Wer wird Vorstandsmitglied oder Top-Executive eines Konzerns? Personen, die extrem schnell im Aufnehmen, Strukturieren und Verarbeiten von Informationen sind. Frauen und Männer, die schon oft bewiesen haben, dass sie Außergewöhnliches leisten können.
Gast-Autor: Georg Kraus
Entsprechend selbstbewusst sind Top-Executives in den Unternehmen. Trotzdem scheitern immer mehr. Und immer häufiger werden aus Top-Führungskräften, die vor kurzem noch von den Wirtschaftsmagazinen und Aktieninhabenden gefeiert wurden, scheinbar über Nacht „Loser“. Warum?
Top-Karrieren erfordern Durchsetzungskraft
Die Aufgaben der Top-Executives in den Unternehmen sind heute aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft, der Internationalisierung der Kapitalmärkte sowie der digitalen Vernetzung so komplex, dass sie nur noch bedingt gemanagt werden können. Top-Entscheidende können häufig nur noch Risikominimierung betreiben, indem sie die Dilemmata, vor denen sie bei ihrer Arbeit stehen, stets neu auszubalancieren. Dasselbe gilt für die oft widersprüchlichen Interessen der Anteilsinhabenden und Banken, Kundschaft und Mitarbeitenden.
Die Top- Executives müssen sicherstellen, dass in ihrer Organisation die richtigen Leute in den Führungs- und Entscheiderpositionen sitzen. Außerdem müssen sie mit ihren Team-Mitgliedern und den Leitenden der Unternehmenseinheiten ein Hochleistungsteam bilden. Denn allein können sie ihre Funktion in der Organisation und die Erwartungen der Interessensgruppen nicht erfüllen.
Hier beginnt oft das Problem. In die Top-Etagen zumindest von Großunternehmen gelangen in der Regel nur „Alpha-Tiere“ – Menschen also, die
- aktiv die Führungsverantwortung suchen und
- wiederholt bewiesen haben, dass sie Organisationen erfolgreicher führen können als ihre Mitstreitenden – aufgrund ihrer analytischen Intelligenz, ihrer Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie Durchsetzungsstärke.
Das prägt ihr Selbstbild, ihre Sicht auf Menschen, Situationen und Konstellationen sowie ihr Verhalten.
Alpha-Männer und -Frauen lieben Zahlen, Daten und Fakten. Die „weichen“ Faktoren im Management hingegen lenken, so ihre innere Überzeugung, nur vom Wesentlichen, dem Geschäftserfolg, ab. Oft haben sie schon eine Problemlösung parat, wenn ihr Gegenüber das Problem noch „analysiert“. Entsprechend ungeduldig reagieren sie zuweilen. Und entsprechend einschüchternd ist nicht selten ihr Auftreten.
Top-Executives sind „Alpha-Tiere“
Sie befinden sich an der Unternehmensspitze. Und ihre engsten Mitstreitenden sind wie sie „Alpha-Tiere“. Das heißt, sie verfügen über weitgehend dieselben Persönlichkeitsmerkmale und zeigen ähnliche Leitwolf-Attitüden. Und mit diesen Frauen und Männern müssen sie kooperieren und ein High-Performance-Team bilden, um ihre Funktion in der Organisation und die Erwartungen der Interessensgruppen zu erfüllen.
Das erfordert von den Executives teils andere Fähigkeiten als diejenigen, die sie auf dem Weg nach oben zeigten. Anstatt wie bisher primär dafür zu sorgen, dass die aus dem Tagesgeschäft sich ergebenden Aufgaben erfüllt werden, müssen sie nun andere Menschen inspirieren. Und anstelle wie bisher das Erreichen der operativen Ziele sicherzustellen, müssen sie nun
- die Weichen in Richtung Zukunft stellen,
- Menschen und Teams motivieren und sofern nötig
- gewohnte Pfade verlassen, damit Quantensprünge wieder möglich sind.
Das haben Top-Führungskräfte zwar auch in der Vergangenheit schon getan – zum Beispiel als Leitende einer Unternehmenseinheit. Doch nun gehört dies zu ihren Kernaufgaben. Und ihre Gegenüber sind wie sie „Alpha-Tiere“, die ihnen nicht vorbehaltlos folgen. Entsprechend vielfältig sind die Reibungspunkte, aber trotzdem müssen sie im Unternehmensalltag kooperieren, obwohl Alpha-Tiere eher Einzelkämpfende als Teamplayer sind.
Ziel: die Performance des Top-Teams erhöhen
Das erschwert Executives oft, (gemeinsam) die Wirkung zu entfalten, die
- zum Erfüllen der Erwartungen der Interessensgruppen und
- zum Sicherstellen des künftigen Erfolgs des Unternehmens trotz sich rasant verändernder Rahmenbedingungen
nötig wäre. Das ist ihnen allerdings häufig nicht bewusst.
Entsprechend selten kontaktieren sie externe Beratende mit Anfragen wie: „Können Sie mich (und meine Team-Mitglieder) dabei unterstützen, einen stärkeren Teamspirit zu entfalten?“ Der offizielle Anlass für die Kontaktaufnahme ist vielmehr stets ein akutes betriebliches Problem. Nach entsprechenden Kriterien erfolgt auch die Auswahl der Beratenden. Executives müssen ihnen zutrauen, dass sie
- die Herausforderungen, vor denen ihre Organisation steht, kennen und verstehen, und
- einen realen Beitrag dazu leisten, diese zu meistern.
Diese Kompetenz schreiben Top- Führungskräfte meist nur Personen zu, die ähnliche Biografien wie sie haben. Für Beratende, die zum Beispiel auf der CEO-Ebene multinationaler Konzerne agieren möchten, bedeutet dies: Ihre Biografie sollte eine gewisse Internationalität aufweisen. Und ihr Curriculum Vitae sollte Stationen und Positionen enthalten, die aus Sicht der Top-Entscheidenden für „Excellence“ stehen.
Alpha-Tiere wollen gefordert werden
Der Consultant muss ihnen das Gefühl vermitteln: Ich spreche Ihre Sprache und bin ähnlich „tough“ wie Sie. Dies gelingt Beratenden nicht, indem sie Top-Führungskräften nach dem Mund reden. Im Gegenteil! Diese wollen spüren, dass ihnen eine Person mit Rückgrat gegenübersteht. Denn nur dann entsteht bei ihnen das Gefühl: Dieser Beratende kann mich und mein Team (heraus-)fordern und die gewünschte Entwicklung auslösen.
Nur wenn Executives diesen Eindruck haben, schenken sie einem Beratenden ihre wertvolle Zeit. Denn Alpha-Tiere wollen von Alpha-Tieren beraten werden.
Ziel: die Wirksamkeit erhöhen
Beim Beraten und Coachen oberer Führungskräfte geht es selten darum, individuelle Schwächen zu beseitigen. Denn als Individuen sind Executives meist bereits spitze – sonst hätten sie ihre Position nicht erreicht. Das Ziel lautet vielmehr, ihre Wirksamkeit (in der Organisation) zu erhöhen. Das ist nur möglich, wenn klar ist:
- Wie wirkt die betreffende Top-Führungskraft und ihr Verhalten auf das Umfeld? Und:
- Welche Verhaltensweisen schmälern ihre Wirksamkeit?
Wenn es darum geht, die Wirksamkeit eines Top-Executives zu erhöhen, sollte stets das Feedback seiner Kooperationspartner und -partnerinnen eingeholt werden. Außerdem sollte ihnen mitgeteilt werden, an welchen Punkten und mit welchem Ziel die betreffende Person ihr Verhalten ändern sollte. Denn nichts verunsichert Mitarbeitende so sehr, als wenn zum Beispiel ein CEO plötzlich, scheinbar unmotiviert sein Verhalten ändert. Hierdurch wird er für sie unberechenbar.
Ähnlich verhält es sich, wenn die Wirksamkeit eines Top-Teams erhöht werden soll. Auch dann sollte den Teammitgliedern schnell vermittelt werden: „Wir machen das nicht zum Vergnügen. Vielmehr soll unsere Wirksamkeit als Team so erhöht werden, dass zum Beispiel
- die von den Kapitalgebenden vorgegebene Umsatzrendite erreicht wird“ oder
- „uns die digitale Transformation (bzw. der Turnaround) trotz schrumpfender Kapitaldecke, gestiegener Rohstoff-, Energiekosten usw. gelingt.“
Im Fokus steht die „business challenge“
Der Anlass, initiativ zu werden, ist eine aktuelle „Business Challenge“. Damit diese bewältigt werden kann, ist es nötig, die individuellen und kollektiven Verhaltensweisen und -muster der Top-Team-Mitglieder zu thematisieren, die die gemeinsame Performance schmälern. Dazu sind die meisten Top-Führungskräfte auch bereit – selbst, wenn es ihnen schwerfällt, mit Mitarbeitenden etwa darüber zu sprechen,
- warum sie deren Tun misstrauisch beäugen und
- viel Energie darauf verwenden, sich abzusichern.
Als Alpha-Tiere haben sie die Maxime „No pain, no gain“ verinnerlicht. Deshalb springen sie auch über ihren Schatten bzw. verlassen ihre Komfortzone, wenn dies für das Erreichen der übergeordneten Ziele nötig ist. Und genau dies muss der Beratende bzw. Coach ihnen vermitteln, damit sich bei ihnen und in ihrer Organisation etwas zum Positiven verändert.
Gast-Autor
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist seit 1994 u.a. Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.