemeinsames Commitment auf bestimmte Ziele und Werte besteht?
Trotz großer Freiräume das Wir-Gefühl bewahren
Also, dass nicht jeder macht, was er möchte, und zum Beispiel der Führungsstil beliebig wird?
Zielke. Ja, denn über allem steht die Maxime „Wir sind eine Gemeinschaft und haben als solche auch ein gemeinsames Ziel“, und jeder leistet seinen Beitrag, damit wir dieses erreichen. Hierfür gilt es die nötige Kultur zu schaffen.
Das klingt vielschichtiger als man zunächst denkt, wenn man das Wort New Work hört.
Zielke: Ist es auch, denn wenn man sich mit dem Thema ernsthaft befasst, landet man schnell bei Fragen wie: Für welche Werte stehen wir als Unternehmen? Von welchem Menschenbild lassen wir uns bei der Zusammenarbeit leiten? Was bedeutet für uns Führung und welchen Wert messen wir ihr bei?
Leichner: Außerdem: Wie strukturieren wir künftig unsere Organisation, denn in der Struktur einer Organisation spiegelt sich deren Kultur wider.
Unternehmen müssen sich zum Teil neu erfinden
Das klingt, als müssten sich die Unternehmen neu erfinden.
Leichner: Partiell ja. Zumindest stößt man, wenn man sich mit dem Thema New Work befasst aufgrund der vielen Wechselwirkungen auf immer neue Fragen, die es zu berücksichtigen gilt.
Was sind aus Ihrer Warte die Kernelemente von New Work?
Leichner: Offen gesagt, letztlich wissen wir das nicht.
Obwohl Sie eine New Work Berater bzw. Pioneer Ausbildung anbieten?
Leichner: Ja, denn in Zusammenhang mit dem Begriff New Work werden zwar oft Vokabeln wie Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft genannt (siehe Kasten 1); zudem werden Forderungen laut, wie dem Einzelnen die nötigen Freiräume zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu bieten, doch konkretisiert und operationalisiert werden diese Vokabeln und Forderungen meist nicht.
Zielke: Bezogen auf uns bedeutet dies: Wir wissen zwar aus entsprechenden Projekten, welche Dimensionen das Thema New Work berührt und worauf beim Planen und Durchführen solcher Projekte zu achten ist, doch letztlich muss jedes Unternehmen selbst entscheiden: Was bedeutet für uns New Work?
Leichner: Und diesen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess gilt es zu moderieren.
Den Changeprozess moderieren
Das klingt, als sei der Begriff New Work eine Leerformel, in die jede Person bzw. Organisation alles packen kann, wovon sie träumt.
Leichner: So beliebig ist dies nicht. Schließlich hat jedes Unternehmen aufgrund seiner Historie auch bestimmte Stärken und Kompetenzen. Zudem steht es aufgrund seiner Geschäftstätigkeit und Marktposition vor speziellen Herausforderungen. Diese Faktoren müssen in die Debatte einfließen, sonst wird das Ganze zur Tagträumerei.
Zielke: Auch deshalb bedarf es in der firmeninternen Debatte über das Thema New Work Moderatoren – also Personen, die die Betroffenen situationsabhängig mal dazu animieren, über ganz neue Problemlösungen nachdenken, und mal nachfragen: Welche Auswirkungen hat es für die anderen Bereiche, wenn wir diese Idee realisieren? Nehmen wir dann noch unsere Funktion in der Organisation wahr?
Also Personen, die die Diskussion bei Bedarf auch wieder erden?
Zielke: Ja. Zudem bedarf es Personen, die als Sounding Board der Interessen, Bedürfnisse und Befürchtungen der Mitarbeiter gegenüber der Unternehmensleitung dienen.
Leichner: Letztlich haben die Personen, die wir „New Work Pioneers“ nennen, also zwei Funktionen: Erstens dafür zu sorgen, dass das sogenannte Employee Voice in die Planungen des Managements einfließt und zweitens, dafür zu sorgen, dass die Veränderungen auf der operativen Ebene sich an den gemeinsamen Werten und Zielen orientieren.
„New Work Pioniere“ auf ihrer Lernreise begleiten
Und in Ihrer Ausbildung bilden Sie Personen mit den hierfür erforderlichen Fähigkeiten aus?
Zielke: Ich würde eher sagen: Wir begleiten sie in ihrer Entwicklung zu Persönlichkeiten, die über die Kompetenz verfügen, diese Aufgabe professionell wahrzunehmen.
Warum?
Zielke: Weil wir ihnen nicht, wie ein Lehrer sagen können „Tue dies und das, dann ist in deinem Unternehmen New Work realisiert“ – und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Kleinunternehmen oder einen Konzern, eine Reinigungsfirma, eine Forschungseinrichtung oder ein Produktionsunternehmen handelt. Die Antwort auf die Frage „Was ist New Work und wie erreichen wir in unserer Organisation das angestrebte Ziel?“ muss jeder Teilnehmer letztlich selbst finden – im Diskurs mit uns und den anderen Teilnehmenden und noch viel wichtiger mit den Betroffenen in dem Unternehmen, in dem oder für das er arbeitet. Wir können ihn nur bei seiner Lernreise unterstützen und begleiten.
Ist Ihre Ausbildung deshalb modular aufgebaut und erstreckt sich über einen Zeitraum von vier Monaten?
Leichner: Ja, und deshalb muss auch jeder Teilnehmende im Rahmen der Ausbildung ein New-Work-Projekt in dem Unternehmen, für das er tätig ist, im Dialog mit den Betroffenen planen und zumindest initiieren.
Überfordert das die Teilnehmer nicht?
Leichner: Nein, denn zum einen werden sie in den ersten beiden Ausbildungsmodulen auf diese Aufgabe vorbereitet. Zum anderen werden sie während der gesamten Ausbildung von den Lead-Trainern, also Caroline und mir, intensiv gecoacht. Zudem muss es sich bei ihrem Projekt ja nicht um so ein Megaprojekt handeln. Das Projektziel kann auch lauten: „Wir schaffen in der Abteilung x die Rahmenbedingungen, dass das aktuelle Provisorium ‚Arbeiten im Homeoffice‘ ein fester Bestandteil des Regelbetriebs wird.“ Oder: „Wir gestalten im Bereich y die Zusammenarbeit so, dass jeder Mitarbeiter das Gefühl hat, ich mache eine sinnvolle Arbeit und kann meine Kompetenzen einbringen.“ Auch bei solchen Kleinprojekten gilt es so viele Einflussfaktoren zu beachten, dass sie gute Lernprojekte sind.
Zielke: Zudem können sie als Pilotprojekte für komplexere Projekte oder Projekte in anderen Bereichen dienen und kann von ihnen deshalb auch eine Initialzündung ausgehen.
Leichner: Entscheidend ist, man macht sich irgendwann auf den Weg.
Zielke: Und jeder Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt.
Frau Zielke und Herr Leichner, danke für das Gespräch.