Eine Stelle im Unternehmen wird frei, eine entsprechende Stellenanzeige verfasst, danach trudeln Bewerbungen ein, aus denen Personalverantwortliche Personen einladen – oft nach einiger Zeit der Sondierung. Viele von Ihnen, die im Recruiting arbeiten, müssen vermutlich bereits jetzt schmunzeln.
Nicht nur, dass viele sich wünschen würden, viele Bewerbungen zu haben, aus denen man wählen kann. Aber auch Zeit ist ein immer kritischerer Faktor geworden. Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen: Unter gegebenen Rahmenbedingungen bin ich überzeugt, dass die klassische Bewerbung ein Konzept der Vergangenheit ist und wir neue Wege gehen müssen – wie es manche auch schon machen.
Die Bewerbung – ein Konzept der Generation X
Die Generation X ist jene Generation, die etwa zwischen Mitte der Sechziger Jahre und Anfang der Achtziger das Lichte der Welt erblickt hat. Zu dieser Zeit waren der Baby Boom der Nachkriegszeit vorbei, jedoch sahen sich viele der Generation X mit der Herausforderung konfrontiert, dass die großen Kohorten davor alle wichtigen Positionen besetzt hatten. Man musste sich also laufend beweisen, sich einem gegebenen Wettbewerb stellen und von Studienplatz bis Job aktiv im besten Licht darstellen. Arbeitslos zu sein, war verpönt, Leistung überall wesentlich. Die Bewerbung als Instrument, um sich mit einem entsprechenden Motivationsschreiben, Lebenslauf, Zeugnissen und Empfehlungen vorzustellen, ist ein Relikt aus genau dieser Zeit. Es ist die Folge von massivem Wettbewerb am Arbeitsmarkt und einem Überangebot.
Heute sieht die Lage anders aus. Haben 1963 noch fast 135.000 Menschen das Licht der Welt erblickt, waren es 2003 – also 40 Jahre später – weniger als 77.000. Und nach einer kurzen Erholung auf etwa 86.000 lagen wir im letzten Jahr wieder etwa auf dem Wert von 2003. Personalsuchende spüren das täglich, wenn sie auf Ausschreibungen schlichtweg keine Bewerbungen bekommen.
Und trotzdem wenden wir noch immer das gleiche Verfahren an wie zu Zeiten, in denen der Wettbewerb um heiß begehrte Jobs auf dem Höhepunkt war. Wer aber heute Personal finden will, muss die Schwellen senken und die Suchwege erweitern.
Neue Ansätze braucht das Recruiting
Da wäre die Supermarktkette, die bereits auf ihren Filialen einen QR-Code affichiert hat. Mit diesem gelangt man in die „Schnellbewerbung“. Hier werden nur mehr Name und eine Kontaktmöglichkeit abgefragt – HR kontaktiert dann innerhalb von maximal 3 Tagen verlässlich. Was sich für Gewohnheitstiere schräg anhören mag, ist schlichtweg die Veränderung des Prozesses weg von der „Bewerbung“ hin zu einer Dienstleistung an potenziell Interessierten. Dem Unternehmen genügt die Information, dass jemand potenziell interessiert ist, alles andere wird später persönlich geklärt.
Nicht nur steigert so ein Vorgehen aus Bias-Perspektive auch die Chancen von bislang in der Arbeitssuche benachteiligten Personen, vor allem aber hilft das Senken der Schwellen, das Potenzial deutlich besser zu nutzen. Denn neben der an sich schon geringen Anzahl sind es auch zB sprachliche Hürden, die eine Bewerbung im klassischen Sinne erschweren.
Oder aber das Consulting Unternehmen, das Bewerbungen über LinkedIn-Weiterleitung akzeptiert. Interessierte klicken einfach auf „Profil senden“ und das Unternehmen erhält alle in LinkedIn gespeicherten Daten – praktisch als Ersatz für den Lebenslauf. Ein Anschreiben macht aus vielerlei Hinsicht ohnedies nur sehr eingeschränkt Sinn. Auch dieses kommt noch aus einer Zeit, in der viele Menschen um einen begehrten Job ritterten. Nicht nur dass durch den Verzicht darauf und technisch einfache Möglichkeiten auch die Schwelle gesenkt wird, wird vor allem auch die Geschwindigkeit gesteigert.
Die Zeit vom Erstkontakt zum persönlichen Treffen und letztlich zur Einstellung ist ein heute mehr denn je kritischer Faktor. Die Kennzahl „Time to job“ sollte daher in allen Unternehmen konsequent gemessen und verbessert werden. Wir können es uns nicht mehr leisten, mal 2-3 Wochen vergehen zu lassen, um dann mal jemanden einzuladen. Einzelne Unternehmen geben auch hier schon ein Leistungsversprechen ab. „Vom Erstkontakt zu Einstellung in unter …. Tagen.“
Oder das Beispiel des Markenartikelherstellers, der Bewerbungen über Sprachnachricht akzeptiert. Auf der Bewerbungsseite interagiert ein virtueller Avatar mit Interessierten. Im Dialog meint dieser dann „Ah, du interessierst dich für eine Stelle im Sales bei uns. Ok, dann erzähl uns ein bisschen was über dich.“ Und mit einem Klick auf den Aufnahmebutton können sich Interessierte via Sprachnachricht bewerben. Auch dies mag seltsam anmuten, kommt aber einer jungen Generation, die auch mit dem Freundeskreis über Voicemessages und Kurzvideos interagiert sehr entgegen.
Wenn Bewerbende so agieren würden wie Personalsuchende
Zum Schluss noch ein paar Gedanken zum Schmunzeln. Wenn Bewerbende heute schon so agieren würden wie Unternehmen es immer noch tun, dann würde das in etwa so aussehen:
- „Um die Eignung des Jobs genau zu prüfen, habe ich meine Mutter sowie meinen besten Freund zum Gespräch mitgenommen.“
- „Was qualifiziert sie dazu, mir sicher eine gute Arbeitsumgebung zu bieten?“
- „Ich schaue mir in den kommenden Tagen noch vier weitere Stellen an und melde mich dann bei Ihnen.“
- „Um zu sehen, ob Sie als meine Führungskraft wirklich geeignet sind, habe ich hier eine kleine Aufgabe mitgebracht….“
- „Für mich sind Jobsicherheit, stetige Weiterentwicklung und laufendes Feedback wichtig. Wie stellen Sie das sicher?“
Vielleicht hat Sie dieser Gedanke zum Lächeln gebracht, allerdings sollte uns bewusst sein, dass wir soweit gar nicht davon entfernt sind.
Recruiting muss sich heute in einer Dienstleistungsrolle verstehen und aus dieser Rolle Interessierte aktiv servicieren und ihnen zu einem guten Job verhelfen. Vielzuoft noch versteht sich Recruiting noch immer als „Türsteher“, die entscheiden, wer hineinkommt. Diese Zeiten sind vorbei. Das sollten auch Generation X Führungskräfte erkennen.
Das Konzept der „Bewerbung“ ist tot | Warum wir Recruiting neu denken müssen