Kulturelle Diversity in Unternehmen bietet Chancen, sie stellt uns jedoch auch vor gruppendynamische Herausforderungen. Dazu gehört die Dynamik sozialer Gruppen.
Wie werden Mitarbeitende aus anderen Kulturen in bestehende Arbeitsgruppen aufgenommen? Ab wann gehören sie dazu? Werden sie in ihrer Besonderheit akzeptiert? Welche Maßstäbe sind bei diesen Gruppenprozessen am Werk?
Die Dynamik sozialer Gruppen
Soziale Gruppen bestimmen unser Leben im privaten wie im beruflichen Bereich. Im Zuge von Individualisierung und Pluralisierung von Lebensweisen haben wir heute mehr denn je Zugang zu einer Vielzahl an sozialen Gruppen, die wir auch wechseln können. Das bedeutet mehr individuelle Flexibilität in der Gruppenwahl, aber auch die Herausforderung, sich in unterschiedlichen sozialen Gruppen zurechtzufinden.
Gerade im beruflichen Kontext ist es für eine Kooperation in Projektteams und Arbeitsgruppen wichtig, die Gruppe und ihre Dynamik wahrzunehmen und zu verstehen.
- Was geschieht in einer Gruppe?
- Warum verändert sie sich, wenn sich die Gruppenzusammensetzung ändert?
- Welche impliziten Regeln gelten?
Ein Beispiel:
Antonia, die bikulturell (russisch-deutsch) und dreisprachig ist, ist neu im Unternehmen. Sie erlebt ihre erste Zeit in ihrer Abteilung widersprüchlich. Aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen hat sie gelernt, sich vor allem fachlich zu positionieren und den Fokus auf Leistung und Ergebnisse zu legen. Sie verhält sich den anderen gegenüber zurückhaltend und abwartend, möchte aber mit ihrer Expertise punkten. Sie spürt, dass sie von den Kollegen und Kolleginnen zwar respektiert wird, aber bis jetzt wurde sie nicht aufgefordert, gemeinsam Kaffee zu trinken oder zum Mittagessen zu gehen.
Die Gruppe ist ein soziales System. Wie eine Gruppe auf den Einfluss von außen reagiert, ist immer unterschiedlich und nicht vorhersagbar. Insofern steuert sich eine Gruppe selbst. Das geschieht auf der Basis der Beziehungen der Gruppe nach außen und nach innen. Die Dynamik sozialer Gruppen besteht, vereinfacht gesagt, in der Interaktion der Gruppenmitglieder untereinander und nach außen. Implizite Regeln entstehen aufgrund individueller Lebensgeschichten, Bedürfnisse und Aushandeln von Normen.
Worin gründet die Dynamik von Innen- und Außengruppen?
Wir alle kennen die Situation, neu in einer Gruppe zu sein. Wir wissen nicht, wie durchlässig Gruppengrenzen sind. Wir erkennen nicht gleich, wie offen die Gruppe gegenüber neu Hinzukommenden ist. Hinter Freundlichkeit verbirgt sich vielleicht Argwohn, Skepsis oder sogar Neid?
Wie komme ich in die Gruppe rein? Wie kann ich dazu gehören? Was muss ich dafür tun? Werde ich so akzeptiert, wie ich bin, in meiner Individualität und Besonderheit – z.B. mit meiner kulturellen Andersheit? Meiner Bikulturalität und Mehrsprachigkeit?
Diese und andere Fragen sind existenziell von Bedeutung und gehen häufig mit Ängsten und Befürchtungen einher. Denn wie offen eine Gruppe gegenüber Anderen oder Fremden ist, ist nicht sichtbar. Die Tatsache, einen Arbeitsvertrag zu haben, bedeutet noch nicht, der Arbeitsgruppe zuzugehören.
Soziale Kategorisierung
In Bezug auf das Beispiel weiter oben stößt Antonias Verhalten bei der Gruppe auf Widerstand. Die Gruppe schätzt Antonias Leistung, möchte aber auf der Beziehungsebene mit ihr kommunizieren. Darin liegt die implizite Regel der Gruppe. Sie wartet auf den ersten Schritt von Seiten Antonias, der nicht kommt.
Ein Aspekt in der Dynamik von Innen- und Außengruppen gründet im Phänomen der sozialen Kategorisierung. Die Innengruppe bewertet sich selbst aus Selbstschutz positiv und die Außengruppe negativ. Antonia, die von außen in die Gruppe kommt, wird zunächst argwöhnisch abwartend betrachtet, weil sie sehr leistungsorientiert ist und Fähigkeiten hat, die die Gruppe nicht hat (Mehrsprachigkeit, Bikulturalität).
Für die Gruppe hingegen gilt als implizite Regel eine hohe Beziehungsorientiertheit. Antonia müsste sich zuerst auf der Beziehungsebene ihre Position schaffen und dann erst auf der Sachebene mit ihrer Expertise punkten.
Über derartige implizite Regeln wird in der Gruppe meistens nicht offen kommuniziert.
Welche Mechanismen sind am Werk?
Bei der Dynamik von Gruppen sind – unter anderem – folgende Mechanismen festzustellen: Zugehörigkeit, Hierarchie und Grad der Beziehungen untereinander.
Im Beispiel oben wurden die Aspekte Zugehörigkeit und (kurz) Beziehungen beschrieben.
Die Beziehungen in einer Gruppe sind natürlich sehr komplex. Nähe und Distanz in den Beziehungen der Gruppenmitglieder werden unterschiedlich gehandhabt. Auch kulturell sehen wir bei diesem Aspekt große Unterschiede. Ist es üblich, dass die Arbeitsgruppe informelle Beziehungen unterhält oder bleibt die formelle Ebene im Vordergrund? Sind gemeinsame After-Work-Drinks üblich? Werden die Arbeitsbeziehungen von den anderen Beziehungen wie Freunde und Familie scharf getrennt oder gehen sie fließend ineinander über?
Auch über diese impliziten Regeln wird kaum offen kommuniziert. Es sei denn, die Gruppenmitglieder können sich mühelos auf die Metaebene begeben – aufgrund ihrer interkulturellen Kompetenzen.
Im Fall des Beispiels von Antonia wäre es gut gewesen, wenn ein Gruppenmitglied mit ihr möglichst früh über diese implizite Regel gesprochen hätte.
Hierarchische Strukturen
Der Aspekt Hierarchie ist immer ein Bestandteil sozialer Beziehungen. In jeder Gruppe kristallisieren sich hierarchische Strukturen heraus, je nach den Rollen, die die Gruppenmitglieder einnehmen. Diese Rollen haben immer mit den jeweiligen Persönlichkeiten und deren Lebenserfahrungen und Bedürfnissen zu tun.
Im Fall von Antonia und ihrer Gruppe wäre es auch an jener Person gelegen, die eine machtvolle Position in der Gruppe innehat, Antonia über die Regeln der Gruppe aufzuklären. In einer Gruppe bestehen sowohl explizite Regeln wie z.B. erwartete Verhaltensweisen und Normen wie Pünktlichkeit als auch implizite Regeln. Dazu gehören informelle Kommunikation in der Gruppe, Verhalten in Konflikten, Art des Informationsaustauschs, Verhalten bei Fehlen von Gruppenmitgliedern.
Beide Arten von Regeln sollten kommuniziert werden. Meistens wird nur über explizite Regeln geredet.
Zusammenfassung
Es ist wichtig zu wissen, was sich in Arbeitsgruppen und Projektteams abspielt und welche Dynamiken am Werk sind:
- Das soziale System Gruppe steuert sich selbst
- Wie wer auf wen reagiert, kann nicht vorhergesagt werden
- Innen- und Außengruppen Dynamik und soziale Kategorisierung
- Aspekte wie Zugehörigkeit, Macht und Beziehung bestimmen die Gruppendynamik
- Die Gruppen- oder Teamleitung sollte bereit sein, auf Metaebene über explizite und implizite Regeln zu kommunizieren
Quellen
- Henri Taijfel, Turner J., The Social Theory of inter-group behavior. In: Worchel S. & Austin L.W. (ed.), Psychology of Intergroup Relations. Chicago 1986
- König, K. Schattenhofer, Einführung in die Gruppendynamik. Carl Auer Verlag 2006 (2022)
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