In den kommenden Jahren werden viele Babyboomer in den Ruhestand treten und mit ihnen ein gewaltiger Schatz an Wissen und Erfahrung. Hier gilt es nun, den Wissenserhalt zu gewährleisten.
Wie dabei ein strategisches Nachfolge-Management basierend auf Jobsharing helfen kann, beleuchte ich in diesem Artikel:
Jobsharing ist weder die eierlegende Wollmilchsau noch eine Mission Impossible. Dass Jobsharing richtig eingesetzt jedoch eine Bereicherung für Menschen und Unternehmen darstellt, durfte ich bereits in einem früheren Artikel zum Thema Experten-Twinning erläutern: Jobsharing in der Praxis | Viel mehr als Teilzeitarbeit
Wissenserhalt als strategische Maßnahme
Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung zu begegnen und dem Fachkräftemangel ein Schnippchen zu schlagen, ist das Nachfolge-Twinning. Dabei wird eine uns geplanterweise verlassende Arbeitskraft mit entsprechend langer Vorlaufzeit durch jemand Neuen ersetzt, die Zug um Zug ins Team integriert wird. Auch die Verantwortungsübergabe läuft hierbei in Phasen ab. Ankommen und Einarbeiten – schrittweiser Verantwortungsübergang – gänzliche Übernahme der Verantwortung. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit für neue lebens- und facherfahrene Personen über eine längere Einarbeitungszeit hinweg das notwendige Wissen aufzunehmen, in die Prozesse hineinzuwachsen, ebenso in das Beziehungsnetzwerk.
Von der Theorie in die Praxis
Einer meiner erfahrenen IT Senior Manager, Heinrich Linecker, der bereits seit 2004 im Unternehmen ist und den Bereich IT Engineering Solutions leitet, ist bereits in Altersteilzeit und verabschiedet sich im Sommer 2025 in die Pension. Mit einer klassischen Nachbesetzung ohne längere Vorlaufzeit würde das Unternehmen enormes Wissen verlieren.
Wir sehen den Umgang mit Wissenserhalt als strategische Maßnahme, die wir auch in unserer IT-Strategie verankert haben. Unser Ziel war es, eine erfahrene Führungskraft durch eine ebenso erfahrene Führungskraft zu ersetzen, die neue Blickwinkel aus einer anderen Branche mitbringt. Während die neue Führungskraft ausreichend Zeit hat, die Prozesse, die gesamte IT-Landschaft und die Kultur des Unternehmens kennenzulernen und zu verstehen, ergeben sich vielleicht auch neue Impulse für uns.
Gut geplant
Bereits im Recruiting-Prozess haben wir für die Besetzung dieser Schlüsselposition neben den klassischen Entscheidungstragenden wie HR und unmittelbare Vorgesetze, unser gesamtes IT-Management und die wichtigsten Stakeholder im Unternehmen, sowie last but not least, unsere scheidende Führungskraft involviert, um festzustellen „ob’s fachlich und menschlich gut gehen kann“.
Der weitere Prozess ist in drei Phasen unterteilt, die sich über ein bis zwei Jahre erstrecken können:
Phase 1: Ankommen und Einarbeiten
Der neue Mitarbeitende agiert als Schatten der scheidenden Führungskraft, um fachlich und menschlich im Unternehmen anzukommen, ein Beziehungsnetzwerk aufzubauen und in Abwesenheit der Führungskraft bereits Ansprechpartner für das Team zu sein. Hauptansprechpartner ist aber noch die scheidende Führungskraft. Bereits hier ist also die Teamführung eine gemeinsame Verantwortung.
Phase 2: Schrittweiser Verantwortungsübergang
Es findet eine schrittweise Übernahme fachlicher und personeller Verantwortung im Nachfolge-Twinning statt. Das bedeutet, dass der neue Mitarbeitende Thema für Thema und Team für Team zum Hauptansprechpartner wird und die bisherige Führungskraft in die zweite Reihe zurücktritt.
Phase 3: Komplette Verantwortungsübernahme
Die scheidende Führungskraft wird zur „grauen Eminenz“, zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück, bleibt aber als beratender Sparring Partner verfügbar. Bis zum Schluss bleiben aber beide in der Verantwortung, es ist ihr gemeinsamer Job, dass der Laden läuft.
In unserem Fall kam Jürgen Buchinger (53), der im März 2024 zu uns stieß, als Nachfolger für Heinrich ins Unternehmen. Die erste Phase ermöglichte Jürgen ein stressfreies Ankommen, sich fachlich zu orientieren, sein Team kennenzulernen und Beziehungen im Unternehmen aufzubauen, während Heinrich weiterhin an seinen drei Anwesenheitstagen pro Woche die Teamführung und das Tages- und Projektgeschäft weiterführte. Jürgen war aber ab diesem Zeitpunkt an den beiden Abwesenheitstagen von Heinrichs Altersteilzeit der Hauptansprechpartner für das gemeinsame Team.
Nach einem halben Jahr folgte der bewusste, schrittweise Übergang der Hauptverantwortlichkeit von Heinrich auf Jürgen. Heinrich wird sich nach ein paar Monaten weiter zurückziehen, bleibt jedoch im Hintergrund als „graue Eminenz“ aktiv, bevor er im Sommer 2025 in seine wohlverdiente Pension geht.
Nachgefragt
Jürgen beschreibt den sanften Einstieg als vorteilhaft: „Der sanfte Einstieg und die schrittweise Verantwortungsübernahme ermöglichten mir, die komplexe IT-Landschaft und die Menschen im Team kennenzulernen. Die Sicherheit, jederzeit Fragen stellen zu können, führten zu einem reibungslosen Übergang.“
Heinrich ergänzt: „Das Shared-Leadership-Modell bietet die hervorragende Gelegenheit, Wissen und Verantwortlichkeiten in erfahrene Hände zu übergeben, ohne Nachteile und Wissensverlust für das Unternehmen entstehen zu lassen.“
Wo sich beide sicher sind, ist, dass die menschliche Komponente passen muss und man eine gehörige Portion Kommunikations- und Kompromissbereitschaft mitbringen muss, damit Shared-Leadership funktioniert.
Besonders wichtig ist auch die Klärung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten und die dazugehörige Kommunikation im Team und im Unternehmen: Wer ist für welche Personal- und Fachfragen der Hauptansprechpartner, usw.? Auch die Abbildbarkeit der Stelle im System stellt oft eine Herausforderung dar, wenn es insbesondere um Freigabeprozesse geht, die wohl durchdacht und im System konfiguriert werden müssen.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Insbesondere im Nachfolge-Twinning können sich schnell Reibereien wegen unterschiedlicher Ansichten oder Arbeitsweisen, Verantwortungsübernahme oder -abgabe, die Einführung neuer Ansätze oder die Veränderung bisheriger Prozesse entstehen. Diese gilt es bestmöglich im Vorhinein zu klären und aus dem Weg zu räumen – deshalb einer, wenn nicht DER Erfolgsfaktor von Shared-Leadership: „Es muss menscheln, dass es funktioniert“.
Kosten-Nutzen-Rechnung
Auch zu erwähnen, insbesondere in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wie aktuell, ist der Kostenfaktor. Wie schon erwähnt muss Jobsharing oder Shared-Leadership nicht immer eine Teilung der Stelle zur Hälfte bedeuten. In unserem konkreten Fall macht das 0,6 FTE + 1,0 FTE aus, was natürlich Mehrkosten auf der Kostenstelle für eine bestimmte Zeit darstellt.
Stehen also Aufwand und Kosten dafür? Eindeutig JA – es bietet die unbezahlbare Möglichkeit und den Mehrwert, wirklich Wissen eines „Urgesteins“ Zug um Zug aufzunehmen und im Unternehmen zu halten. Richtig gemacht, kann NachfolgetWINning als Schlüssel zur Wissensbewahrung eingesetzt werden.
Nachfolge-Twinning | Das Jobsharing-Modell zum Wissenserhalt im Unternehmen