In den HR-Abteilungen werden wir uns – leider oder glücklicher Weise? – zusehends mit Künstlicher Intelligenz anfreunden müssen. Gernot Winter erzählt heute vom konkreten Einsatz in der Praxis:
Interview-Partner: Gernot Winter
KI in der HR-Praxis
Gernot Winter ist Herausgeber des Magazin TRAiNiNG und Gründer von Superintelligenz.eu
Lest auch rein in den zweiten Interview-Teil mit Gernot Winter: Künstliche Intelligenz | KI in Human Resources
Das sollte HR hinsichtlich KI wissen – können – beherrschen:
Welche Programme sind jene, mit denen sich Personalverantwortliche am dringendsten auseinandersetzen müssen?
Aus meiner Sicht geht es weniger um bestimmte Programme, die z.B. am Markt zuzukaufen sind, sondern vielmehr darum, in der eigenen Abteilung ein Verständnis der KI-Systeme aufzubauen. Denn erstens ist ein solches Verständnis notwendig, um einzelne Programme bewerten zu können, und zweitens verändert sich der Markt für KI-Instrumente dermaßen schnell, dass jeder Tipp nach kurzer Zeit veraltet sein könnte.
Wofür es ein Verständnis braucht: Wie sind diese neuen KI-Systeme, die auf Large Language Models (LLM) basieren, aufgebaut? Was unterscheidet sie von Maschinen-Lernen oder Deep Learning? Was sind ihre Stärken und Schwächen? Wie stark beeinflusst das LLM die Ergebnisse des einzelnen darauf aufbauenden Programms? Wie groß sind die Qualitätsunterschiede je nach eingesetzter Sprache (z.B. zwischen Englisch und Deutsch)?
Ohne dieses Wissen ist ein sinnvoller Einsatz von KI-Systemen in der eigenen HR-Abteilung eine Sache von Zufall und Glück.
Kannst du das näher erläutern?
Ich möchte einen kleinen Teilbereich herausgreifen und einige dieser Fragen beantworten: Die allermeisten, vor allem aber die großen und hochwertigen LLMs sind von amerikanischen Unternehmen erstellt und trainiert. Daraus folgt u.a., dass sie auf Basis von englischen Daten sehr viel bessere Ergebnisse liefern als mit deutschen Daten.
Aktuell und wohl noch für einige Zeit haben die auf LLMs basierenden KI-Systeme zusätzlich eine entscheidende Schwäche: Ihre Antworten, Auswertungen, Empfehlungen etc. sind nicht immer richtig, selbst dann nicht, wenn der zugrundeliegende Datensatz zu 100 % korrekt ist. Das disqualifiziert sie für einige Einsatzbereiche, egal wie die Versprechungen mancher Programmanbieter lauten mögen.
In welchen nicht HR-spezifischen KI-Programmen sollte man sich in erster Linie fit machen?
Die Produkte der Stunde sind KI-Systeme auf Basis der sogenannten Generativen Künstlichen Intelligenz (GAI oder auch GenAI). Damit lassen sich fotorealistische Bilder erstellen, ausgezeichnete Texte verfassen, Präsentationsunterlagen erstellen, ganze Wissensmanagementsysteme aufbauen, beeindruckende Lernsysteme einrichten, Marketing-Chatbots generieren u.v.m. Es ist offensichtlich, dass diese Technologie für alle Menschen, die mit Computern arbeiten, großes Potenzial hat.
Der Zeitpunkt, ab dem der Unterschied zwischen von Menschen gemachten Fotos und den von KI-Systemen generierten Bildern nicht mehr erkennbar ist, liegt übrigens in der Vergangenheit. Das Gleiche gilt für Texte. Wenn man den Unterschied noch erkennen kann, dann nur, weil nicht die besten KI-Systeme eingesetzt worden sind.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alle diese KI-Systeme einsetzen, und sei es nur, um uns die Arbeit zu erleichtern oder gänzlich zu ersparen. Wenn es nach Unternehmen wie OpenAI (Entwickler von ChatGPT, dem derzeit besten LLM/Chatbot-System am Markt) geht, dann werden wir alle in Zukunft unsere persönlichen digitalen Assistenten haben, die sehr viele dieser Aufgaben für uns übernehmen werden – und wir werden dafür eine monatliche Gebühr zahlen, so wie wir heute für unseren Internetzugang oder unseren Handyvertrag monatliche Gebühren entrichten.
In welchen Fällen ist KI in HR schon heute wirklich hilfreich?
Überall dort, wo die GenAI-Programme unter Einhaltung der geltenden Datenschutzbestimmungen Arbeit abnehmen können, z.B. beim Konzipieren und Erstellen von Recruiting-Kampagnen.
Ansonsten ist aber ganz wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: Aufgrund der DSGVO und der Art und Weise, wie diese KI-Systeme mit LLMs funktionieren, gilt heute in der gesamten EU: Ich kann im HR entweder sehr gute KI-Programme verwenden, deren Einsatz aber nicht erlaubt ist – oder ich kann DSGVO-konforme KI-Programme verwenden, die aber nicht sehr gut sind.
Daher ist es verständlich, dass viele Unternehmen für HR noch zuwarten, bis es sehr gute KI-Programme gibt, die auch DSGVO-konform sind. Ich erwarte das für das Jahr 2024. Es könnte aber auch ein bisschen länger dauern.
Im Marketing sieht es aber ganz anders aus, denn da fällt es vergleichsweise einfach, keine personenbezogenen oder andere sensible Daten an die KI-Systeme zu übermitteln.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: in 3 und 10 Jahren
Wo werden wir in HR in 3 Jahren stehen hinsichtlich KI?
Viele von uns werden KI-Systeme wie selbstverständlich einsetzen, zum Erstellen von Texten, Bildern, Präsentationen etc. KI wird einfach ein weiteres digitales Instrument sein, dessen Nutzung viele Vorteile bringt.
Die größten rechtlichen Unklarheiten werden beseitigt sein, wir werden generell einen klareren Blick auf die KI haben.
KI wird zu einem festen Bestandteil in unserem Bildungssystem werden.
Wo werden wir in HR in 10 Jahren stehen hinsichtlich KI?
Wer behauptet, auf diese Frage konkrete Antworten zu haben, leidet wohl an Selbstüberschätzung. Ilya Sutskever, der bedeutendste KI-Forscher und -Entwickler unserer Zeit, vermutet, dass wir innerhalb dieses Jahrzehnts die nächste Stufe der Künstlichen Intelligenz erreicht haben werden, die sogenannte Artificial General Intelligence. KI-Systeme hätten dann die kognitiven Fähigkeiten eines erwachsenen Menschen.
Wenn dieser Meilenstein erreicht ist, könnte die weitere Entwicklung mit noch größerer Geschwindigkeit erfolgen, weil dann Maschinen Maschinen trainieren werden. Es könnte dann zu einer Maschinen-Intelligenz-Explosion kommen. Für manche ist das ein Wunschszenario mit heute nicht vorstellbaren Fortschritten in Bildung, Forschung und Medizin, für andere ist das nichts weniger als die Apokalypse.
Ich wage folgende Prognose: In zehn Jahren werden wir zurückschauen und darüber amüsiert sein, was wir heute als Künstliche Intelligenz bezeichnet haben und dass wir darüber diskutiert haben, ob die KI zu gesellschaftlichen Veränderungen führen könnte.