Schon vor Ausbruch der Pandemie zählte der „War for Talents“ zur Mammutaufgabe der Hotellerie. Laut Experten steigt der Fachkräftemangel nun weiter an und wird zu einer der bedeutendsten Langzeitfolgen. Was kann getan werden, um dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken? Dieser Fragstellung widmete sich ein Forschungsprojekt der FHWien der WKW am Beispiel der Hotellerie-Branche.
In diesem Artikel:
Die Hotellerie und insbesondere die Städtehotellerie zählen zu den großen Verlierern der Corona-Pandemie. Im Jahr 2020 sanken die Nächtigungen österreichweit um 30,5 Prozent. Die Wiener Städtehotellerie musste im Vergleichszeitraum sogar ein Minus von 73,9 Prozent verzeichnen (Statistik Austria, 2021). Die Krise stellt(e) die Unternehmen und insbesondere die Personalabteilungen vor noch nie dagewesene Herausforderungen.
Das Forschungsprojekt
Ein Forschungsprojekt der FHWien der WKW ging daher den Auswirkungen auf die Personalarbeit näher auf den Grund. Bei der zweistufig angelegten, qualitativen Studie wurden in einem ersten Schritt Interviews mit HR-Leiterinnen der gehobenen Wiener Hotellerie geführt. Sie dienten der Informationsgewinnung, um zunächst ein klares Bild der aktuellen bzw. zukünftigen Themen, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, zu erhalten. Als zentralste Herausforderung zeigte sich der Fachkräftemangel, beispielsweise in den Bereichen Service, Küche, Front Office oder Housekeeping. Die Hotellerie steht aktuell vor der Situation, dass viele Mitarbeitende die Branche verlassen bzw. bereits verlassen haben. Die richtigen Mitarbeiter zu finden, diese zu motivieren und an das Unternehmen zu binden, sind Aufgaben, die sich durch und nach COVID-19 weiter verschärfen.
„Ich würde schätzen, dass 95% der Mitarbeiter, die uns verlassen haben, auch die Branche verlassen haben“. (Experten-Aussage eines Interviews)
Das zentrale Thema des Fachkräftemangels wurde schließlich Ausgangspunkt für den weiteren Studienverlauf. Im zweiten Schritt folgten insgesamt drei Online-Gruppendiskussionen mit HR-Leitenden der gehobenen Wiener Hotellerie sowie Experten der FHWien der WKW. Im Fokus stand die Fragestellung, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um dem Fachkräftemangel in der Hotellerie entgegen zu wirken.
Diskutiert und visualisiert wurde diese Fragstellung mit Hilfe der ‚umgekehrten‘ Futures-Wheel-Methode, zu deutsch „Zukunftsrad“. Im Zentrum steht ein erwünschtes Zukunftsszenario, das die Ausgangsbasis für die Gruppendiskussion bildet. In einem ersten Schritt werden Ereignisse gesammelt, die als Vorbedingungen geschehen müssen, damit das im Zentrum stehende Zukunftsszenario eintreten kann. Die Ereignisse werden in Kreisen rund um das Zukunftsbild angeordnet (=1. Kreis). Anschließend werden jene Ereignisse ermittelt, die geschehen müssen, damit die Vorbedingungen im 1. Kreis eintreten können (= 2. Kreis). Dieses Vorgehen wird für die Vorbedingungen im 3. Kreis wiederholt. In diesem äußersten Kreis sind dann jene Ereignisse abgebildet, die in der Gegenwart realisiert werden müssen, um das erwünschte Zukunftsszenario zu erreichen (Defila, Di Giulio & Ruesch Schweizer, 2018).
Das ideale Zukunftsszenario im Rahmen des Forschungsprojekts lautete:
„Wir haben das Jahr 2030: Die Hotellerie ist der begehrteste Arbeitgeber. Offene Stellen werden unmittelbar nachbesetzt. Die Fluktuation ist so gering wie nie zuvor.“
5 Ergebnisse
Gemeinsam mit den Diskutanten wurden die wesentlichsten Ereignisse ermittelt, um zu diesem Szenario zu gelangen. Die gesammelten Daten wurden analysiert und aggregiert, sodass sich nachfolgende 5 Kern-Ereignisse ermitteln ließen (dargestellt in zufälliger Reihenfolge):
Ereignis 1: Wege für neue Arbeits- und Organisationsstrukturen ebnen
- Flache Hierarchien, agile Strukturen und neue Arbeitszeitmodelle, die die Work-Life-Balance verbessern, werden als Bausteine neuer Arbeits- und Organisationsstrukturen gesehen.
- Eine Vereinfachung der Gesetzeslage (z.B. bei der Umsetzung neuer Arbeitszeitmodelle) und budgetäre Mittel werden als zentral erachtet, um neue Arbeits- & Organisationsformen zu realisieren.
- Vertrauen & Offenheit werden als wesentliche Vorbedingungen für die Schaffung neuer Arbeits- & Organisationsstrukturen gesehen. Voraussetzungen dafür sind klare Rahmenbedingungen, Weiterbildungen, Forschungsbelege und eigene Erfahrungswerte.
Ereignis 2: Persönliches Wachstum und Netzwerkarbeit sind Schlüsselfaktoren für die Entwicklung von Nachwuchstalenten (Talents Development)
- Persönliches Wachstum soll durch interne Weiterbildung, individuelle Coachings und den Blick über den Tellerrand gefördert werden. Das kann auch dazu beitragen, innovatives Denken zu unterstützen und traditionelle Vorurteile gegenüber Berufsbildern aufzubrechen.
- Netzwerkarbeit innerhalb der Hotellerie-Branche, aber auch mit externen Partnereinrichtungen und Institutionen wird als zentraler Aspekt und Wettbewerbsvorteil der Branche gesehen. Unter dem Tenor „Gemeinsam sind wir stärker und bekommen größeres Gehör“ kann es zudem gelingen, die Benefits der Branche noch besser nach außen zu tragen.
Ereignis 3: Anreize und Benefits gilt es auszubauen und sichtbar zu machen
Eine große Anzahl an Benefits existiert bereits, wie zum Beispiel Weiterbildungsmöglichkeiten, Fitness-Angebote, kostenfreie Verpflegung und vieles mehr. Diese gilt es noch besser nach außen sichtbar zu machen. Zudem brauche es die Bereitschaft für (internationale) Karrieremöglichkeiten und ein Entgelt, bei dem sich Arbeiten auch tatsächlich lohnt.
Ereignis 4: Durch Stärkung der Arbeitgeberattraktivität und bestehender Netzwerke das Image der gesamten Branche verbessern
- Die Stärkung der Arbeitgeber-Attraktivität durch faire Arbeitsbedingungen, faire Entlohnung und eine Aufwertung der Berufsbilder, wird als wichtiger Faktor zur Image-Verbesserung gesehen. Die Krise sollte dabei als Chance genutzt werden, mit dem richtigen, positiven Mindset diese Inhalte nach außen zu vermitteln.
- Als weiterer Eckpfeiler in der Verbesserung des Branchen-Images wird die Rolle der Gemeinschaft erachtet – seien es Interessensvertretungen oder Netzwerke der Hotellerie. Engagierte, treibende Kräfte und weniger Konkurrenzdenken können unter anderem dazu beitragen.
Ereignis 5: Digitalisierung durch gutes Change Management und die richtige Einstellung erfolgreich managen
- Einem guten Change Management wird bei der Umsetzung von Digitalisierungs-Maßnahmen viel Gewicht beigemessen. Führungskräfte und Mitarbeitende sind dabei gleichermaßen gefordert.
- Neben dem fachlichen Know-how werden persönliche Eigenschaften genannt, die zu einer erfolgreichen Digitalisierungs-Umsetzung beitragen können, nämlich Offenheit, Risikobereitschaft und Flexibilität. Zudem gilt es die Angst vor der Digitalisierung zu nehmen, etwa durch Aufklärung und Training, Transparenz und gute Führung.
Fazit und Ausblick
Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Fachkräftemangel als ‚DIE Mammutaufgabe‘ für die Hotelbranche gesehen wird. Dabei verdeutlichen die Studienergebnisse die Vielzahl an Einflussfaktoren und die enge Verzahnung der Handlungsfelder. Gerade deshalb wird empfohlen, einen ganzheitlichen strategischen Ansatz zu verfolgen, um dieser Herausforderung bestmöglich und umfassend zu begegnen.
Die derzeitige wirtschaftliche Situation vieler Betriebe lässt jedoch vermuten, dass eine Priorisierung von Themen erforderlich ist. Dennoch wird es als essentiell erachtet, so rasch wie möglich Schritte zu setzen und die Initiative zu ergreifen. Unter dem Motto ‚agieren statt reagieren‘ lassen sich leichter positive Veränderungen schaffen!
Zur Studie
Der vorliegende Beitrag wurde auf der Grundlage der Erkenntnisse eines Forschungsprojekts von Dr. Florian Aubke, Julia Pöchacker, B.A. M.A. und MMag. Sigrid Maxl-Studler verfasst. Durchführungszeitraum: Dezember 2020 – Mai 2021. Anzahl der Interview- und Diskussionspartner: 15, davon 12 HR-Leitende der gehobenen Hotellerie im Raum Wien.
Autorinnen
Julia Pöchacker, B.A. M.A. ist Teaching and Research Associate im Studienbereich Tourism & Hospitality Management der FHWien der WKW; julia.poechacker@fh-wien.ac.at
MMag. Sigrid Maxl-Studler ist Academic Coordinator für Business Administration, Strategy & Organziation im Studienbereich Human Resources & Organization der FHWien der WKW; sigrid.maxl@fh-wien.ac.at
Quellen
Statistik Austria. (2021). Ankünfte und Nächtigungen nach Herkunftsländern, Kalenderjahr 2020. Verfügbar unter www.statistik.at/…
Defila, R., Di Giulio, A. & Ruesch Schweizer, C. (2018). Futures Wheel – Methode zur Zukunfts-Exploration. Eine Einführung. Basel: Universität Basel. Verfügbar unter www.mgu.unibas.ch/…pdf
Fachkräftemangel | Das Post-COVID-19-Syndrom der Hotellerie