Viele Konzerne und mittelständische Unternehmen müssen aufgrund der großen Marktveränderungen Personal abbauen. Häufig engagieren sie als Unterstützende in diesem Prozess externe Beratende – auch um den Betriebsfrieden zu bewahren. Ein Praxisbeispiel!
Gast-Autor: Silas Koch
Im Sommer 2022 stand ein mittelständisches Unternehmen vor der Alternative: Entweder wir senken unsere Kosten oder wir müssen bald unsere Pforten schließen. Also stellte die Geschäftsleitung alle Sachausgaben auf den Prüfstand. Was entbehrlich war, wurde gestrichen. Doch das allein genügte nicht. Es reifte in der Unternehmensleitung die Erkenntnis: Wir müssen etwa 20 Prozent unserer circa 240 Mitarbeitenden entlassen.
Ein Drehbuch für den Trennungsprozess schreiben
Leicht fiel der Geschäftsleitung des Familienunternehmens diese Entscheidung nicht – auch, weil sie befürchtete: Wenn wir in größerem Umfang Mitarbeitende entlassen, zerstört es unsere von einem starken Wir-Gefühl geprägte Unternehmenskultur. Deshalb beschloss sie: Wir arbeiten mit einem Beratungsunternehmen zusammen, das
- uns hilft, den Trennungsprozess aus Mitarbeitersicht fair zu gestalten, und
- die Entlassenen dabei unterstützt, für sich eine neue berufliche Perspektive zu entwerfen.
Als Partner wählte die Geschäftsleitung die Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Ihr Senior-Consultant Thomas Fischer entwarf mit dem geschäftsführenden Gesellschafter des Unternehmens, dessen Personalleitenden und drei eingeweihten Führungskräften ein Konzept für den Kündigungs- und Trennungsprozess.
Parallel dazu wurden alle gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Instrumente zur Personalanpassung ohne Entlassungen (z.B. Altersteilzeit, Teilzeitarbeit oder interne Versetzungen) geprüft. Der Betriebsrat wurde informiert und mit ihm ein Sozialplan verhandelt. In dieser Phase waren alle Beteiligten noch zum Stillschweigen verpflichtet.
Den Auftakt des offiziellen Kündigungs- und Trennungsprozesses bildete ein zweistündiges Meeting Anfang September 2022 mit der Führungsmannschaft des Unternehmens. Der geschäftsführende Gesellschafter informierte alle Führungskräfte über das Programm zum Personalabbau und erläuterte ihnen den geplanten Ablauf. Er erstellte mit ihnen, unterstützt von den externen Beratenden, eine Planung zum weiteren Vorgehen. Sie enthielt auch erste Absprachen darüber, wer, wann, mit wem, welche Gespräche wie führt.
Die Betroffenen und ihre Vorgesetzten unterstützen
Eine Woche später informierte der geschäftsführende Gesellschafter alle Mitarbeitenden auf einer Betriebsversammlung über den geplanten Personalabbau. Er teilte ihnen mit, dass die Führungskräfte in den nächsten Tagen persönliche Gespräche mit ihnen führen werden. In der Versammlung wurde die Beratenden vorgestellt, die die Betroffenen im weiteren Prozess begleiten und unterstützen sollten.
Zwei Tage nach der Betriebsversammlung wurden die Führungskräfte, die die Mitarbeitergespräche führen sollten, in einem halbtägigen Training auf diese Aufgabe vorbereitet. Danach führten die Führungskräfte die entsprechenden Gespräche
- mit den Mitarbeitenden, die das Unternehmen auf alle Fälle als Arbeitnehmende behalten wollte, und
- mit den Mitarbeitenden, die es für das angebotene Freiwilligenprogramm gewinnen wollte.
Nach Ablauf einer gesetzten Frist von drei Wochen hatten zwar 19 Mitarbeitende für sich entschieden: Wir trennen uns mit einer Abfindung im gemeinsamen Einvernehmen vom Unternehmen. Ihre Zahl genügte aber nicht, um die angestrebte Personalreduktion um 48 Mitarbeitende zu erreichen. Also starteten nun die offiziellen Kündigungsgespräche, in denen die betriebsbedingten Trennungen besprochen wurden. Die Gespräche wurden mit den Betroffenen stets von der jeweiligen Führungskraft und dem Personalleitenden geführt.
In den Gesprächen war wichtig, die Trennungsbotschaft klar zu vermitteln, jedoch fair und wertschätzend zu bleiben. Betont wurde deshalb stets, dass die Trennung nichts mit der betreffenden Person und ihrer Leistung zu tun habe, sondern betriebsbedingt sei. Sie sagten den Betroffenen ihre persönliche Unterstützung, sowie die Hilfestellung des Unternehmens beim Aufbau einer möglichen beruflichen Alternative zu.
Eine neue Perspektive für die Betroffenen entwickeln
Letztlich entschieden sich alle 29 gekündigten Mitarbeitenden an dem vom Unternehmen angebotenen Newplacement-Prozess teilzunehmen. Die Beratenden trafen sich mit ihnen, um mögliche neue berufliche persönliche Perspektiven zu erarbeiten. In den Gesprächen wurde vermittelt: „Ihr seid alle keine Berufseinsteiger. Ihr habt alle jahrelange Berufserfahrung. Deshalb könnt ihr in Unternehmen wichtiges Know-how einbringen.“
Anschließend fanden für alle Gekündigten in Kleingruppen Bewerbertrainings statt. In ihnen entwickelten sie für sich eine berufliche Perspektive:
- Suche ich mir eine neue Stelle, gehe ich in den vorgezogenen Ruhestand oder mache ich mich selbstständig?
- Steige ich beruflich gleich wieder voll ein oder nutze ich die Situation, um mich weiterzubilden?
In den Trainings ermittelten die Teilnehmenden auch, welche „Stärken“ sie als Bewerbende in die Waagschale werfen können. Außerdem analysierten sie, bei welchen Unternehmen Bewerbungen Erfolg versprechend wären. Danach erstellten sie ihre Bewerberprofile und -mappen.
Gekündigte Mitarbeitende unterschätzen oft ihre Kompetenz
Nach den Trainings traf sich jeder Stellensuchende mit einem der externen Beratenden, um der persönlichen Bewerbungsmappe und -strategie den letzten Schliff zu geben. Das war nötig, weil sich die meisten Teilnehmenden seit Jahren nicht mehr beworben hatten und dadurch unsicher waren. Vielen waren ihre Fähigkeiten nicht bewusst, die ihnen Pluspunkte bringen, sofern sie sich beim richtigen Unternehmen bewerben.
So vorbereitet bewarben sich die Gekündigten. Durch das gezielte Vorgehen hatten 15 der 29 entlassenen Mitarbeitenden bis zum Jahresende, also vier Monate nach den Bewerbungstrainings schon wieder eine neue Stelle. Fünf weitere hatten entschieden, sich selbstständig zu machen, und vier eine längerfristige Weiterbildung bzw. Umschulung zu machen. Also hatte nur noch etwa jeder Sechste entlassene Mitarbeitende keine neue berufliche Perspektive.
Das Vertrauen der „Survivor“ nicht verlieren
Über die positive Entwicklung informierte der Geschäftsführer des Unternehmens im Januar 2023 die verbliebenen Mitarbeitenden, die sogenannten „Survivor“, in einer Kick-Off-Veranstaltung, die die Phase des Neustarts in dem gesundgeschrumpften Unternehmen einläutete. Das stärkte die Identifikation der verbliebenen Mitarbeitenden mit ihrem Arbeitgebenden, weil sie spürten: Das Schicksal unseres ehemaligen Kollegenkreises – und damit sicher auch unseres – ist unseren Vorgesetzten nicht egal.
Ein solches Signal an die „Survivor“ zu senden, ist wichtig. Nicht nur, weil es ein Ausdruck der Wertschätzung für die Ex-Mitarbeitenden ist. Die verbleibenden Mitarbeitenden beobachten und registrieren sehr genau, wie der Betrieb mit ihren bisherigen Team-Mitgliedern umgeht. Hieraus leiten sie ab, welches „Schicksal“ ihnen künftig eventuell droht. Deshalb führt ein Personalabbau- und Trennungsprozess, der von ihnen als nicht fair empfunden wird, oft zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust bei den verbleibenden Mitarbeitenden.
Gast-Autor
Silas Koch, Darmstadt, arbeitet u.a. als Fachjournalist. Er ist auf IT- und Managementthemen spezialisiert.