Unter dem Begriff „Quiet Quitting“ grassiert seit einiger Zeit ein neues Schreckgespenst durch die personalistischen Köpfe. Menschen, die den Stechschritt auf ein Gehtempo verlangsamen und dem Leistungsdruck der Arbeitswelt nicht mehr folgen wollen. Na und?
INHALT
Noch vor dem Sommer habe ich einen ⇒ HRweb-Artikel über das Schlagwort „the Great Resignation“ geschrieben. Damit wird v. a. ein vermeintliches Phänomen im US-amerikanischen Raum beschrieben, bei dem eine hohe Anzahl an Menschen den eigenen Job kündigt. Das Phänomen trägt auch den Beinamen „The Big Quit“ und hat sich etwa ein Jahr nach Beginn der Coronavirus-Krise in den Medien breitgemacht und wird bis heute stark diskutiert. Obwohl der Bedarf an Fachkräften steigt, kündigen immer mehr Menschen ihre Jobs.
Quiet Quitting
Ich selbst und andere stehen dieser Wortkreation skeptisch gegenüber. V. a. da diese medial kreiert ist, und ich keine echten empirischen Studien dazu finden konnte. Einige Studien gehen diesbezüglich eher von einem Langzeittrend aus, der schon über die letzten 10-15 Jahre schrittweise zugenommen hat. Ein schleichender Prozess, der weniger durch COVID ausgelöst wurde, als dass der retardierende Moment „Lockdown“ auch zu einem Kündigungsrückstau geführt haben könnte.
Kürzlich hat das nächste Buzzword aufgeschlagen „Quiet Quitting“. Dies bezieht sich dabei nicht auf das heimliche Kündigen des Arbeitsvertrages und auch nicht 1:1 auf den klassischen Begriff der inneren Kündigung. Es bezieht sich auf das vermeintliche Phänomen, dass mehr und mehr Menschen gegen den Leistungsdruck der westlichen Wirtschaftswelt rebellieren und im Job nur noch das nötige Soll erbringen – Pflichtprogramm, aber keine Kür mehr. Die viel zitierte „Extrameile“ wird nicht gegangen. Man erfüllt die nötigen Aufgaben seiner eigenen Tätigkeitsbeschreibung ohne Fehl und Tadel, aber eben auch nicht mehr.
3 Sichtweisen
Ich erlaube mir, drei verschiedene Sichtweisen auf das Thema einzunehmen. Achtung: Ironie mag zeilenweise vorkommen.
1. Ist das „Quiet Quitting“ wirklich neu?
Ich behaupte, dass die meisten Menschen stets leise kündigen, bevor sie laut kündigen. Denn bei den meisten Menschen geht dem Stellenwechsel ein gewisser Frustrations- oder zumindest Ernüchterungsprozess voraus. Man denkt, wartet ab, beobachtet, hofft, denkt erneut, zaudert,…. und irgendwann spricht man die erlösenden Worte laut aus.
2. Ist denn das „Soll“ so schlecht?
In den meisten Artikeln rund um das Trendthema des Herbstes werden Begriffe wie die folgenden genutzt, um das Verhalten der Mitarbeitenden zu beschreiben: „they limit their workloads“ oder „they avoid working longer hours“ oder „employees choosing to not go above and beyond their jobs in ways that include refusing to answer emails during evenings or weekends“. Bin ich der Einzige hier, der das Positive sieht? In einer Wirtschaftswelt, die dem Irrglauben verfallen ist, dass wir permanent im Wettkampfmodus arbeiten können, sagen Menschen „es ist genug“ und grenzen sich ab, um ihre Kernaufgaben gewissenhaft und in Ruhe zu erledigen – und wir nennen das „Quiet Quit“? Vielleicht sollten wir es einfach „gesunden Selbstschutz“ nennen und auch im Zusammenhang mit den stark steigenden psychischen Belastungen der Arbeitswelt sehen.
3. Ist die „Extrameile“ täglich wirklich möglich?
Viele Unternehmen fragen selbst in ihren Mitarbeiterbefragungen laufend danach, ob Mitarbeitende bereit sind „the extra mile“ zu gehen. Die Extrameile wird zum Synonym für Mitarbeiterengagement und Burnout wird zum Ritterschlag der Extra-Engagierten. Was wäre, wenn wir hier falsch denken? Wenn die Extrameile der Wettkampfmodus ist, den man nicht jeden Tag zeigen kann. Auch Marcel Hirscher hätte wohl nie daran gedacht, 5 Tage hintereinander 8h täglich Rennen zu fahren. Im Leistungssport kennt man den Ausgleich von Anspannung und Entspannung. Im Berufsleben wird Entspannung rasch zur Faulheit. Was wäre, wenn wir umdenken müssten und 80% Leistung bereits das Soll erwirtschaften müssten? Und die 110% von ausgeruhten und motivierten Mitarbeitern fallweise abgerufen würden – dann, wenn es wirklich nötig ist.
Und meistens wird dann im Zuge der „Quiet Quit“-Debatte noch eine klassische Studie nachgeschoben. Nämlich die weltweite Gallup-Studie, die dann noch mal schwarz auf weiß abdruckt wie wenig „engaged“ denn Mitarbeitende sind. Auch hier: Denken Sie kritisch und lesen Sie mal den ⇒ Artikel von Armin Trost zu den Gallup-Zahlen.
Anspannung und Entspannung
Ich kann Ihnen weder sagen, ob es ein empirisch haltbares Phänomen des „Quiet Quitting“ wirklich gibt, noch (wenn), was die konkreten Auslöser sind. Ich kann aber aus vielen Studien, die ich lese und vielen Studien, die ich selbst durchführe, eines sagen: Viele Unternehmen halten Mitarbeitende im Hamsterrad und es gibt Systemermüdung. Kennen Sie den Spruch: „Solange du tust, als ob du mich gut bezahlst, tue ich so, als ob ich mich wirklich anstrenge!“
Ich möchte daran erinnern, dass die Faktoren einer positiven Arbeitsplatzgestaltung über die letzten 40-50 Jahre Arbeitspsychologie zu den am besten erforschten Themen überhaupt zählen. Sie werden nur oft mit Füßen getreten. Erholungsphasen gehören dazu. Vielleicht gönnen sich Ihre Mitarbeitenden einfach mal eine Extrapause nach der Extrameile.
Quiet Quitting | Der stille Abgang