Warum ist interkulturelle Kompetenz im 21. Jahrhundert besonders wichtig? Karin Schreiner gibt Einblick über die Wichtigkeit dieser Kompetenzen gerade in der heutigen Zeit.
Autorin: Dr. Karin Schreiner ist interkulturelle Consultant und Coach (www.iknet.at)
Interkulturelle Kompetenz ist die Antwort auf die Internationalisierung, ermöglicht es uns, den multikulturellen Alltag zu meistern und die Vorteile kultureller Diversität zu nutzen.
Entwicklung der interkulturellen Kompetenz
Kurze Geschichte der interkulturellen Kompetenz Entwicklung
Die Entwicklung interkultureller Kompetenzen beschäftigt uns schon länger. Auch in der weiteren Vergangenheit haben sich immer wieder Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und deren Traditionen ausführlich auseinandergesetzt. Es existieren interessante Reiseberichte und Dokumentationen unterschiedlicher Lebensweisen und Bräuche, die für uns heute sehr aufschlussreich sind.
Das Erkennen der Bedeutung von interkultureller Kompetenz als Fähigkeit, mit kulturellen Unterschieden kultursensibel umzugehen, geht allerdings in die zweite Hälfte des 20. Jhd. zurück. Es wurden damals erstmals Anstrengungen unternommen, Personen, die beruflich im Rahmen von Entsendungen für den diplomatischen Dienst, für militärische Funktionen, für internationale Hilfsprogramme und schließlich für internationale Unternehmen tätig waren, vorzubereiten.
In den Anfängen ging es daher eher um sogenannte Auslandsvorbereitung im Sinne von: Wie kann ich mich mit dem Unbekanntem in einem anderen Land vertraut machen? Aber auch: Wie kann ich die Herausforderungen des Anderen, Fremden, Nicht-Vertrauten bewältigen? Bei diesem Aspekt kommt die Komponente der Auseinandersetzung mit sich selbst hinzu: Was muss ich tun, um diese Situationen zu meistern. Das führte zur Bedeutung der Entwicklung von Coping-Strategien bei Überlastung, Stress oder Kulturschock.
Als Fähigkeit, wie kulturelle Unterschiede in einem beruflichen Kontext bewältigt werden können, erhält interkulturelle Kompetenz als Handlungskompetenz Bedeutung. Das wohl, da die Empfehlungen und Anleitungen sich immer auf die berufliche Praxis und direkte Umsetzbarkeit bezogen.
Kulturelle Diversität ist Bestandteil unserer Gesellschaft
Bis heute sind Auslandsvorbereitungen fixer Bestandteil von interkulturellen Trainings. Allerdings widerspricht der damit verbundene Kulturbegriff, der sich auf Homogenität der Kultur eines Landes und einer Nationalkultur bezieht, einer erweiterten Auffassung von Kultur.
Denn heute wird unter Kultur nicht mehr nur die Kultur eines Landes verstanden. Kultur erweist sich als Lebenspraxis, als sinn- und bedeutungsstiftendes Mittel, Orientierung zu geben und auf dieser Basis Kollektive zusammenzuhalten und Identität zu verleihen. Ein überaus komplexer Begriff, der Zuordnungen und Abgrenzungen enthält und gleichzeitig hybriden Charakter hat. Kultur entsteht, sobald Menschen zusammenleben, Kultur kann kreiert und verändert werden. Kultur ist unbewusst und bewusst zugleich.
Erst gegen Ende des 20. Jhd. weitete sich der Fokus von der reinen Vorbereitung auf ein Zielland aus und richtete sich auch auf die kulturelle Situation im eigenen Land. Diversität wird ein wichtiger Begriff, um den Blickwinkel auf die vielfältige Zusammensetzung der eigenen Gesellschaft zu richten: Bürgerrechtsbewegung, Frauenbewegung, Einforderung der Rechte von Minderheiten und schließlich die Diskussion um Gleichberechtigung bereiteten den Boden, dass die Gesellschaft unter einem neuen Blickwinkel, dem der gesellschaftlichen Vielfalt, gesehen werden konnte.
Damit wird das Konzept der Homogenität von Kulturen aufgehoben und die kulturelle Durchmischung unserer Gesellschaft rückt sichtbar immer mehr in den Mittelpunkt.
Für die Diskussion über interkulturelle Kompetenz hat dies große Auswirkungen. Vorbereitungen für Auslandseinsätze bleiben zwar als Bestandteil von interkulturellen Trainings bestehen, aber der Umgang mit kultureller Diversität in den eigenen Reihen erlangt immer mehr an Bedeutung.
Interkulturelle Kompetenz erweist sich immer mehr als unentbehrlich bei der Zusammenarbeit mit internationalen und kulturell diversen Teams, aber auch angesichts der wachsenden kulturellen Vielfalt der Belegschaft im Unternehmen selbst.
Man muss nicht mehr ins Ausland gehen, um kultureller Vielfalt zu begegnen. Sie ist Bestandteil unserer Gesellschaft.
Internationalisierung
Interkulturelle Kompetenz als Antwort auf die Herausforderungen von Internationalisierung
Interkulturelle Kompetenz ist ursprünglich im Rahmen der Internationalisierung von Unternehmen und Institutionen verortet. Sie erweist sich als wichtige Kompetenz, um den Anforderungen im Berufsleben zu entsprechen, das immer mehr international ausgerichtet ist. Eine Zusammenarbeit mit internationalen Teams über Ländergrenzen hinaus wird immer üblicher.
Interkulturelle Kompetenz bedeutet ein Bündel an Fähigkeiten, um Kommunikation und Interaktion in kulturell vielfältigen Kontexten möglichst kultursensibel zu gestalten.
Im beruflichen Kontext bedeutet interkulturelle Kompetenz ein kontextübergreifendes Handlungs- und Kommunikationsvermögen in interkulturellen Begegnungen mit dem Ziel einer erfolgreichen Aufgabenerfüllung. Interkulturell kompetente Personen verfügen sozusagen als Basisrequisite über ein kulturelles Bewusstsein, das heißt sie sind fähig, über ihre eigene Kultur zu reflektieren.
Heute gibt es unterschiedliche Begriffe, die in verschiedenen Variationen interkulturelle Kompetenz bezeichnen
- Cultural Intelligence bedeutet die Fähigkeit wirkungsvoll mit Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund auf der Basis von kulturellem Wissen, zielgerichteter Aufmerksamkeit und einem Set an interkulturellen Fähigkeiten zu interagieren
- Global Mindset bedeutet beständiges Bewusstsein von kulturellen Unterschieden, die Kenntnis kultureller Tabus und Normen und eine ausgeprägte Kommunikationskompetenz in interkulturellen Settings
- Global Fitness bedeutet die Fähigkeit in kulturell höchst diversen Arbeitsumgebungen erfolgreich zu interagieren und kommunizieren
- Intercultural Readiness besteht aus vier Basis-Kompetenzen wie kulturelles Bewusstsein, Kommunikationskompetenz, Aufbau von Beziehungen und Umgang mit Unsicherheiten
Wie ersichtlich ist, sind sich die unterschiedlichen Begriffe durchaus ähnlich. In einem internationalen und interkulturellen Kontext sind interkulturelle Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Respekt, Offenheit, Verständnis sowie die Fähigkeit des Perspektivenwechsels und spezifisches Kulturwissen sehr gefragt.
Zum Überblick hier einige Komponenten interkultureller Kompetenz
- Kulturelles Bewusstsein: Bewusstsein über die eigene kulturelle Prägung und die Fähigkeit, über kulturelle Unterschiede auf einer Metaebene zu sprechen
- Offenheit: Unvoreingenommenheit, auf andere zugehen, Fragen stellen, Interesse und Neugierde zeigen
- Empathie: Aktives Zuhören, sich in interkulturellen Begegnungen selbst zurücknehmen, sich in andere hineinversetzen
- Kommunikationskompetenz: Wissen um die Bedeutung von Sprachmustern und Kommunikationsstilen und um die nonverbale Ebene
- Rollendistanz: Das Bewusstsein, dass sich soziale Rollen immer auf einen bestimmten sozialen Kontext beziehen und man je nach Kontext abwechselnd unterschiedliche Rollen einnimmt
- Diversitätskompetenz: Diversität als Ressource sehen und gezielt einsetzen
- Ambiguitätstoleranz: Neuen Situationen mit Neugierde und Unvoreingenommenheit begegnen; Stressresistenz
Aus methodischer Sicht ist interkulturelle Kompetenz kein wissenschaftlich sauberer Begriff, das wird in der Forschung immer wieder kritisiert.
Meiner Ansicht nach lässt sich das darauf zurückführen, dass der Begriff in einer Berufspraxis angewandt wird, bei der es um die Umsetzung von Praxisanleitungen geht und nicht um die Reflexion von Handlungsoptionen. Interkulturelle Trainings sind praxisnah ausgerichtet und müssen die Erwartungen einer Zielgruppe erfüllen, die im Regelfall sich nicht theoretisch mit Kultur und interkultureller Kompetenz beschäftigt. Die Zielgruppe will wissen, was sie tun muss, um friktionsfrei ihre Ziele zu erreichen. Dies ist fern von einer theoretischen Diskussion über Kultur, wie sie in der Anthropologie erfolgt.
Multikulturalität
Interkulturelle Kompetenz als erforderliche Fähigkeit, unseren multikulturellen Alltag zu meistern
Interkulturelle Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit, die Bedeutung kultureller Aspekte in Alltags- und Berufsgeschehen zu erkennen, und das sowohl im eigenen kulturellen Umfeld als auch in einer kulturell unvertrauten Umgebung.
Angesichts der Migrationsbewegungen im 20. Jhd. entwickelten sich die Gesellschaften in Europa immer stärker zu multikulturellen Gesellschaften. Das Zusammenleben unterschiedlicher kultureller Gruppen im Alltag wird bewusst erlebt. Kulturelle Konflikte zwischen unterschiedlichen kulturellen Gruppen und der Mehrheitsgesellschaft, aber auch Diskriminierung und entstehender Rassismus führten dazu, dass interkulturelle Kompetenz auch innerhalb eines Landes bzw. einer Nationalkultur an Bedeutung gewann.
Interkulturelle Kompetenz wird als notwendig erachtet, mit Multikulturalität im Inland entsprechend umzugehen. Das betrifft verschiedene Berufsgruppen, allen voran Lehrpersonen, Pflegekräfte, Ärzte/Ärztinnen, in der Sozialarbeit tätige Personen, natürlich auch viele andere. Es gilt, die Zielgruppen im Bildungs-, Gesundheits- und Unternehmensbereich kultursensibel zu behandeln und Konflikte zu vermeiden. Schulungen, um interkulturelle Kompetenz zu entwickeln, werden verstärkt angeboten.
Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft, vor allem im Migrationsbereich, wird zum politischen Programm. Interkulturelle Kompetenz soll helfen, die Integration zu fördern und Menschen in ihrem Anpassungsprozess zu begleiten.
Gleichzeitig werden Mängel von Integrationsbemühungen immer stärker sichtbar. Einige kulturelle Gruppen bleiben eher unter sich und stehen einer Integration in die Mehrheitsgesellschaft skeptisch gegenüber. Das erzeugt Spannungen in der Gesellschaft. Diskriminierungserlebnisse führen dazu, dass diese Gruppen sich eher von der Mehrheitsgesellschaft abwenden und auf ihrer eigenen Kultur fokussieren. Die Frage nach einer Willkommenskultur entsteht und was die Mehrheitskultur tun kann, um möglichst viele Gruppen einzubinden. Das Thema der Interkulturalität erhält damit eine politische Dimension.
Gleichzeitig betreibt die Forschung Untersuchungen zum kulturellen Anpassungsprozess. Welche Gegebenheiten führen zu welchen Formen der Anpassung oder zur Ablehnung von Anpassung.
Kulturelle Diversität & Mehrsprachigkeit
Interkulturelle Kompetenzen als Mittel, die Ressource kulturelle Diversität und Mehrsprachigkeit zu nutzen
Interkulturelle Kompetenz ist ein Bündel an Fähigkeiten, die den Umgang mit kulturellen Unterschieden erleichtern. Wie erwähnt sind Vorbereitung und Schulungen vor internationalen Studienprogrammen in anderen Ländern, internationalen Praktika oder vor Auslandsentsendungen gute Unterstützungsmaßnahmen, um interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln.
Gleichzeitig ist in unserer Gesellschaft kulturelle Diversität vorhanden und bildet eine Ressource, die noch mehr genutzt werden könnte. Häufig ist die Belegschaft in Unternehmen sehr multikulturell. Das ist heute Normalität. Um den Umgang mit kultureller Diversität zu erleichtern, werden interkulturelle Trainings in Unternehmen angeboten. Die Entwicklung interkultureller Kompetenzen erweist sich in diesem Kontext als sehr wünschenswert.
Immer häufiger wird konstatiert, dass wir in einer globalen Welt leben, in der Diversität omnipräsent ist. Der konstruktive Umgang mit kultureller Diversität und deren positive Bewertung ist jedoch nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichermaßen gegeben. Daher wäre es nötig, in Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen und in Unternehmen sowohl auf der Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmer-Seite verstärkt zu schulen und mit Follow Up Programmen Erlerntes zu festigen.
In unserer Gesellschaft leben auch immer mehr Menschen, die mit mehr als einer Kultur aufgewachsen sind, da deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind oder in bikulturellen Familien aufwachsen. Sie können interkulturelle Kompetenzen entwickeln, da sie mehrsprachig sind und über fundiertes Wissen in mindestens zwei Kulturen verfügen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Bikulturalität. Diese Personen sind prädestiniert, Brückenbauer zwischen den Kulturen zu sein. Im beruflichen Kontext haben sie damit eine wichtige Funktion.
Die Bedeutung von Bikulturalität und Mehrsprachigkeit für unsere Gesellschaft wird möglicherweise noch unterschätzt. Gerade bikulturelle Personen entwickeln interkulturelle Kompetenzen durch ihre spezifische Lebenssituation. Dies könnte im Arbeitsleben noch mehr genutzt werden.
Resümee
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass interkulturelle Kompetenzen sich als zentrale Fähigkeiten in der heutigen Gesellschaft erweisen. Internationalisierung und Arbeiten über nationale Grenzen hinaus erfordern diese Kompetenzen, um sich entsprechend in und mit anderen Kulturen verhalten zu können. Heute richtet sich der Blick auch auf das Inland und unsere Gesellschaft, die multikulturell ist. Interkulturelle Kompetenzen sind auch nötig, um in der eigenen Gesellschaft mit der kulturellen Diversität umzugehen und sie positiv zu nutzen. Ergebnis einer multikulturellen Gesellschaft sind bikulturelle Menschen und deren interkulturelle Kompetenzen, die das Potenzial haben, Brückenbauer zwischen den Kulturen zu sein.
Literaturquellen
- Barmeyer Christoph, Konstruktives Interkulturelles Management. Utb 2018
- Berry John W., Acculturation, Cambridge Univ. Press 2019
- Leenen Wolf (Hg.), Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung. Vandenhoeck&Ruprecht 2019