„Experimentiere mehrmals pro Jahr mit neuen virtuellen Lerntools wie Animaker, Thinglink oder Kumospace!“ So lauten einer der praktischen Tipps der renommierten Corporate Learning Forscherin Jane Hart, wie Menschen 2022 idealtypisch lernen sollten.
„Lernen ist das neue Arbeiten.“ Frithjof Bergmann
Autoren: Steffi Bärmann, Stefan Teufl
INHALT
Laut einer Studie (Eilers et al., 2020) hat lebenslanges Lernen einen hohen Stellenwert (77%) in Unternehmen. Allerdings wird die Bereitschaft der Mitarbeitenden zu lebenslangem Lernen von den Befragten als niedriger (66%) eingeschätzt. Mitarbeitende älter als 50+ sehen Lernen verstärkt als Eigenverantwortung, während unter 40-jährige die Führungskraft in der Orientierung gebenden Rolle sehen.
Angesichts dieser Ambivalenzen entsteht die Frage: Wie können Mitarbeitende, Teams und Führungskräfte in Organisationen kontinuierlich und selbstgesteuert lernen?
Dieser Frage soll anhand der Erfahrungen der Masterstudierenden des 4. Semesters des Studiengangs Organisations- und Personalentwicklung der FHWien der WKW in der Lehrveranstaltung „Modern Workplace Learning“ nachgegangen werden. Unsere Studierenden verarbeiteten theoretische Inhalte und Beiträge aus der Praxis zu anwendbaren Konzepten.
Die wichtigsten Lessons Learned im Überblick:
Lebenslanges, selbstgesteuertes Lernen
Das Lebenslange Lernen (LLL) befasst sich mit dem Lernen im Erwachsenenalter und bezieht dabei organisiertes, non-formales und informelles Lernen ebenso mit ein, wie alle Lebensphasen bis ins hohe Lebensalter. Lernen ist demnach stetig und kontinuierlich und kann verschiedenen Autonomiegraden der Selbststeuerung unterliegen (Brödel, 2015).
Die Selbststeuerung bezieht sich u.a. auf die Steuerung des Lernprozesses und der Lernmotivation (Pintrich, 2000), darüber hinaus auf das Festlegen von Lernzielen, wobei eine gewisse Bereitschaft selbst-bestimmt zu lernen erforderlich ist (Hiemstra & Brockett, 2012), und in einem weiteren Schritt auf das Reflektieren von Lernerfahrungen (Augstein & Thomas 1991) beziehen.
Die Digitalisierung wirkt in diesem Prozess beschleunigend, denn der Zugang zu Informationen 24/7 entbindet das Lernen von zeitlichen und räumlichen Grenzen. Den Lernenden eröffnen sich ein Möglichkeitsraum, der auch von Organisationen genutzt werden möchte. Eine Veränderung der Verantwortungs- und Machtbeziehungen in Bezug zum Lernen werden hier deutlich. Dem entsprechend reflektiert Jane Hart (2022) in dem von ihr entwickelten Modern Workplace Learning Ansatz über sich verändernde Rollen in der Organisation. War es bis vor wenigen Jahren üblich, dass Führungskräfte und/oder Personalabteilungen ihre Mitarbeitenden zum Ausgleich von Wissensdefiziten in einen Kurs entsendet haben, wird heute und in Zukunft von einem Buttom-Up-Ansatz des Lernens ausgegangen.
Neue veränderte Rollen und Verantwortlichkeiten beim Lernen
- Human Resources (HR), Learning & Development (L&D): Die Rolle von HR besteht nicht mehr darin Schulungen zu konzipieren, durchzuführen und zu verwalten, sondern das Lernen der vier (unten beschriebenen) Dimensionen und eine moderne Lernkultur zu unterstützen.
- Managerinnen als „People Developer“: müssen (viel mehr) Verantwortung für das Wachstum und die Entwicklung ihrer Mitarbeiter in ihrem Arbeitsalltag übernehmen – und dies nicht einfach an ihre L&D-Abteilung weitergeben.
- Individuen: müssen selbständiger werden und mehr Eigenverantwortung übernehmen. Sie werden (mehr) Verantwortung für ihre eigene kontinuierliche Selbstverbesserung, ihr Lernen und ihre Entwicklung übernehmen müssen, um in ihrem Job relevant zu bleiben.
4 Dimensionen: Unterstützung des Lernens
Die Unterstützung des Lernens kann dabei auf folgenden vier Dimensionen („4Ds of Learning“) vorangetrieben werden (Hart, 2022):
- DIDACTICS = formales, klassisches Lernen in einem (Online)Kurs: z.B. LinkedIn Learning, Coursera
- DISCOURSE =soziales, gemeinsames Lernen, z.B. Lernmanagementsysteme (LMS), die soziales Lernen unterstützen, oder gemeinsames Lernen im Team („food for thought sessions“)
- DOING = experimentelles Lernen on the Job/Ausprobieren, z.B. Joberfahrungen, Feedback durch Manager oder Coach
- DISCOVERY = informales, selbstorganisiertes Lernen z.B. Blogposts, Podcasts, Artikel
Erfahrungsberichte aus der Praxis
Vier namhafte österreichische Unternehmen aus der Systemgastronomie, Süßwarenherstellung, Bankwesen und Mineralölindustrie lieferten spannende Praxiseinblicke zur Umsetzung des Modern Workplace Ansatzes und der Unterstützung des lebenslangen (selbstgesteuerten) Lernens in ihren Unternehmen.
Ausgangspunkt in allen Organisationen war die Entwicklung einer an die Unternehmensstrategie angebundene Lernstrategie und die Implementierung einer technologisch unterstützen Lernumgebung in Form von Lernmanagementsystemen (LMS), Learning Experience Plattformen (LXPs), oder einer digitalen Akademie (Abb. 1). Es wurden dabei bewusst Veränderungsprozesse angestoßen, die als längere Reise kommuniziert und von Beginn an möglichst die Geschäftsführung, Führungskräfte, Mitarbeitende und andere Stakeholder proaktiv miteinbezogen wurden. Der Umgang mit Widerständen, Emotionen und Bedürfnissen der Beteiligten wurde ebenfalls thematisiert.
In der Umsetzung wurde dann auf eine Mischung aus Push- und Pull-Strategie, sowie einem erhöhten Fokus auf das Teilen von Wissen der Mitarbeitenden gelegt. Hierzu wurden Prozesse, wie Agile Learning und Learning in Sprints, als auch diverse Methoden, wie
Storytelling, Simulationen, Gamification, Learning Bingo Games, Learning Book Clubs, oder über mehrere Wochen andauernder Learning Challenges verwendet. Ziel war es dabei, das Potenzial und die Lernerfahrungen der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen:
Fazit: Lernen breiter denken, als formelles Classroom-Training
Um eine moderne Lernkultur in Unternehmen zu etablieren, sollten sich HR-Manager von der Vorstellung verabschieden, dass formelles Classroom-Training die einzige Weiterbildungsmöglichkeit ist. Zentrale Erkenntnis von Modern Workplace Learning ist, dass ca. 65% des Lernerfolgs durch DOING und DISCOVERY, 25% durch DISCOURSE und nur ca. 10% durch DIDAKTIK, also klassisches formales Lernen erfolgen. Aber nicht nur das TUN ist entscheidend, sondern auch die gezielte Reflexion der gestellten Aufgaben und Erfahrungen ist Teil des modernen lebenslangen Lernens, gemäß dem Motto: „1. Learn, 2. Unlearn, 3. Relearn“.
Literatur
Augstein, S.; Thomas, L. (1991): Learning Conversations. The Self-Organised Learning Way to Personal and Organisational Growth. Routledge
Brödel, R. (2015). Lebenslanges Lernen. In Grundlagen. Leiden, Niederlande: Brill | Schöningh.
Eilers, S.; Möckel, K.; Rump, J.; Schabel, F. (2020): HAYS Report 2020. Lebenslanges Lernen. Eine empirische Studie des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE du Hays.
Hart, J. (2022): Modern Workplace Learning. A holistic approach to organizational learning and development.
Hiemstra, R.; Brockett, R. G. (2012). Reframing the Meaning of Self-Directed Learning: An Updated Model. Proceedings of the 54th Annual Adult Education Research Conference, Saratoga Spring, 45, 155-161.
Pintrich, P. R. (2000). Multiple goals, multiple pathways: The role of goal orientation in learning and achievement. Journal of Educational Psychology, 92(3), 544–555.
Eilers et al., 2020
Modern Workplace Learning – Von der Theorie zur Praxis