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Was die Angst vor ein paar Andersdenkenden bewirkt

15Feb2024
4 min
Andersdenkende

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Gemacht wird, was belohnt wird. Also überlegen Sie gut, was Sie mit Worten und Taten belohnen: den Konformismus – oder das Anderssein? Das Abarbeiten von Verfahrensvorgaben – oder mutige Schritte ins Neuland? Das devote Nichthinterfragen – oder den konstruktiven Widerspruch?

Konformismus führt zu Starre

Führende müssen aktiv Anreize schaffen, die es attraktiv machen, kritische Gegenstimmen oder auch unpopuläre Gedanken zu äußern und nicht nur mutig zu denken, sondern auch eigeninitiativ zu handeln. „Aber da verlieren wir ja ganz die Kontrolle“, ruft man mir zu. Gut so, kann ich nur sagen. Hochqualifizierte Talente müssen nicht beaufsichtigt werden wie kleine Kinder. Das bremst sie nur aus.

Je größer die Zahl der strikt zu befolgenden Prozesse ist und je mehr deren Einhaltung belobigt wird, desto weniger Wandel ist möglich. Zudem neigen Regeln zur Selbstvermehrung: Jeder Ausrutscher hat eine weitere Vorschrift zur Folge – und ist damit eine kollektive Bestrafung für das Missgeschick einer einzelnen Person.

So wird der Handlungsspielraum im Laufe der Zeit immer mehr limitiert. Alles erstarrt in einem Vorschriftendickicht aus hausgemachter Bürokratie. Und je größer ein Unternehmen, desto verheerender ist der Effekt. Sie werden zu Riesen, die sich selbst knebeln und den eingepflockten Fesseln dann nicht mehr entkommen.

„Managing the three percent“ und das Glühbirnendrama

„Managing the three percent“ nennt man das Syndrom, wenn man behindernde Regeln für alle erlässt, nur weil es einen kleinen Ausrutscher gab. Es ist die Angst vor den drei Prozent „schwarzen Schafen“. Und es ist defizitorientiertes Handeln. Der absurdeste Fall, der mir persönlich untergekommen ist: das Glühbirnendrama.

Es passierte in einem Facility-Management-Unternehmen. Ein dort tätiger Hausmeister hatte sich unverfroren erdreistet, bei einem Kunden eine Glühbirne auszuwechseln, ohne sie in Rechnung zu stellen. Das kann man natürlich nicht durchgehen lassen. Also wurde ein neuer Prozess aufgesetzt. Von nun an mussten alle zunächst ein Formular ausfüllen, das wurde eingereicht und geprüft. Die Glühbirne wurde bereitgestellt, dann wurde mit dem Kunden ein Auswechseltermin vereinbart.

Was dieser Prozess – im Vergleich zum Einkaufspreis einer Glühbirne – kostet, hatte hingegen niemand berechnet. Das Schlimmste aus Sicht der Hausmeister aber war: Früher bekamen sie oft ein Lächeln und einen Dank für ihre Arbeit. Jetzt rollte die Kundschaft (= die Damen in den Büros) nur noch verständnislos mit den Augen. Hab die Firma übrigens grad mal gegoogelt. Es gibt sie nicht mehr.

Mehr Mut und bisweilen auch Nonkonformismus belohnen

Wer seine Mitarbeitenden dafür belohnt, dass sie etablierten Vorgaben folgen, ohne diese hinterfragen zu dürfen, bekommt Leute, die nur noch Vorlagen ausmalen können, aber niemanden, der auch eigene Bilder entwirft. Kein Wunder, dass dann Kreativität und Eigenständigkeit schwinden – so, wie ein Muskel verkümmert, den man niemals benutzt. „Use it or lose it“, das ist das neuronale Prinzip.

Kein Unternehmen erzielt Wettbewerbsvorsprünge dadurch, dass seine Beschäftigten starre Regeln befolgen. Vorsprünge erzielt man durch außergewöhnliche Vorgehensweisen, durch wagemutiges Handeln und neue Ideen. Wo aber Angst, Bedrohung, Druck und Kontrolle regieren, hat Mut keine Chance. Und wer selbst keinen Mut zum Wandel zeigt, kann anderen die Angst vor dem Neuen nicht nehmen.

Nicht Konformismus, sondern Mut muss man also in den Unternehmen belohnen:

  • den Mut, anders zu denken,
  • den Mut, anders zu handeln,
  • den Mut, Neues zu wagen.

Um-die-Ecke-Denkende, Über-den-Tellerrand-Schauende und Den-alten-Trott-Bekämpfende sind die treibende Kraft, damit das notwendige Neue sich in allen Bereichen entfaltet.

Aufgabe der Führungskraft: Möglichkeitsräume öffnen

Die Möglichkeitsräume, damit neue Ideen eingebracht werden und somit der Sprung in die Zukunft gelingt, kann nur die Führungskraft öffnen, zum Beispiel mit ermunternden Worten wie diesen:

  • „Was haben Sie denn heute Mutiges vor oder schon geleistet?“, will sie interessiert wissen und zeigt damit: Mut ist ihr wichtig, weil sie explizit danach fragt.

  • „Es freut mich, dass Sie das so offen ansprechen“, sagt der Chef im Meeting zu einem Mitarbeitenden, der einen seiner Vorschläge attackiert. „Sie zeigen damit, dass Sie gründlich nachdenken und dass Ihnen das Fortkommen der Firma am Herzen liegt. Den Mut, uns allen und auch mir Ihre Meinung hier so nachdrücklich darzulegen, den rechne ich Ihnen hoch an.“

  • „Sie erhalten zehn Prozent Bonus in diesem Jahr, weil Sie mutig gehandelt und Risiken auf sich genommen haben. Nicht alle Aktionen haben geklappt, aber das ist normal. Das gehört dazu, wenn man Neues wagt. Die Dinge nämlich, die geklappt haben, die haben uns richtig nach vorne gebracht. Prima. Vielen Dank.“

James Rogers, CEO des US-Energieanbieters Duke Energy, veranstaltet „Zuhör-Meetings“, bei denen die Teilnehmenden vor allem brisante Themen ansprechen sollen. „Bei uns gibt es eine Mitsprachepflicht, bei der jeder sagen muss, was ihm gefällt und was nicht. Wir wollen wissen, wenn jemand eine Idee hat oder etwas kritisiert. Denn nur so kommen wir gemeinschaftlich nach vorn“, erzählt die mehrfach ausgezeichnete Sozialunternehmerin Sina Trinkwalder, Chefin der Textilfirma Manomama.

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