Arbeitssicherheit macht die Arbeit einfach sicherer. Auch wenn es manchmal nicht so prickelnd ist, die Gesetze und Verordnungen bis ins Detail einzuhalten.
Experten-Interview
Links der HR-Branche Corporate Health
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Gefahrenevaluierung: ein klares Dokument gibt Richtung
18.1 Gefahrenevaluierung – wie können Gesetze und Verordnungen den Dschungel strukturieren?
Matthias Welkens, MBA (IBG):
Neben der gesetzlichen Verpflichtung der Gefahrevaluierung steht die Gestaltung eines sicheren und gesunden Arbeitsplatzes im Vordergrund. Je vielfältiger unsere Arbeitsplätze werden, umso umfassender sind nicht nur die entsprechende Gesetzgebung, sondern möglicherweise auch die entsprechenden Gefahren.
Als hilfreiche Unterstützung ist es sinnvoll, die betreffenden Arbeitsplätze mit den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen in einer Matrix zu verknüpfen und hier die notwendigen Anforderungen an die Gestaltung von u.a. Räumen, Arbeitsmitteln, Arbeitsstoffen zu beurteilen.
Daraus ergibt sich eine Risikobeurteilung, aus der sich der entscheidende Handlungsbedarf ableiten und die konkreten Maßnahmen formulieren lassen. Diese komplexe Aufgabe wird nur selten von einer Person bewerkstelligt werden können.
Das ArbeitnehmerInnenschutz ist keine Aufgabe einer Einzelperson, sondern eine strategische Unternehmensplanung unter Beteiligung aller Mitarbeitenden.
Mag. Dr. Birgitt Espernberger (ASZ):
Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz und seine Verordnungen bilden einen guten Leitfaden und dienen als rechtliche Grundlage für die Evaluierung und Beurteilung von Gefahren und das Festlegen von Maßnahmen. Natürlich können nicht alle Gefährdungen in Verordnungen erfasst werden, dafür gibt es die Verpflichtung der Arbeitsplatzevaluierung, deren Ergebnisse und vor allem Maßnahmen im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument niedergeschrieben und durch den Arbeitgeber für seinen Betrieb verbindlich festgelegt sind.
Für die Führungskräfte ist das Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument eine notwendige Checkliste, um Ihren Mitarbeitenden ein sicheres Arbeitsumfeld bieten zu können.
Aus Fehlern lernen & Unfälle ganz einfach verhindern
Wie können durch die Nachevaluierung von Arbeitsunfällen und unsicheren Handlungen zukünftige Unfälle effektiv verhindert werden?
Mag. Veronika Jakl
Das gelingt dann gut, wenn es auf Basis einer proaktiven Präventionskultur durchgeführt wird. Also, wenn bei Fehlern nicht die schuldigen Personen gesucht, sondern die Umstände hinterfragt werden, die dazu geführt haben. Denn niemand führt absichtlich einen Arbeitsunfall herbei.
Dann zu sagen „Es war eben menschliches Versagen“ oder „Da hat halt jemand nicht aufgepasst“, ist zu kurz gedacht und nicht hilfreich. Oft stecken psychische Belastungen (wie Zeitdruck, unklare Prioritäten oder fehlende Informationen), Gruppendynamiken oder kognitive Verzerrungen (sog. Biases wie die gefühlte Unverwundbarkeit) dahinter. Moderne Ansätze der Arbeitssicherheit wie HOP, Safety Differently oder Safety II sind hier erfolgsversprechender als schweres Atmen, Augenverdrehen und eine automatische Nachschulung nach einem Unfall.
Matthias Welkens, MBA (IBG)
Die Nachevaluierung von Arbeitsunfällen und unsicheren Handlungen ist ein Teil des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses und zeigt uns im Normalfall die (Teil-)Lücken in unserem Maßnahmenpaket für einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz. Erst durch eine strukturierte Erfassung der Arbeitsunfälle und Beinaheunfälle können Häufungen und strukturelle Probleme sichtbar gemacht und in Angriff genommen werden. Oftmals wird ein Arbeitsunfall viel zu schnell abgehandelt und der Mitarbeitende als „ungeschickt“ hingestellt oder als „das war halt Pech“ abgetan. Je genauer aber die Ursache bzw. der Weg zum Unfall analysiert wird, umso mehr kann ein Unternehmen zum eigenen Verbesserungsprozess und der Gesundheit der Mitarbeitenden beitragen.
Hier können Schlüsselfragen helfen: Hat die Mitarbeitende alle Informationen gehabt? War die notwendige persönliche Schutzausrüstung verfügbar? Was war anders als sonst?
Blick in die Praxis
Bitte um konkret umgesetzte Beispiele, die Sie in der Praxis (in Ihrem Unternehmen oder bei Kunden) bereits erlebt haben, bzgl. effektiver Umsetzung.
Mag. Veronika Jakl:
Bei einer Firma haben wir die Umsetzung der Maßnahmen, die im SGD stehen, an die Jahresziele der verantwortlichen Führungskräfte geknüpft. Dadurch waren sie verpflichtet, sich diese regelmäßig anzuschauen und die Umsetzung zu reporten.
Oft verstauben ja SGDs irgendwo in der Personalabteilung oder auf dem Firmenserver. Bei den Organisationen, wo jemand intern zuständig ist, regelmäßig den Stand der Maßnahmen im SGD zu aktualisieren, gelingt es sehr gut auch an Themen wie der Evaluierung psychischer Belastungen dranzubleiben. Damit das gelingt, brauchen alle Verantwortlichen, die im Dokument genannt sind, auch die Infos, was genau zu tun ist und das klare Commitement der Geschäftsführung.
Mag. Dr. Birgitt Espernberger (ASZ)
Evaluierung eines Arbeitsplatzes Schlosserei: An diesem Arbeitsplatz wird im Schichtbetrieb gearbeitet, es werden Maschinen verwendet, ein Lehrling wird ausgebildet.
Aus dem Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument kann der Abteilungsverantwortliche z.B. herauslesen:
- Welche Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge sind den Mitarbeitenden anzubieten (z.B. Nachtschichtuntersuchung, Audiometrie)
- An welchen Maschinen darf der jugendliche Lehrling arbeiten?
- Welche persönliche Schutzausrüstung ist den Mitarbeitenden zu Verfügung zu stellen?
- Wie sind die Arbeitsbereiche zu kennzeichnen? (z.B. Lärmbereich)
- Mit welchen Restgefährdungen ist an diesem Arbeitsplatz zu rechnen – diese Informationen sind zu unterweisen.
Fazit: Das Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument ist die Grundlage und Checkliste für sämtliche weiteren Schritte zu einem sicheren Arbeitsplatz. Sind die Führungskräfte in die Evaluierung ihrer Arbeitsplätze eingebunden und im Umgang mit den Dokumenten zum Arbeitnehmerschutz gut geschult, haben sie ein wirksames Instrument, mit dem sie ohne viel Aufwand und sehr pragmatisch ihre Arbeitsplätze (rechts)sicher gestalten und Arbeitsunfälle wirksam verhindern können.
Interviewte Personen
Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument – mühsam & kleinkariert oder extrem hilfreich?
Mag. Veronika Jakl
- Arbeitspsychologin & Akademie-Leitung
- Pioniere der Prävention
- www.PioniereDerPraevention.com
Matthias Welkens, MBA
- Leitung Arbeitssicherheit und Ergonomie
- IBG Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH
- Unternehmens-Profil
- www.ibg.at
Mag. Dr. Birgitt Espernberger
- Leitung Gesundheitsmanagement
- ASZ – Das Arbeitsmedizinische und Sicherheitstechnische Zentrum in Linz GmbH
- Unternehmens-Profil
- www.asz.at