Aktuell liegt die Quote der Lehrabbrüche in Österreich bei ca 18,5%*. Das erscheint mir recht hoch. Habe ich recht mit der Annahme? Worin liegen die Haupt-Gründe für einen Lehr-Abbruch?
* Quelle: www.statista.com/…
Meine Experten-Runde für dieses Interview setzt sich sehr bunt zusammen:
- Catrin Mayerhofer-Trajkovski unterstützt Unternehmen bei der Lehrlingssuche, der Lehrlingsbetreuung, hat viel Erfahrung mit dem Förderwesen … und ist eine meiner sehr liebgewonnene Wegbegleiterinnen in den letzten Jahren!
- Robert Frasch hat sich mit seiner Lehrlingspower in der Ausbilder-Szene einen Namen gemacht.
- Gernot Schneebauer kennt mit seiner Firma HeartBeat die Ausbildungs-Seite von Lehrlingen.
Ich danke euch sehr für eure fachlichen Einblicke!
Interview-Fragen
Worin liegen die Haupt-Ursachen für Lehr-Abbrüche?
Catrin Mayerhofer-Trajkovski: Grundsätzlich finde ich eine Lehrabbruchsquote von ca. 18,5% nicht tragisch. Klar, es könnte weniger sein, aber das kann es ja immer.
Die Vielfalt an Lehrberufen ist groß. Aufgrund dessen glaube ich, dass die Jugendlichen oftmals überfordert sind und noch nicht genau wissen, wo sie in Zukunft hinwollen. Das könnte zum einen am jungen Alter liegen und zum anderen an der mangelnden Berufsorientierung. Berufsorientierung an den Schulen wird aus meiner Sicht nach wie vor sehr vernachlässigt. Junge Menschen benötigen Unterstützung dabei, ihre Interessen und Stärken herauszufinden, damit sie den richtigen Lehrberuf wählen, um einen frühzeitigen Abbruch zu vermeiden.
Gernot Schneebauer (HeartBeat): Wir haben in 12 Jahren über 4.000 Lehrlinge in 284 Wochen Lehrlingscolleges betreut sowie deren Ausbildner und Führungskräfte. Ca. 5% davon hat in diesem Zeitraum die Lehre abgebrochen. Die Gründe dafür:
- Der Lehrberuf ist für den Jugendlichen nicht geeignet. Das hat sich aber erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert.
- Der Lehrling fühlt sich im Betrieb nicht wohl bzw. er wird nicht so behandelt, wie er es benötigen würde
- Der Lehrling ist als Persönlichkeit instabil bzw. orientierungslos – hauptsächlich ausgelöst durch schwieriges familiäres Umfeld (sehr oft Scheidungskinder) oder ungünstiger Freundeskreis (Alkohol, Drogen, Gewalt). Oft auch beides!
- Erwartungen des Lehrlings an Lehre und Umfeld wurden nicht erfüllt.
Robert Frasch (Lehrlingspower): Eine der wahrscheinlichsten Ursachen ist mangelnde Berufsorientierung an den Schulen. Oft wird ein Beruf unter falschen Annahmen gewählt, was bei Schulen genauso passiert. Es entscheiden dann oft die Vorlieben der Eltern oder das, was Freunde machen. Dazu kommen jene Lehrlinge, die beim ersten Antreten bei der Lehrabschlussprüfung durchfallen und kein zweites Mal antreten. Oder sogar überhaupt nie zur Lehrabschlussprüfung antreten.
Welche Maßnahmen könnten helfen, um die Quote an Lehrlings-Abbrüchen zu senken?
Robert Frasch (Lehrlingspower): Es braucht auf jeden Fall wirkliche Berufsorientierung in den Schulen, die aufgrund der Komplexität auch frühzeitig beginnen muss. Oft ist Berufsorientierung nur ein Begriff, die gelebte Realität sieht vollkommen anders aus. So hat unser Sohn in 4 Jahren Gymnasium Unterstufe als „Berufsorientierung“ einen 2-stündigen Ausflug zum AMS gemacht, wo er sich am Computer Berufsbeschreibungen durchgelesen hat.
Es braucht aber auch einfache und unkompliziert nutzbare Unterstützung in der Berufsvorbereitung. Zum Beispiel durch jugendgerechte Apps oder externes Coaching, das z.B. von den Standesvertretungen der Branchen organisiert werden könnte. Denn immerhin müssen die das größte Interesse haben, dass ihre Mitglieder und ihre gesamte Branche in Zukunft über qualifizierte Fachkräfte verfügen.
Es braucht auch mehr hauptamtliche Lehrlingsausbilder, die die Ausbildung nicht als „Nebentätigkeit“ erbringen. Die Sicherung des Fachkräftenachwuchses ist eine zentrale Notwendigkeit für Betriebe, daher sollte diese auch nicht nebenbei erfolgen.
Catrin Mayerhofer-Trajkovski: Grundsätzlich muss die Lehre allgemein attraktiver gestaltet werden. Zum Beispiel wäre es sinnvoll, die Lehre nach der Matura mehr zu bewerben, da die Jugendlichen dann schon eher wissen was sie wollen und wo sie in Zukunft hin möchten. Das führt in weiterer Folge dazu, dass seltener abgebrochen wird. Zudem ist eine ausführliche Berufsorientierung wichtig. Die jungen Menschen müssen wissen, welche Möglichkeiten ihnen offenstehen aber vor allem auch, welche am besten zu ihnen passen.
Es macht auch Sinn, erst mit einer Lehre zu beginnen wenn die Jugendlichen etwas älter sind. Schon ein Jahr macht hier viel aus.
Gernot Schneebauer (HeartBeat):
- umfangreiche Berufsorientierung in der Pflichtschule
- beim Schnuppern das Berufsbild realistisch darstellen
- zum Start – Erwartungen abgleichen – was erwartest du von uns – was wir von dir
- Vertrauensperson für jeden Lehrling zur Verfügung stellen (Mentor, Buddy, etc.). Können auch ausgelernte Lehrlinge bzw. Lehrlinge im 3. Lehrjahr sein
- bewusstes und strukturiertes beobachten (am besten mit einer standardisierten Checkliste) des Lehrlings von mehreren Personen. Vor allem in den ersten Monaten wichtig
- konkrete Ziele vereinbaren und auch evaluieren. Aktive Unterstützung bei der Zielerreichung anbieten
- agieren statt reagieren in Form von regelmäßigen Feedbackgesprächen. Schwerpunkt dabei ist das Abgleichen von Selbstbild und Fremdbild im Hinblick auf Erwartungen und Ziele. dies ist vor allem in den ersten Monaten bzw. im ersten Lehrjahr sehr wichtig
- bei Schwierigkeiten externe Hilfe beiziehen (Coachings, Mediationen, Sozialberater, etc.)
Was brauchen Betriebe, um heutzutage Schüler zu erreichen?
Robert Frasch (Lehrlingspower): In erster Linie Partner, die über möglichst langjährige Netzwerke an Schulen verfügen. Entscheidend ist nicht das Kommunikationsmittel, sondern der Zugang zu den Lehrern. In Kombination mit möglichst pragmatischen Onlinelösungen, wie beispielsweise simplen Onlinepräsentationen, kann Berufsinformation auch in diesen Zeiten direkt zu den Schülern gelangen. Die Lösung liegt nicht in einer hochkomplexen technischen Umsetzung, sondern im möglichst direkten Zugang zu Schülern und Integration in den Unterricht.
Die Gesprächspartner
Gernot Schneebauer HeartBeat GmbH Robert Frasch Lehrlingspower.at Mag.(FH) Catrin Mayerhofer-Trajkovski, MA Mayerhofer-Trajkovski |