Die Digitalisierung bietet neue Chancen für die Kooperation zwischen Berufsschule und Betrieb in der dualen Lehrausbildung. Mit hybriden Lernräumen und innovativen Lernkonzepten entstehen spannende Möglichkeiten, die Ausbildung flexibler und zukunftsfähiger zu machen.
Autor: Mag. (FH) Edmund Panzenböck, MA
Die Lehrausbildung findet an den zwei Lernorten Betrieb und Berufsschule statt. Eine Kooperation zwischen diesen Lernorten existiert de facto nur anlassbezogen und zur defizitorientierten Koordination. Zusammenarbeit auf inhaltlich-didaktischer Ebene ist eher die Ausnahme, wäre allerdings im Sinne abgestimmter Lernprozesse und effektiven Lerntransfers zu forcieren.
Die gute Nachricht: Durch die Digitalisierung entstehen neue Möglichkeiten der Lernortkooperation zur Förderung lernortübergreifender Kompetenzentwicklung. Das fördert die Flexibilität in der Lehrlingsausbildung.
Hybride Lernräume und Konnektivität des Lernens
Virtuelle Lernräume können mit physischen Lernorten kombiniert werden, wodurch neue Formen des Lernens möglich werden. Das schafft Chancen für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Lernorten, sowohl organisatorisch als auch pädagogisch. Im Projekt „Zukunftsmodelle der Lernortkooperation“ der Universität St. Gallen wird untersucht, wie diese neue Zusammenarbeit durch die digitale Transformation unterstützt werden kann. Die Potenziale der künstlichen Intelligenz werden dabei mitberücksichtigt. Ein daraus entwickeltes konnektives Modell, in dem Arbeits- und Lernkontexte verknüpft werden und KI-basierte Lernpartner mit den Lernenden interagieren, weist den Weg in die visionäre Zukunft der Lehrlingsausbildung.
Didaktische Konzepte und Modelle
Neue digitale Möglichkeiten erfordern neue didaktische Überlegungen und die Bereitschaft der Agierenden, sich damit auseinander zu setzen. Als technische Voraussetzung braucht es eine lernortübergreifende Lernplattform, auf die alle Beteiligten im Lernprozess Zugriff haben. Ein bewährtes didaktisches Konzept ist Blended Learning, bei dem traditionelle Präsenzveranstaltungen mit modernen Formen von E-Learning umgesetzt und verschiedene Lernmethoden und Medien miteinander verknüpft werden.
Eine Variante von Blended Learning ist „Flipped Classroom“, bei der die Lehrlinge sich die Lerninhalte individuell und selbstständig vorab erarbeiten und danach in der gemeinsamen Zeit in der Schule weiter vertiefen. Videos können zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden, beispielsweise zu fehlerbasiertem Lernen, haben aber jedenfalls einen positiven Effekt auf selbstreguliertes und engagiertes Lernen. Interaktive E-Portfolio-Formate fördern die Selbstreflexion der Lehrlinge und können zum Abgleich der geforderten und erreichten Kompetenzentwicklungen dienen.
Lernortkooperation als realistisches Zukunftsmodell?
Höhere Stufen der Zusammenarbeit zwischen Berufsschule und Betrieb, wie beispielsweise lernortübergreifgende Entwicklung didaktischer Materialien und Prüfungsformen sowie Förderansätzen, oder kooperative Durchführung von lernortübergreifenden Maßnahmen, finden nur selten statt. Niederschwellige Möglichkeiten lernortübergreifender Zusammenarbeit durch digitale Technik wird am ehesten von den Lernenden selbst genutzt und nicht von den Ausbildungsverantwortlichen initiiert. Die technologischen Voraussetzungen für eine gelingende Lernortkooperation stehen zur Verfügung.
Die Rahmenbedingungen zur Einbettung in das Bildungssystem, sowie zur stärkeren Individualisierung von Bildungsprozessen sind noch nicht gegeben. Organisationale Strukturen und Bedingungen von Lernumgebungen in den Lernorten müssen geschaffen werden. Nicht zuletzt braucht es die Bereitschaft aller handelnden Akteure und Akteurinnen zur individuellen Zusammenarbeit. Daraus lässt sich schließen – Lernortkooperation in der dualen Lehrausbildung ist ein realisierbares, allerdings noch länger nicht realistisches Zukunftsmodell. Hier ist die HR-Praxis einmal mehr gefordert, die erforderlichen Weichen zu stellen.
Kooperation Berufsschule und Betrieb in der dualen Lehrausbildung im digitalen Zeitalter
Literatur
- Berufsbildung NRW: Hinweise zur Lernort-Kooperation. 05.22.pdf (nrw.de)
- Dehnpostel, P. (2020): Lernorte und Lernortkooperation – Erweiterungen und Entgrenzungen nicht nur in digitalen Zeiten. BIBB (BWP 4/2020, S. 11-15)
- Dillenbourg, P. (2017). Digitale Möglichkeiten in der Berufsbildung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 2(2).
- Gössling, B. (2024): Neue Modelle der Lernortkooperation. Folien zum Vortrag bei der Veranstaltung „Das Lernen in der dualen Bildung“ an der WU Wien. 11.04.2024
- Pätzold, G. (2003): Lernfelder – Lernortkooperationen. Neugestaltung beruflicher Bildung. Bochum: Projekt Verlag 2003, 117 S. (Dortmunder Beiträge zur Pädagogik; 30) – URN: urn:nbn:de:0111-opus-18952 – DOI: 10.25656/01:1895
- Renold, U.; Bolli, T. (2016): Berufsbildung: Das Erfolgsrezept der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 12, 45-47. https://dievolkswirtschaft.ch/content/uploads/2016/11/15_Renold_Bolli_DE.pdf
- Seufert, S. (2021): Zwischenbericht 2020. Meilenstein 1. Zukunftsmodelle der Lernortkooperation. Microsoft Word – Zwischenbericht_2020_Meilenstein_1.docx (lernortkooperation.ch)
- Seufert, S. (2022): So könnten Lernorte besser kooperieren: Gelingensbedingungen und Ergebnisse einer Good Practice Studie. Transfer, Berufsbildung in Forschung und Praxis (2/2022), SGAB, Schweizerische Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung.