Die Jahre im Home Office haben digitale Kompetenzen gestärkt, aber gleichzeitig wurden formale, beruflich kommunikative Fähigkeiten stark vernachlässigt.
So wie Wohn- und Arbeitsraum ineinanderfließen, verschwimmen auch die Grenzen von formeller und informeller Kommunikation. Das betrifft Kleidung, den verbalen Ausdruck, Nähe und Distanzverhalten und Hilfsmittel der Kommunikation.
INHALT
Alles im Leben ist richtig, wenn es sich in einer Balance befindet
Leider schlägt das Pendel oft von einer Seite auf das extreme Ausmaß der anderen Seite: in diesem Fall vom steifen, unpersönlichen, distanzierten, abweisenden Verhalten in ein kumpelhaftes, privates, sehr persönliches Verhalten. Doch was ist wann und wie angebracht oder unangebracht – passend oder unpassend? Wer bestimmt das in der Berufswelt? Und welcher Ton ist der richtige, wenn vier Generationen an Mitarbeitenden aufeinandertreffen?
Hier der Versuch einer Struktur zur Orientierung für das sich stark im Wandel befindliche, komplexe Kommunikationserfordernis im beruflichen Umfeld:
Rollenverständnis
Die berufliche Rolle gibt einen ersten Hinweis, welcher Aufritt angebracht ist. Die Faustregel lautet: Je höher in der Hierarchie, desto formeller! Je mehr Außenkontakt zu Kunden oder Behörden, umso seriöser. Es ist wichtig, den Job von der privaten Rolle zu trennen. Das erst gibt uns die Möglichkeit, am Abend unsere berufliche Rolle auch abzulegen. Hand aufs Herz, wer möchte als Kunde oder von seinem Chef so privat angesprochen werden, wie es in der Familie oder mit Freunden üblich ist?
Kollegen erlaubt man mehr Informelles und Nähe, aber auch hier gilt: Die berufliche Rolle lässt den Ton und die Umgangsformen höflicher und distanziert werden. Für die Zusammenarbeit ist dies hilfreich, weil nicht so schnell Emotionen im Spiel sind, die zu Spannungen und Eskalationen führen können.
Kultur
Selbstredend, dass im Start-up ein lockerer Umgangston samt Umgangsformen herrscht, im Gegensatz zum internationalen Consultingunternehmen oder einem traditionellen Finanzdienstleistungskonzern. Die Krawatte ist out, Sneakers zum Anzug sind salonfähig geworden und nicht mehr wegzudenken. Trotzdem schlagen Business Jeans und Polo/Hemd das T- Shirt mit Cargohose. Auch zu Hause online? Ja, auch zu Hause – abhängig vom Kunden- oder Chefkontakt. Kamera aus ist nicht die Lösung, denn „schwarze Löcher“ laden nicht zum Austausch und Dialog ein. Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Anerkennung kommen dabei nicht auf. Zu leger und locker in der Kleidung, lässt Haltung und Körperspannung vermissen. Das kann man hören und online auch sehen.
Der Auftritt bzw. das Verhalten wird über das Äußere beeinflusst. Das Gesamtpaket muss stimmen, dann wirken wir souverän und präsent – weder verkleidet noch unscheinbar oder aufgedonnert.
Führungskraft
Auch wenn die Führungskraft der jüngeren Generation angehört, ist ein distanziertes Verhalten gefordert. Es gilt ein Ziel oder ein Ergebnis zu erreichen, oder eine Sache zu klären. Da sind aller Art Bemerkungen und Bewertungen, wie wir das mit Freunden und in der Familie tun völlig überflüssig. Eine formelle Sprache bringt Klarheit und wirkt kompetent. Wortmeldungen dienen Lösungen oder einem Ergebnis. Auch Wertschätzung wird nur jemand erhalten, der auch selbst wertschätzend ist.
Kollegen
Langjährige Zusammenarbeit lädt natürlich zu Nähe und Freundschaft ein. Es ist auch kein Problem, wenn beide Freundschaft und Kollegenschaft situationsbedingt einsetzen und wechseln können. Dafür ist Reife und Seriosität gefragt. Zu privater Umgang mit regelmäßigem Ausgehen und Party machen ist zum Abschalten und entspannen wichtig. Aber auch hier gilt es die richtige Balance zu finden. Ansonsten läuft man Gefahr, Meinungsverschiedenheiten in den Arbeitsalltag zu tragen und das erschwert die die Zusammenarbeit. Ganz besonders, wenn der Kollege auch der Chef ist.
Beruf und Privat
Wenn wir die Grenzen von Beruf und Privat nicht nur örtlich, sondern auch im Auftritt und in den Umgangsformen immer mehr verschwimmen lassen, wird es nicht fröhlicher, lebendiger und offener – im Gegenteil, es führt zu Spannungen, Streit, Missverständnissen und Machtspielen.
Ein erfülltes Leben braucht emotionalen Ausdruck im Glück und im Leid. Formelle Grenzen helfen, Emotionen weitestgehend im privaten Bereich zu belassen, wo sie auch hingehören. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt gehen einher mit einschneidenden privaten Erlebnissen. Am Arbeitsplatz sollten wir uns Aufmerksamkeit, Wertschätzung, persönliche Weiterentwicklung und Entfaltung holen – all dies können Herausforderungen in beruflichen Jobs bieten. Ermöglichen wir uns beides zu leben und surfen wir gekonnt die Grenzen und Übergänge.
Hat das Home Office berufliche Umgangsformen verändert?