Lange Gespräche über Work from Anywhere hatte ich mit Kurt Beichl (ICUnet.Group) geführt. Gemeinsam mit Rödl & Partner spezialisiert er sich auf die digitale Umsetzung von kurzfristigem Work from Anywhere / Workation bis hin zur langfristigen Entsendung von Mitarbeitenden. Bisher endeten Diskussionen mit HR-Verantwortlichen oft in einem „es ist kompliziert, Workation rechtlich wasserdicht zu bekommen“.
Weshalb dieses Thema gerade jetzt so wichtig ist und wie man trockenen Fußes durch die Umsetzung kommt, frage ich am liebsten in Form eines Interviews und bitte beide Partner zu Wort:
- Kurt Beichl (Global Workforce Mobility Prozessen bei der ICUnet.Group)
- Thorsten Beduhn (Rechtsanwalt & Steuerberater bei Rödl & Partner)
Interview
Was verstehen Sie unter den Begriffen Work from Anywhere und/oder Workation?
Beichl: „Work from Anywhere“ bedeutet für Mitarbeitende die Möglichkeit, temporär und aus privaten Gründen, an einem gewählten Arbeitsort, im Fall von Workation vom Urlaubsort aus, arbeiten zu dürfen. Für manche Tätigkeiten, naturgemäß nicht alle Berufsbilder, kann diese Autonomie realisiert werden. Damit ist Work from Anywhere, kurz WFA, ein weiterer Aspekt der Transformation unserer Arbeitswelt in Richtung New oder Next Work.
Wieso sollte ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden WFA überhaupt möglich machen?
Beichl: Für manche Mitarbeitende bestimmter Branchen oder Berufsbilder steigert diese Option sicherlich die Attraktivität eines Jobs. Dementsprechend kann WFA Unternehmen helfen, die eigene Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern und Talente rekrutieren, motivieren und dauerhaft halten zu können. Andere Argumente sind vor allem die Vermeidung von Produktivitätseinbußen.
Worin liegen die größten Herausforderungen für HR-Abteilungen, bei der Umsetzung von Workation / Work from Anywhere?
Beichl: Die Herausforderung besteht meiner Meinung nach aus zwei Bereichen. Erstens: Das richtige Maß des organisatorisch und rechtlich Machbarem sowie der korrekten Umsetzung zu finden und zweitens: die Wirkung von WFA auf das Erreichen der Personalstrategieziele sichtbar zu machen.
Beduhn: Das bedeutet konkret, dass die HR-Abteilung eine Lösung finden muss, um die zu erwartenden vielen Fälle im Unternehmen standardmäßig, richtlinienkonform und compliant abzuwickeln. Diese Aufgabe kommt zu den bisherigen Aufgaben hinzu, weshalb auch das Thema Kapazität eine weitere Herausforderung ist. Nicht zuletzt muss eine fachliche Positionierung erfolgen und diese von Zeit zu Zeit überprüft und ggf. an veränderte gesetzliche Regelungen und Richtlinien angepasst werden.
Macht es rechtlich einen Unterschied, ob 1 Mitarbeitende für 3 Tage im Ausland Workation / Work from Anywhere macht oder ob es als generelles Angebot an die gesamte Belegschaft ausgerollt werden soll?
Beduhn: Unter steuerlichen und rechtlichen Gesichtspunkten macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob ein Mitarbeiter WFA praktiziert oder die gesamte Belegschaft. Allerdings gibt es Unterschiede unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten, wenn z.B. WFA Teil der Betriebsvereinbarung werden soll. Schließlich bedingt ein generelles Angebot an die Belegschaft in der Praxis, dass ein entsprechendes Compliance-System vom Unternehmen geschaffen wird, um die Risiken aus WFA zu mitigieren.
Welche Grob-Schritte sollten HR-Abteilungen gehen, um das Workation / Work from Anywhere in Angriff zu nehmen?
Beichl: Sobald die Relevanz der Maßnahme z.B. für das Employer Branding geklärt ist, stehen folgende Projektschritte an: das Zielbild entwickeln, Modell und Plan erstellen, notwendige Expertisen identifizieren, Regelwerk schaffen, Prozess dokumentieren, System implementieren und die laufende Dokumentation inklusive Berichten zur Evaluierung.
Welche Tools sind besonders hilfreich?
Beichl: Werkzeuge, die im Zuge der WFA-Antragstellung durch die Mitarbeitenden unter Berücksichtigung aller rechtlichen und unternehmensspezifischen Gegebenheiten Machbarkeitsprüfungen durchführen (z.B. im Sinne eines Ampelsystems). Wesentlich dabei ist die weitgehende Entlastung der HR-Abteilung z.B. durch ein Self-Service-Portal oder ähnliches. Bei der Co-Creation des „Work from Anywhere Assistant“ haben Rödl & Partner und wir besonders auf die Verbindung unserer jeweiligen Expertisen und ein positives Benutzererlebnis geachtet.
Wo & wie können sich HR-Abteilungen Wissen aneignen?
Beichl: Nachdem es sich um ein verhältnismäßig junges Thema handelt, werden noch wenige vorgefertigte Trainings oder Seminare angeboten. Persönlich sind mir bisher nur Seminare in Deutschland z.B. bei der Haufe Akademie oder dem Institut für Management und natürlich bei unserem Kooperationspartner Rödl & Partner aufgefallen. Ansonsten sind es unternehmensinterne und externe Juristen, Steuerexperten oder Prozess-Experten aus der Global Workforce Mobility, die über entsprechendes Wissen verfügen.
Wie kann das Thema generell outgesourct werden? Welche Teile von WFA können outgesourct werden und wie, bzw. an wen?
Beichl: Im Grundsatz kann diese Art von Supportprozessen gut ausgelagert werden. Trotzdem ist die Frage so nicht abschließend beantwortbar. Jedenfalls können Unternehmen, welche die zuvor besprochenen Grob-Schritte auch detailliert ausgearbeitet haben und die eigenen relevanten Stakeholder miteinbeziehen, auch Prozessteile gut und sicher an spezialisierte Dienstleister, wie auch an ICUnet.Group, auslagern.
Beduhn: Die Unternehmen sollten zuerst den Gesamtprozess definieren und dann prüfen, welche Teilprozesse outgesourct werden sollen. Motivation für die Auslagerung können Qualitätssicherung, Kapazität und Fokussierung auf Kernkompetenz sein. Zusammen mit unseren Kooperationspartner ICUnet.Group bietet Rödl & Partner eine systematische Outsourcing-Lösung mit entsprechenden Schnittstellen an.
Welche Konsequenzen kann es haben, wenn Workation / Work from Anywhere nicht sattelfest umgesetzt wird?
Beduhn: Die Risiken können vielfältig sein. Wenn das Unternehmen zu WFA keine Position bezieht, ist die Gefahr groß, dass die Mitarbeitenden, ohne zu fragen/zu informieren aus dem Ausland arbeiten. Praktisch weiß das Unternehmen nicht, wo sie sind und ist daher nicht in der Lage z.B. Sozialversicherungsnachweise, wie A1-Bescheinigungen, beizubringen. Weitere Risiken können unter immigrationsrechtlichen und steuerlichen Gesichtspunkten entstehen, bis zu Betriebsstättenrisiken. Erhärtet sich der Verdacht, dass das Unternehmen systematisch keine Compliance-Maßnahmen ergriffen hat, obwohl mit WFA zu rechnen war, ist eine Haftung der Organe der Gesellschaft nicht auszuschließen.
Welche arbeitsrechtlichen Fragen müssen unbedingt geklärt sein?
Beduhn: Arbeitsrechtliche Aspekte, die vor dem Angebot von WFA zu klären sind, sind u.a. Klärung des Arbeits- und Erfüllungsortes, Regelung von Unfallrisiken, Klärung von Mindestlohn- und Equal-Pay-Anforderungen im zeitweisen Arbeitsland, Mitnahme und Nutzung von IT-Equipment im zeitweisen Arbeitsland.
Welche steuerlichen Fragen müssen unbedingt geklärt sein?
Beduhn: Eine Tätigkeit in einem anderen Land als dem Wohnsitzland, also im sog. Tätigkeitsstaat, kann zu einem Wechsel des Besteuerungsrechts, mithin zum Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates führen. Damit einher gehen kann das Risiko, dass der Arbeitgeber Lohnsteuer im Tätigkeitsstaat einbehalten muss. Schließlich kann die Tätigkeit in einem ausländischen Home-Office zu einen Betriebsstättenrisiko führen. Es muss also geklärt werden, wie ein Wechsel des Besteuerungsrechts vermieden wird, denn der Arbeitgeber wird im Rahmen von WFA eher weniger geneigt sein, zusätzliche und vermeidbare Compliance-Verpflichtungen einzugehen.
Was muss mit den betreffenden Mitarbeitenden schriftlich festgehalten werden?
Beduhn: WFA muss auf Basis einer klaren Richtlinie, einer sog. Policy, erfolgen. Darin hat das Unternehmen die Voraussetzungen und die Leitplanken für WFA zu definieren. Diese Policy ist regelmäßig zu überprüfen und an ein verändertes gesetzliches/rechtliches Umfeld anzupassen. Schließlich muss das Unternehmen die arbeitsvertragliche und kollektivarbeitsrechtliche Situation klären. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße ist zwingend der Betriebsrat einzubinden.
Welche Dokumentations-Details sind Pflicht, welche nice-to-have?
Beduhn: Im Grunde ist alles das zu dokumentieren, was für die Erfüllung der Compliance-Verpflichtungen erforderlich ist. In Zusammenhang mit WFA geht es vielfach darum gerade so wenig wie möglich zusätzliche Compliance-Verpflichtungen zu generieren. Folglich ist auch zu dokumentieren, wie viele Aufenthaltstage die Mitarbeitenden beispielsweise im Ausland verbracht haben, um belegen zu können, dass kein Wechsel des Besteuerungsrechts erfolgt ist. Bereits beantragte und erhaltene A1-Bescheinigung sind zu dokumentieren und im weiteren Prozess zu berücksichtigen. Im Ergebnis also viele Verpflichtungen. Was bleibt als nice-to-have? Eventuell Daten, die mehr statistischen Zwecken dienen. Auf dieser Basis kann dann ein WFA 2.0 gezielter entwickelt werden.
Welche Details werden in der Umsetzung oft übersehen?
Beichl: Wie bei allen personalrelevanten Themen wird oft eine vollständige Implementierung übersehen. Um die Wirkung von WFA auf die Arbeitgeberattraktivität positiv erlebbar zu machen, reicht es nicht aus, das Thema eindimensional als Prozess umzusetzen. Eine rechtssichere und erfolgreiche Umsetzung bedarf der Verzahnung verschiedener Bereiche und Stakeholder von Steuer, Recht, HR, Organisationsentwicklung und Change, IT, usw. Auch das Wissen um WFA muss durchgängig in der Linie implementiert sein.
Welche Tipps möchten Sie den HR-Abteilungen unbedingt noch mitgeben?
Beichl: Bei der Anbieterauswahl empfehlen wir auf hohe Expertise und die Verlässlichkeit der Gesamtlösung zu achten. Außerdem sollte die Einführung als umfassender Change Prozess mit einer gewissen Veränderungsdynamik betrachtet werden. Es ist kein „Einmal-Thema“! Daher sollte die technologische Umsetzung und die Steuer- und Rechtsberatung aufeinander abgestimmt erfolgen. Wir sehen in diesem Marktplatz einerseits junge Marktteilnehmende, welche die Frage rein technologisch beantworten und andererseits den klassischen Fallprüfungsprozess. Meiner Meinung nach liegt die Lösung in der intelligenten Kombination aus standardisierter Vorprüfung im Self-Service-Portal mit der individuellen Prüfmöglichkeit im Bedarfsfall.
Interview-Partner
Thorsten Beduhn, Rechtsanwalt und Steuerberater, ist Partner bei Rödl & Partner verantwortet dort weltweit den Bereich Global Mobility Consulting. Der Beratungsfokus liegt auf allen Formen des grenzüberschreitenden Mitarbeitendeneinsatzes, also von der klassischen Entsendung, über Dienstreisen, Projekttätigkeit bis zu WFA oder Employer of Records-Fragestellungen. Diese Mobilitätsformen werden unter rechtlichen, steuerlichen und Payroll Gesichtspunkten aus einer Hand weltweit beraten. Dieses Beratungsportfolio wird durch die strategische Partnerschaft mit ICUnet.Group ideal komplettiert.
Kurt Beichl trägt in der ICUnet.Group die kommerzielle Verantwortung für die Vermarktung der zur Abwicklung von Global Workforce Mobility Prozessen entwickelten Software Produktfamilie IND. Er verfügt über einen Masterabschluss in HR-Management und Organisationsentwicklung und war über viele Jahre auch international in unterschiedlichen Vertriebs- und Führungsrollen der IT- und Softwareindustrie, so wie auch als Unternehmensberater und Wirtschaftstrainer tätig.