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Soziale Herkunft – die 7. Diversity Dimension

25Nov2021
4 min
Diversity Dimension, soziale Herkunft

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Bereits seit einiger Zeit wurde im Rahmen der Diversity-Community die Diskussion um einen Aspekt erweitert. Während sich im klassischen Diversity Management vieler Unternehmen die Beschäftigung hauptsächlich um die im Gesetz vor Diskriminierung geschützten Merkmale Geschlecht, Alter, Ethnische Zugehörigkeit, Religion/Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Orientierung dreht, wird eine Dimension meist vergessen: die soziale Herkunft. Und diese spielt eine beträchtliche Rolle bei der Frage der Chancengerechtigkeit.

Lernen Sie Justin kennen

Justin

Das ist Justin. Er ist weiß. Er ist (am Papier) katholisch. Er hat keinen Migrationshintergrund. Er ist heterosexuell. Er hat keine Behinderung. Er ist männlich.

Aber: Justin hat Eltern, die sich wenig um ihn kümmern. Daher hat er auch schlechte Noten in der Schule. Seine Eltern haben wenig Geld. Sie kennen keine wichtigen Leute oder sind in relevanten Netzwerken. Und Justin spricht starke Milieusprache.

Welche Chancen hätte Justin in Ihrem Unternehmen?

Soziale Herkunft als relevante (und komplexe) Kategorie& Diversity Dimension

Das Beispiel von Justin zeigt eindringlich auf, wie wesentlich die soziale Herkunft für das Vorhandensein von Chancen ist. Und sie ist keine einfache Kategorie, zumal hier viele Aspekte zusammenkommen, etwa:

  • Die wirtschaftliche Situation und das Einkommen des Elternhauses
  • Das Bildungsniveau der Eltern (denn immer noch wird dieses mehrheitlich „vererbt“)
  • Das persönliche Umfeld
  • Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung (die eng mit dem Einkommen verknüpft sind)
  • Der Sprachgebrauch (also gehobene Sprache versus Milieusprache)
  • Kleidungsstil und Sauberkeitsempfinden
  • Zugang zu Ressourcen und Netzwerken

Gleichzeitig sind aber Menschen wie Justin für viele Betriebe eine nicht unwesentliche Personalressource und fordern Führungskräfte, junge Menschen aus einem schwierigen sozialen Umfeld entsprechend zu fördern und zu formen bzw. Versäumtes auszugleichen.

Andererseits ist Menschen, die aus einer priviligierteren Situation kommen als Justin oft ihre eigene soziale Herkunft wenig bewusst. Dementsprechend hartnäckig hält sich auch der „Leistungymythos“.

Wie der Leistungsmythos uns blind für soziale Herkunft macht

Man kann alles erreichen, wenn man nur will. Man muss sich nur mehr anstrengen“. Viele von uns sind mit Glaubenssätzen wie diesen aufgewachsen, die uns eine erfolgreiche Nachkriegsgeneration eingepflanzt hat. Sie blenden allerdings aus, dass es unterschiedliche Startvoraussetzungen gibt, die stark von der sozialen Herkunft abhängen. Während Justin über keinen Zugang zu Netzwerken verfügt, die ihm helfen können, einen guten Start zu machen oder seine Art zu sprechen abschrecken kann, verfügen andere Menschen über „Joker“, die sie nutzen können. Nicht dass diese nicht auch fleißig sein müssen, jedoch verfügen sie über Ressourcen, die ihnen einen Startvorteil verschaffen. „Ich habe es ja auch geschafft“ blendet oft genau diese Startvorteile aus.

Dem sogenannten „Leistungsmythos“ liegt die Annahme zugrunde, dass der soziale Status, das Gehalt und sonstige Privilegien Güter sind, die sich alle Menschen verdienen können. Diese Darstellung ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Denn sie lässt uns glauben, dass sich jede Person ihre Position in der Gesellschaft verdient hat, etwa durch Fleiß, Intelligenz oder Motivation. Dass es strukturelle und historische Ursachen für Ungleichheiten gibt, wird dabei völlig ausgeblendet.

Was Unternehmen tun können

Viele Branchen sind angewiesen darauf, auch Menschen wie Justin eine Chance zu geben und diese entsprechend zu entwickeln. Damit auch Menschen aus einem schwierigen sozialen Umfeld ähnliche Chancen haben, ist es aber nötig, im Unternehmen einiges neu zu denken und zu tun. Hier einige Beispiele zur Diversity Dimension soziale Herkunft:

  • Anstellungskriterien anpassen: Oft werden in Stellenausschreibungen formelle Qualifikationen (also absolvierte Schulen, Studien, Ausbildungen etc.) verlangt. Menschen, die zwar über Erfahrungen und Kompetenzen verfügen, diese aber nicht formal belegen können, sind hier im Nachteil oder bewerben sich erst gar nicht. Überlegen Sie also, wie Sie die Kriterien so anpassen, dass alle Menschen ihre Kompetenzen zeigen können.
  • Chancengleichheit im Recruiting: Recruiterinnen und Recruitern kommt eine wichtige Rolle zu. Diese sollten daher nicht nur geschult und sensibilisiert sein, sondern auch selbst divers zusammengesetzt sein und professionelle Auswahltools nutzen.
  • Opt-out statt Opt-in: Menschen, die im Bewerbungsprozess nicht weiterkommen, sollten einer Opt-out Analyse unterzogen werden. Die Frage „Weshalb sagen wir dieser Person ab“ eröffnet einen Blick auf (versteckte) Diskriminierungen, mehr als die Frage „Wen laden wir ein?“
  • Mentoring und Sponsorship: Eine professionelle, enge Begleitung und die Ermöglichung des Zugangs zu Netzwerken und zum Zeigen der eigenen Fähigkeiten sind wesentliche Bausteine für Unternehmen, um Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft zu fördern.

Grundlage für alle diese Punkte ist ein inklusives Arbeitsumfeld, das Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit anerkennt, Lebensphasen und -situationen ernst nimmt und von allen verlangt, dass sie Vielfalt wertschätzen und leben.

Weitergehende Informationen: Diversity Dimension

Die deutsche Initiative „Charta der Vielfalt“ hat eine spannende Kampagne zur sozialen Herkunft gestartet, die versucht mit dem Leistungsmythos aufzuräumen. Informationen finden Sie hier: https://www.charta-der-vielfalt.de/aktivitaeten/soziale-herkunft-die-7-dimension/
Das neue E-Learning des Diversity Campus zur sozialen Herkunft zeigt in kompakter Art und Weise auf, was soziale Herkunft bedeutet und was Betriebe und deren Führungskräfte konkret tun können. www.diversitycampus.eu.

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