Sobald Unternehmen erkennen, dass positive Arbeitserlebnisse einen direkten Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens haben, ist Employee Experience ein Thema. In diesem Blog-Artikel untersuchen wir den Return on Investment (ROI) von Employee Experience Maßnahmen. Aber mit einem kritischen Blick – denn nicht alles, was Beratende in Marketingbroschüren glänzen lassen, ist Gold.
Der Begriff der „Employee Experience“ wird derzeit breit genutzt. Employee Experience bezieht sich dabei auf eine ganzheitliche Betrachtung aller Erlebnisse und Erfahrungen, die Mitarbeitende in einem Unternehmen machen. Das Konzept erweitert die „Zufriedenheits-Debatte“ der 80er-Jahre und die „Engagement-Debatte“ der 2000er-Jahre um eine neue Facette. Man betrachtet die Arbeitswelt mit den Augen der Mitarbeitenden und versucht durch die bewusste Planung und Inszenierung von Momenten, Interaktionen und Umgebungen, positive Emotionen und langfristige Bindung zu schaffen. Das Ziel besteht darin, das Gesamterlebnis so zu gestalten, dass es den Bedürfnissen, Erwartungen und Werten der Zielgruppe entspricht. In diesem Fall intrinsische Arbeitsmotivation zu wecken (vgl. auch HRweb-Artikel „Employee Experience Design: Die Kunst der Mitarbeitererfahrung“).
ROI von Employee Experience
Die beraterischen Werbetrommeln werden derzeit laut geschlagen, wenn es darum geht, die Wichtigkeit von Employee Experience zu betonen und einen ROI – Return on Investment zu berechnen. Dabei werden zumeist die folgenden Aspekte angeführt:
- Weniger Fluktuation
- Höhere Arbeitgeberattraktivität bzw. Weiterempfehlungsbereitschaft
- Höhere Produktivität und/oder Kundenzufriedenheit
- Höhere Profitabilität
Produktivität & Profitabilität
Es zeigt sich in vielen Studien, dass Mitarbeitende, die sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, dazu tendieren, produktiver zu sein bzw. mehr Einsatzbereitschaft zu zeigen als Mitarbeitende, die sich unwohl fühlen. Verschiedene Studien fokussieren dabei auf unterschiedliche Metriken von „Happiness“, „Engagement“ bis hin zu „Satisfaction“. Die Ergebnisse sind grundsätzlich jedoch ähnlich: Die Produktivität bzw. der Arbeitswille steigt. Zum Beispiel im Rahmen einer 2020 durchgeführten experimentellen Studie mit britischen Telekom-Mitarbeitenden um 13%. Die Studie kommt zu dem klaren Schluss, dass positive Arbeitserfahrungen Produktivität & Co. begünstigen.
Eine andere in der Harvard Business Review veröffentlichte Studie fokussiert noch stärker auf den Einfluss positiver Employee Experience auf positive Customer Experience im Handelssegment und darauf aufbauend auf den Finanzerfolg einzelner Handelsfilialen. Dabei wurden in einer 3-jährigen Längsschnittstudie 1.000 Handelsfilialen in Bezug auf Mitarbeitermeinungen und Finanzergebnisse untersucht. Es konnte nachgewiesen werden, dass Filialen, die im oberen Quartil der EX-Metriken lagen, um 50% mehr Profit machten als Filialen im unteren Quartil. Man kam zu dem Schluss, dass ein ROI unter Betrachtung einer 5-Jahresperiode bei 30% liegt.
Kritische Betrachtung
- Die direkte Produktivität lässt sich nicht in jedem Job-Kontext gleichermaßen messen bzw. quantifizieren. Studien fokussieren häufig auf Vertriebsberufe oder Berufe mit klar messbarer Metrik. Viele Berufe sind aber komplexer (bspw. Softwareentwicklung) bzw. die Effekte sind subtiler. Auch hat direkte Kundenzufriedenheit nicht immer einen unmittelbaren Profitabilitätseffekt (bspw. Pflegeberufe im Krankenhausbereich).
- Auch gehen wenige Studien auf echte Längsschnittvergleiche ein, sondern vergleichen Unternehmen im Querschnitt entlang von Kennzahlen. Hier kann entsprechend keine Kausalität behauptet werden – ob eine positive Exmployee Experience zu mehr Unternehmenserfolg beiträgt oder Unternehmen mit hohem Erfolg eine positivere Employee Experience erwirken ist in vielen Studien nicht klar belegbar, sondern oft fälschlich interpretiert.
- In vielen amerikanischen Studien wird auch der Aktienwert als eine Erfolgskennzahl genutzt, was ebenso kritisch betrachtet werden kann, da dieser noch einmal mehr intervenierenden Effekten unterliegen kann als andere Zahlen.
- Studien belegen zwar deutlich, dass höhere Mitarbeiterzufriedenheit auf höhere Kundenzufriedenheit wirkt, komplexe Studiendesigns bestätigen aber ebenso die Rückwirkung, dass Kundenzufriedenheit eine wichtige Nährquelle für Mitarbeiterzufriedenheit darstellt. Eine Henne-Ei-Frage, die eher als sich selbst verstärkende Effekte zu beschreiben ist.
In Summe: Obwohl die dahinter liegende Argumentation, dass Menschen, die ihre Arbeit positiv erleben, sich stärker einbringen, logisch argumentierbar ist und viele Studien dies tendenziell bestätigen, ist eine Quantifizierung definitiv nicht für jeden Tätigkeitsbereich möglich bzw. zulässig.
Fluktuation & Recruiting
Noch häufiger als mit steigender Produktivität oder Kundenzufriedenheit wird mit entfallenden Fluktuationskosten argumentiert. Unter Fluktuationskosten fallen alle Kosten, die durch einen Personalwechsel entstehen. Dazu zählen Austrittskosten für den Weggang und die Kündigung von Mitarbeitenden, Recruiting- und Onboarding-Kosten für die Neubesetzung der vakanten Stelle, Kosten für Übergangslösungen und Mehrbelastungen sowie Opportunitätskosten aufgrund von entgangenen Gewinnen und Umsatzeinbußen. Meist werden bei der Ermittlung der Fluktuationskosten lediglich die direkten Kosten herangezogen. Mindestens genauso hoch, schlagen aber auch die indirekten Fluktuationskosten zu Buche.
Unterschiedliche Studien
Je nach Studie werden hier extrem unterschiedliche Zahlen errechnet. Eine Studie des Kompetenzzentrums Mitarbeiterbefragung kommt in einer Befragung von 112 Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden zu dem Schluss, dass die Kosten pro Fluktuationsfall etwa so hoch wie 100 bis 150 Prozent des Jahresgehalts (brutto) der ausscheidenden Mitarbeitenden sind. Dabei werden direkte und indirekte Kosten berücksichtigt. Eine Studie von Deloitte schätzt wesentlich geringer und geht von rd. 17.000€ Fluktuationskosten pro Stelle bei Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden aus. Hier berücksichtigt man scheinbar nur direkte Fluktuationskosten.
Aber in einem Punkt sind sich Studien einig: Fluktuation steigt in vielen Berufsgruppen und Fluktuation ist in jedem Fall teuer. Je höher qualifiziert die betroffene Stelle, umso teurer. Ich persönlich halte 50-100% des Brutto-Jahresgehaltes im Angestellten-Bereich für eine belastbare Annahme. Eine positive Employee Experience bringt man dabei v.a. mit erhöhter Bleibebereitschaft bzw. sinkender Wechselbereitschaft in Verbindung. Eine sehr häufig zitierte Studie von Josh Bersin unter amerikanischen Unternehmen geht davon aus, dass Unternehmen mit hoher Employee Experience Talente 5x wahrscheinlicher halten können als Unternehmen mit niedriger Employee Experience. Gallup Studien gehen davon aus, dass Unternehmen mit höherem Employee Engagement (wobei dies nicht mit Employee Experience gleichgesetzt werden kann) 18-43% geringere Fluktuationsraten als andere Unternehmen haben.
Als Gegenseite ist zudem anzuführen, dass Unternehmen mit positiver Employee Experience auch eine höhere nach außen wahrgenommene Arbeitgeberattraktivität erzielen können. Neben dem „Verteidigungskampf“ Fluktuation ist damit auch der „Angriffskampf“ Recruiting erleichtert – v.a. da hohe Arbeitgeberattraktivität auch die Weiterempfehlungsbereitschaft beeinflusst.
Kritische Betrachtung:
- Die Berechnungsbasis von Fluktuationskosten oder Recruitingkosten ist tlw. extrem unterschiedlich. Dabei trifft man gerade bei der Berücksichtigung von indirekten Kosten oft nicht näher beschriebene Annahmen, die Kosten deutlich höher darstellen. Und teils nutzen beraterische Argumentationen nur allzu gerne Maximalzahlen.
- Die meisten Studien sind Querschnittstudien und selten Längsschnittstudien. Auch hier ergibt sich also das Problem einer Kausalitätsbehauptung.
- Fluktuation wird nicht nur durch Employee Experience bestimmt. Sich verändernde Lebensumstände, Umzug etc. können trotz positiver Employee Experience Fluktuation nicht verhindern. Und viele Indizien sprechen dafür, dass jüngere Erwerbsgenerationen eine generell kürzere Bleibebereitschaft haben als frühere Erwerbsgenerationen. Employee Experience ist somit sicher ein Faktor, aber nur einer von vielen.
- Ich konnte keine Studien finden, die Inflationsentwicklung berücksichtigen. Denn es ist anzunehmen, dass ein „Wechselzuschlag“ von X% auch bei positiver Employee Experience die Wechselbereitschaft unter der aktuellen Finanzlage begünstigt.
- Oft wird der ROI von Employee Experience durch gesteigerte Weiterempfehlungsbereitschaft gemessen bspw. an Konzepten wie einem eNPS (Employee Net Promoter Score). Hypothetische Weiterempfehlungsbereitschaft ist aber nicht mit realisierter Weiterempfehlung gleichzusetzen und kann maximal als Indikator dienen, nicht als echte ROI Kennzahl.
Aber auch hier liegt zusammenfassend ein klarer Beleg dafür vor, dass positive Arbeitserfahrungen die Bleibewahrscheinlichkeit erhöhen, weil die Faktoren, die eine Kündigung begünstigen, mit geringerer Wahrscheinlichkeit schlagend werden.
Muss man alles messen?
Es gibt das bekannte Management-Zitat: „You can’t manage what you can’t measure“.
Dem kann man wohl nur gegenüberstellen: „Nicht alles, was man messen kann, ist wichtig. Nicht alles, was wichtig, ist messbar.“
Employee Experience ist ein neuer Begriff für jahrezehntealte Erkenntnisse der Arbeitspsychologie. Es ist unbestritten, dass positive Arbeitsplatzbedingungen auch positive Effekte nach sich ziehen – darunter der Wille zu höherem Arbeitseinsatz, weniger Wechselbereitschaft und höhere Identifikation mit dem Unternehmen. Diese werden jedoch in unterschiedlichen Tätigkeitsgruppen unterschiedlich schlagend und Rahmenbedingungen wie (bspw. finanziell-incentivierte Abwerbeangebote) sind in Studien kaum berücksichtigbar.
Es ist populär geworden, für alles und jedes einen Business-Case zu produzieren. Und man kann es auch in diesem Fall tun. Die positiven Effekte von Employee Experience kann man aus meiner Sicht nur schwer infrage stellen. Und dennoch ist jede quantifizierte ROI-Zahl nur so gut wie die Berechnungsannahmen dahinter. Effekt…ja. Effektstärke…naja.
Ich glaube übrigens auch, dass gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung gesund sind. Und mir musste noch niemand vorrechnen, dass ich je Apfel 1h mehr Lebenszeit gewinne.
Employee Experience | Der Return on Investment von EX-Maßnahmen