Seit etwa 2019 integrieren große Unternehmen im deutschsprachigen Raum KI-gestützte Systeme, um ihre Mitarbeitenden gezielt weiterzuentwickeln und den Talentpool zu stärken.
Autorin: Steffi Bärmann
Investitionen, wie jene in das Talentmanagement-Softwareunternehmen Eightfold.ai oder HR Forecast zeigen, dass diese Technologien auf dem Vormarsch sind.
KI hat das Potenzial, organisationale Prozesse und damit auch PE-Prozesse tiefgreifend zu verändern, teilweise disruptiv. Auch wenn diese Veränderungsprozesse nun als überwältigend in Erscheinung treten, betten sie sich in der Geschichte und Herangehensweise der Personalentwicklung ein. Ein Blick auf die Entwicklung der PE von ihren Anfängen bis zur heutigen Rolle der KI hilft, die aktuellen Veränderungen einzuordnen.
Ein kurzer Rückblick: Die Wurzeln der PE
Die PE entwickelte sich in ihrer heutigen Form aus den Anforderungen der Industriellen Revolution (spätes 18. und frühes 19 Jh.). Technologische Innovationen wie die Dampfmaschine, die Fließbandproduktion führten zum einen zur Massenproduktion und zum anderen zu einem Bedarf an standardisierter Ausbildung für Arbeitskräfte.
Die Einführung des Scientific Managements (Frederick W. Taylor, 1911) zielte darauf ab, Arbeitsschritte zu zerlegen, messbar zu machen, um letztendlich Prozesse zu optimieren und Produktivität zu steigern. Das führte zu einem Effizienzstreben, das häufig die Bedürfnisse der Beschäftigten vernachlässigte. Hohe Fluktuation und Produktivitätseinbußen waren die Folge. Dies gab Raum für humanistische Ideen (Chester Barnard, 1938; Mary Parker Follett, 1919, 1927, 1970; Elton Mayo, 1945), die sich damit befassten, Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den Fokus zu stellen, ebenfalls mit dem Ziel, die Produktivität zu erhöhen. Die Beziehungsgestaltung zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften stand hier im Mittelpunkt.
Die Entwicklung: Von systemischer Integration bis zur KI
Die systemische Orientierung integrierte beide Ansätze und forderte sowohl die angewendeten Technologien & Techniken, als auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu beachten und damit zum Erfolg des Unternehmens beizutragen (Chester Barnard, 1938; Ludwig von Bertalanffy, 1969). Alle drei Ansätze fließen in die heutige Theorie und Praxis der PE ein und erklären das Spannungsfeld, in dem sich die PE bewegt.
Mit der Entwicklung des Computers im zweiten Weltkrieg (1939 – 1945), entstand eine Kerntechnologie für die Personalentwicklung, mit der u.a. die Administration, also auch die Bereitstellung von Trainingsinhalten unterstützt werden konnte. Etwa zur gleichen Zeit wurden auch Computerprogramme entwickelt (Zuse, 1941; Turing, 1937, 1950), die letztendlich die Entwicklung der KI weiter anstießen. 1956 riefen 10 Wissenschaftler um John McCarthy auf der Darmouth Konferenz in den USA die Künstliche Intelligenz als wissenschaftliche Disziplin ins Leben.
Obwohl Mary Parker Follett bereits 1927 den Begriff der Personalentwicklung benannte, erfolgte die Formalisierung der Disziplin erst in den 1970er Jahren. Die von Hamlin und Stewart (2011) aus 24 Definitionen kumulierte Version besagt, dass HRD “im Wesentlichen ein Prozess oder eine Aktivität, die Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen oder Systeme dabei unterstützt oder befähigt, zu lernen, sich zu entwickeln und ihr Verhalten zu ändern, um ihre Kompetenz, Effektivität, Leistung und ihr Wachstum zu verbessern oder zu steigern” (p. 213) ist.
Vier Anwendungsszenarien für KI in der PE
Aus dieser Perspektive erscheint es natürlich, dass die PE moderne Technologien, die u.a. mit KI arbeiten verwendet, um vom Mitarbeitenden mitgetragene Verhaltensveränderungen in Richtung Produktivitätssteigerung zu initiieren.
KI-Systeme werden derzeit in der Personalentwicklung in unterschiedlichen Szenarien angewendet.
Automatisierung von HR-Prozessen
Zum einen kann KI z.B. im klassischen Talentmanagement angewendet werden, in dem die Rekrutierung, Auswahl, Entwicklung sowie Karriere- und Nachfolgemanagement von Talenten im Unternehmen durch KI-unterstützte Systeme automatisiert werden. KI wird hier z.B. zum Lebenslauf-Screening, Job-Matching, für Weiterbildungsempfehlungen, und Fluktuationsvorhersagen eingesetzt.
Automatisierung von „End-to-End“ Prozessen
Bisher werden KI-Systeme eher für bestimmte Bereiche eingesetzt, wie zum Beispiel im Recruiting oder im Talentmanagement, oder Performance Management & Renumeration. Es ist noch selten, aber durchaus möglich, dass in Zukunft mehr Unternehmen den gesamten Prozess der Mitarbeitenden von der Bewerbung bis zum Verlassen des Unternehmens in Daten abbilden und miteinander nutzen.
Individualisierte Nutzung von generativer KI (genAI)
Mit dem Aufkommen von genAI im Jahr 2022 ist die KI-Anwendung auch für Einzelpersonen in Unternehmen und im HRD angekommen. Hier sind verschiedene Einzeltools einsetzbar, um Trainingsprogramme zu entwickeln, Trainingsmaterialien mit verschiedenen Medien zu erstellen, Tests zu kreieren, etc. Die Vielfalt der Tools und Einsatzmöglichkeiten erweitert sich ständig, was durchaus in Überforderung des Anwendenden münden kann.
Förderung von AI Literacy
Um den verantwortungsvollen und effektiven Einsatz von KI sicherzustellen, muss die PE auch Kompetenzen im Umgang mit KI fördern. Mitarbeitende sollen verstehen, was KI leisten kann, wo ihre Grenzen liegen und welche ethischen Grundsätze zu beachten sind.
Der Einfluss der KI auf die PE-Rollen
Der Einsatz von KI verändert nicht nur die Prozesse, sondern kann auch zu einer Rollenverschiebung im PE-Kontext führen, wie hier am Beispiel des KI-gestützten Talentmanagements:
KI-System als Datensammler, Empfehlungsgeberin, Lernbegleitung
Ganz im Sinne des Taylorismus können Arbeitsschritte anhand von Daten abgebildet, also zerlegt, vernetzt, visualisiert, etc. werden und damit einen Bereich automatisieren, der zuvor umfassend von Menschen durchgeführt wurde. Ob dadurch die Produktivität letztendlich erhöht wird, kann derzeit noch nicht gesagt werden. Im jetzigen Stadium sind Investitionen an Zeit, Geld und in Human Ressourcen notwendig, die durch einen Nutzen ausgeglichen werden müssen.
HRD als Veränderungsbegleitung und Systemadministratorin
Es könnte sein, dass in einer Zukunft mit KI, die PE keine Trainingspläne mehr erstellt, sondern eher die Belegschaft dabei unterstützt, die organisationalen Veränderungen mit ihren Auswirkungen auf die einzelnen Mitarbeitenden zu begleiten und dabei Technologien zur Verfügung zu stellen, diese zu kontrollieren und weiterzuentwickeln.
Führungskraft wird in HRD-Rolle gestärkt
Die Führungskraft hat die Aufgabe, die Mitarbeitenden zu entwickeln. Das kann im operativen Tagesgeschäft schwerfallen. Mit Hilfe der KI-Systeme gibt es Möglichkeiten, schnell eine Übersicht über das Team, dessen Kompetenzen und Entwicklungsoptionen zu erhalten und ebenso den organisationalen Personal(entwicklungs)bedarf einzusehen. Die Führungskraft bekommt damit eine Möglichkeit, die Beziehung zu den Mitarbeitenden im Sinne einer Entwicklungsgestaltung zu unterstützen.
Mitarbeitende werden in der Rolle der selbstgesteuerten Lernenden gestärkt
Mitarbeitende sind idealerweise selbst motiviert sich weiterzuentwickeln und zu lernen. Auch hier kann der KI-Einsatz unterstützen. Es ist möglich eigene Kompetenzen mit Karrierezielen zu verbinden und daraus Lernmöglichkeiten zu eruieren, die eigenständig wahrgenommen werden. Ganz im Sinn des Humanismus könnte das Selbstverwirklichungsbestreben der Mitarbeitenden im Sinn der Organisation genutzt werden.
Fazit: PE im Spannungsfeld zwischen Effizienz und Humanität
Die Gestaltung des KI-Einsatzes in der PE hängt ganz von den Menschen als Gestaltende ab. Derzeit macht es den Anschein, dass der Einsatz die PE-Praxis, die sowohl auf Scientific Management, Humanismus und Systemtheorie fußt, weiterführt und verfeinert.
Der historische Konflikt zwischen Effizienzstreben und dem Bedarf an humanistischen Arbeitsbedingungen bleibt dabei bestehen und verschärft sich allenfalls. Einerseits ermöglichen KI-Systeme eine detaillierte Erfassung und Analyse von Arbeitsverhalten und -ergebnissen. Andererseits besteht die Gefahr, dass eine zu datengetriebene Arbeitsweise die menschlichen Beziehungen und die individuellen Bedürfnisse der Menschen vernachlässigt.
Wie KI-Systeme die Personalentwicklung in Unternehmen transformieren
Quellen & Leseempfehlungen
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