Obwohl Diskriminierung am Arbeitsplatz gesetzlich untersagt ist, ist es menschlich, dass wir fortlaufend bevorzugen oder benachteiligen, oft aufgrund unbewusster Vorannahmen, auch bekannt als Unconscious Bias.
Bei Sabine Weber-Treiber (Beraterin und Trainerin, Diversity Think Tank) frage ich genauer nach, wie man sich als Führungskraft sensibilisieren kann, um nicht in die Bias-Falle zu tappen.
Interview-Partnerin
Sabine Weber-Treiber ist als Beraterin und Trainerin beim Diversity Think Tank mit Ihrem Wissen in Wirtschaftsfragen und Herausforderungen im Bereich Vielfalt und Inklusion, sowie Barrierefreiheit tätig. Sie unterstützt Unternehmen, innovative Lösungen zu entwickeln, welche helfen, eine vielfältige und inklusive Arbeitskultur zu fördern. Mit Ihrer Leidenschaft für die Förderung von Diversität schafft Sie Bewusstsein, um Barrieren abzubauen.
Weshalb immer noch Unconscious Bias?
Unconscious Bias im Recruiting ist ja mittlerweile altbekannt. Weshalb haben wir ihn immer noch nicht überwunden?
Ja, tatsächlich kennen das Thema viele noch von der Universität, wo Wahrnehmungsfehler und –verzerrungen schon lange Lerninhalt zB in Organisationspsychologie sind. Der Grund warum das Thema nun wieder verstärkt auftaucht, erklärt sich natürlich stark durch den zunehmenden Arbeitskräftemangel und die damit zusammenhängende Notwendigkeit, breit nach neuem Personal zu suchen.
Aber auch wenn wir über unbewusste Vorannahmen Bescheid wissen, so ist es dennoch nicht möglich diese völlig außen vor zu lassen. Menschliche Entscheidungen werden von unbewussten Vorannahmen beeinflusst, die aus Erfahrungen und sozialer Konditionierung stammen. Diese Vorannahmen, insbesondere in Bezug auf Diversität, können tief verwurzelte Vorurteile und Einstellungen sein, die oft unbewusst sind. Sensibilisierung und Schulungen können helfen, diese Vorurteile zu erkennen und zu überwinden. Insbesondere im Recruiting gibt es aber noch weitere drei Faktoren, welche großen Anteil haben, dass Bias-reduziertes oder Bias-armes Recruiting noch nicht allerorts gelingt.
In der Hektik des (Business-)Alltags müssen Personalentscheidungen oftmals sehr zeitnah getroffen werden, weshalb wenig Zeit für den Austausch mit Bewerbenden bleibt. Gerade in diesen Stress-Situationen wird auch im Recruiting häufig auf Erfahrungswerte und Intuition zurückgegriffen. Damit haben unbewusste Vorurteile Raum, wenn die Beschäftigung mit den Fakten (also Kompetenzen, Qualifikationen etc.) zu kurz kommt.
Darüber hinaus spiegeln Entscheidungsgremien oft nicht die Vielfalt der Gesellschaft wider, was wiederum zu eingeschränkten Perspektiven und weiteren Unconscious Biases führen kann. Ein weiterer Punkt liegt darin, dass die Berücksichtigung verschiedener Meinungen häufig als zu zeitintensiv bewertet und damit als nicht zielorientiert wahrgenommen wird.
Unternehmen, die erfolgreich Maßnahmen in diesem Bereich implementieren und sensibel mit der Problematik des Erkennens von Biases umgehen, fördern dadurch Diversität und Inklusion in der Belegschaft.
Denkweisen & Haltung verändern
Was braucht es hinsichtlich Denkweise / Emotion / Herangehensweise, um Bias zu verringern?
Das Bewusstsein zu schaffen, dass unbewusste Vorannahmen vorhanden sein können, ist wohl der erste Schritt. Gerade Personen im Recruiting sind häufig der Meinung, dass ihnen solche Dinge nicht passieren. Gerade aber bei wiederholenden Tätigkeiten kommen Biases verstärkt zum Tragen. Wenn wir also um Bias Bescheid wissen, steigt die Wahrscheinlichkeit, solche auch zu erkennen und Prozesse gleich so umzugestalten, dass sie biasärmer sind.
Die Problematik bei Bias liegt vor allem daran, dass unser Gehirn bereits, ohne dass tiefergehende Informationen über eine uns fremde Personen vorliegen, das mentale Archiv aufsucht, und Muster identifiziert. So kann uns jemand – ohne dass wir uns im Klaren sind – von Beginn an unsympathisch sein oder wir haben bei einem Bewerbenden mit nicht-weißer Hautfarbe sofort eine Annahme über dessen Leistungsbereitschaft.
Dieser innere Musterabgleich erzeugt also auch Emotion, etwa Sympathie oder Ablehnung, und mit dieser Einstellung gehen wir dann in ein Gespräch. Oder lehnen die Person von vornherein ab. Achtsamkeit auf diesen Umstand hilft. Sie beseitigt aber die Voreingenommenheit bei weitem nicht restlos. Vor allem, weil es auch nicht möglich ist, sich etwas bewusst zu machen, was unbewusst passiert. Wäre das so einfach, müssten wir heute nicht über die Verringerung von Bias im Recruiting sprechen. Dazu braucht es noch anderes.
Änderungen im Recruiting-System
Was braucht es im Recruiting-System, um Bias zu verringern?
Die Forschung zeigt uns, dass es systematische Prozessveränderungen – sogenanntes Verhaltensdesign – braucht, damit wirklich weniger Bias zum Tragen kommt. Nachdem es unmöglich ist, uns alles bewusst zu machen, was unbewusst geschieht, müssen wir die Prozesse von Haus aus gleich so verändern, dass es uns verunmöglicht oder zumindest erschwert wird, gebiased zu sein.
Eine plakative Maßnahme dazu ist die anonymisierte Bewerbung, also zum Beispiel ohne Foto und Namen. Diese beiden Dinge verursachen die meisten Biases und Ablenkungen bei einer Bewerbung. Nehmen wir diese weg, so ist es uns gar nicht mehr möglich, bereits aufgrund eines Namens oder eines Fotos beeinflusst zu sein und wir müssen uns mehr mit den Kompetenzen, Erfahrungen und Qualifikationen auseinandersetzen. Aus Bias-Sicht also eine gute Maßnahme, wenn auch nicht sonderlich beliebt bei Personalsuchenden.
Aber auch das Aufstellen von klaren kompetenzorientierten Kriterien und das darauffolgende systematische Abklopfen aller Bewerbungen und Personen mit standardisierten Fragen hilft zum einen, die Vergleichbarkeit zu steigern und zum anderen sorgt sie für mehr Chancengleichheit. Deswegen, weil eben nicht die mir sympathischste Person von Anfang an die leichteren Fragen bekommt und mehr Zeit für Small Talk. Die Fragen sind dann für alle gleich.
Standardisierung ist generell eine Maßnahme, die Voreingenommenheit reduziert, weil wir nicht von – für die Entscheidung eigentlich unnötigen Faktoren wie zB die “Schönheit” einer Bewerbung – abgelenkt sind. Aber natürlich helfen auch noch andere Dinge: Ein weiterer Ansatz zur Reduktion von Biases besteht auch in der Diversität von entscheidenden Personen. Eine vielfältige Zusammensetzung der Entscheidungsgremien bringt, wie bereits erwähnt, eine breite Palette von Erfahrungen und Perspektiven, die die Entscheidungsfindung beeinflussen und somit die Einflussmöglichkeiten von Bias verringern können.
Eine systematische Evaluation der Auswahl- und Beförderungsprozesse und ein Überprüfen der getroffenen Personalentscheidungen ist sinnvoll, um Muster zu korrigieren und mögliche Bias für weitere Entscheidungen zu identifizieren und zu reduzieren.
Auch KI kann möglicherweise helfen, Bias zu reduzieren, wenngleich die letzten Untersuchungen dazu zeigen, dass viele KI-Systeme die gleichen Bevorzugungsmuster anwenden wie Menschen. Sie sind ja auch dafür gebaut, menschliches Verhalten zu imitieren. Aber wenn KI z.B. genau für diese Anonymisierung eingesetzt werden kann und damit eine bessere Vergleichbarkeit hergestellt wird, dann wäre das eine gute Maßnahme.
Welche Bias-Hürden siehst du in deiner Praxis am häufigsten?
Einer, wenn nicht sogar der häufigste Bias, wurde bereits erwähnt, der Gender Bias. In der Praxis werden basierend auf das Geschlecht nach wie vor bestimmte Rollen und Qualitäten einem stereotypen Bild zugeordnet. Zahlreiche Studien belegen, dass Frauen hier noch immer deutliche Benachteiligungen erleben. Klassische, klischeehafte Rollenbilder sind noch immer sehr fest in den Köpfen der Menschen verankert.
Auch der Age Bias kann in der Praxis häufig beobachtet werden. Dieser bezeichnet die bewusste oder unbewusste Benachteiligung oder Ungleichbehandlung einer Person durch, auf dem Alter basierende, zugeschriebene Vorurteile und Stereotype. Dies passiert im Recruiting-Prozess oftmals in der Bewertung von Fähigkeiten, Eignung oder Anpassungsfähigkeit von Bewerbenden. Von diesem Bias können sowohl junge als auch ältere Personen betroffen sein.
Eine bekannte Stammtischparole ist „Schöne Menschen haben es einfacher und sind erfolgreicher“. Diese Aussage stellt uns einen weiteren, gängigen Bias vor. Dem Beauty Bias zu Folge haben Menschen, welche als schön wahrgenommen werden, in einigen Situationen des Bewerbungsprozesses Vorteile, wenn die physische Erscheinung der bewerbenden Person in die subjektive Bewertung einfließt, vor allem in Bereichen in welchem Mitarbeitende, Kundenkontakt pflegen und das äußere Erscheinungsbild als wichtig eingestuft wird.
Eine sehr menschliche Verhaltensweise nährt einen weiteren Bias, wenn es um das Finden von Gemeinsamkeiten geht und darum Anknüpfungspunkte zu finden (Similarity Bias) oder den Erwartungshaltungen in Bezug auf Anpassungsfähigkeit im Team und Werte der bewerbenden Person (Conformity Bias). Die Aufzählung lässt sich mit noch mit dem Educational Bias, bei welchem der Bildungsgrad einen Einfluss auf die Entscheidung hat, sowie dem Confirmation Bias, welcher die Tendenz Informationen zu bevorzugen, die eine bereits vorhandene Meinung oder das vorhandene Bild über die bewerbende Person bestätigen, statt objektiv zu bleiben.
Im Allgemeinen kommt ein Bias, sprichwörtlich gesagt, selten allein. Aus diesem Grund bedarf es ein bewusstes Bemühen um Diversität und Inklusion im Recruiting-Prozess, sowie kontinuierliche Sensibilisierung und Reflexion über unbewusste Vorannahmen. Ein Problem, von dem uns HR-Personen leider oft berichten, liegt auch darin, dass zwar vielleicht im Recruiting schon hohes Bewusstsein herrscht, jedoch die aufnehmenden Führungskräfte kein solches haben. Wir sollten also auch darauf achten, nicht die Falschen zu schulen.
Wertvolle Tipps
Bitte um kleine Tipps, um nicht in die Bias-Fallen zu tappen?
Eine wirksame Strategie besteht darin, klare und standardisierte und vor allem klar kompetenzorientierte Bewertungskriterien festzulegen. Diese Kriterien sollten objektiv messbar sein und dann in jedem Schritt in gleicher Art und Weise überprüft bzw. abgefragt werden. Weiters kann die Verwendung geschlechtsneutraler und inklusiver Stellenausschreibungen dazu beitragen, eine vielfältigere Zielgruppe anzusprechen und damit auch potenziell mehr Bewerbungen zu erhalten.
Eine andere kleine, aber wichtige Frage für Personen im Recruiting könnte z.B. sein: “Würde ich diese Person genauso bewerten, wenn sie dieses eine Merkmal, was mir hier so stark auffällt, nicht hätte?”. Gerade wenn Sie merken, dass sie ein Faktor ablenkt, ist diese wichtig. Oder auch “Was ist der Grund, warum wir diese Person nicht einladen?”. Wenn Sie dieses “Opt-out” anwenden, dann müssten sie sich zumindest rascher eingestehen, wenn es nur das Foto, der Name oder eine Vermutung ist.