HR-Digitalisierung könnte den Arbeitsalltag von HR-Teams erheblich erleichtern – doch oft fehlt die Zeit, um die notwendigen Projekte umzusetzen. Das sogenannte Zeit-Paradoxon sorgt dafür, dass strategische Fortschritte ausbleiben.
Wie kann HR diesen Teufelskreis durchbrechen?
Gast-Autor: Martin Sulzbacher, pemundo GmbH
Warum das Zeit-Paradoxon so relevant ist
Das Zeit-Paradoxon ist ein altbekanntes Problem, das viele Organisationen und natürlich auch HR-Abteilungen plagt: Der tägliche operative Druck ist so hoch, dass keine Kapazitäten für strategische Projekte wie die Digitalisierung von Prozessen bleiben. Dabei sind es genau diese Projekte, die langfristig entlasten und Freiraum für wichtigere Themen schaffen könnten.
Ich kenne dieses Problem aus eigener Erfahrung – und ich weiß, wie schwer es ist, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Selbst wenn man es eigentlich weiß, ist man doch oft im operativen Druck gefangen. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass ich mit diesem Eindruck nicht alleine bin: 81 % der befragten HR-Verantwortlichen nennen Zeitmangel als Hauptgrund, warum Digitalisierungsprojekte ins Stocken geraten.
Das Zeit-Paradoxon verstehen: Warum bleibt keine Zeit für Fortschritt?
Das Paradoxe am Zeit-Paradoxon ist offensichtlich: Um Zeit zu sparen, müsste Zeit investiert werden – doch genau diese fehlt. Ich sehe gleich mehrere Ursachen für diesen Teufelskreis:
Hohe operative Belastung
HR-Abteilungen sind oft mit administrativen Aufgaben wie Vertragsmanagement, Gehaltsabrechnungen oder kurzfristigen Anfragen überlastet. Diese Aufgaben sind wichtig, verhindern aber den Blick auf das große Ganze.
Fehlende Priorisierung strategischer Projekte
In vielen Unternehmen fehlen klare Strategien, um Digitalisierungsvorhaben im HR gezielt voranzutreiben. Projekte werden immer wieder verschoben, weil operative Aufgaben „dringender“ erscheinen.
Kurzfristiges Denken
Digitalisierung wird (vor allem in KMUs) häufig als zusätzlicher Aufwand wahrgenommen, anstatt als langfristige Entlastung. Oft heißt es: „Das haben wir bisher auch nicht gebraucht“ oder „Das haben wir immer schon so gemacht“. Dieser Denkansatz führt dazu, dass selbst kleine Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Stattdessen werden personelle Ressourcen aufgebaut, die weiterhin die gleichen Dinge tun, anstatt Prozesse zu überdenken.
Die einfache Verlockung operativer Erfolgserlebnisse
Operative Aufgaben liefern sofort sichtbare Ergebnisse und sind oft einfacher zu erledigen. Nach einem Tag voller abgearbeiteter To-dos kann man zufrieden nach Hause gehen und sich auf die Schulter klopfen, wie viel man geschafft hat. Das gibt eine direkte Bestätigung, während strategische Projekte oft erst langfristig Wirkung zeigen. Ohne damit jemandem zu nahe zu treten (im Gegenteil, ich selbst kenne diesen Punkt 4 gut): Diese „Verlockung“ sorgt dafür, dass strategische Vorhaben aufgeschoben werden.
Meine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Zeit-Paradoxon
Ich möchte eine Situation mit euch teilen, in denen ich das Zeit-Paradoxon selbst erlebt habe. Als neuer Head of Customer Success bei einem HR-Tech-StartUp habe ich in dieser eigens für mich geschaffenen Rolle den gesamten Bereich von Grund auf aufgebaut. Die Geschäftsführung und ich haben riesiges Potential in dem Thema gesehen und hatten große Ziele. Ich kam mitten in einer starken Wachstumsphase ins Unternehmen, sowohl was neue Kundinnen und Kunden als auch neue Mitarbeitende betrifft.
Neben dem operativen Tagesgeschäft – Betreuung aller Neukundinnen, viele Bestandskunden und der Aufbau eines wachsenden Teams (und so nebenbei sind dann auch noch die HR-Themen zu mir gewandert) – hätte ich das strategische Fundament legen und weiterentwickeln sollen und müssen. Doch der operative Druck war groß (ich habe hier auch an mich selbst sehr hohe Erwartungen gesetzt), und das Team wuchs schnell. Nach vier Jahren war der operative Bereich stabil, auch dank eines großen Customer Success Teams, aber das strategische Ziel, das die Geschäftsführung und ich von Beginn an vor Augen hatten, war nicht erreicht.
Rückblickend bin ich überzeugt: Wenn ich mich operativ stärker rausgenommen hätte, wäre das sowohl für mich als auch für das Unternehmen zwar kurzfristig herausfordernd, aber langfristig zielführender gewesen. Aber ich hatte damals den Eindruck, dass es einfach nötig war, auch intern als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, und auch Punkt 4 (siehe oben) spielte eine nicht unwesentliche Rolle.
Wie Unternehmen das Zeit-Paradoxon durchbrechen können
So, nachdem wir uns nun ausführlich dem Problem gewidmet haben, hier die gute Nachricht: Das Zeit-Paradoxon ist kein unüberwindbares Hindernis. Hier sind fünf konkrete Ansätze, um den Teufelskreis zu durchbrechen:
- Setze klare Prioritäten:
Digitalisierung muss als strategisches Ziel fest verankert werden. Definiere konkrete Meilensteine und setze realistische Zeitpläne. - Teile Projekte in kleine Schritte auf:
Anstatt ein großes Digitalisierungsprojekt zu planen, starte mit kleineren Initiativen, die schnell Ergebnisse liefern. Beispiele: Automatisierung einzelner HR-Prozesse oder Einführung digitaler Signaturen. - Schaffe operative Entlastung:
Delegiere oder automatisiere wiederkehrende Aufgaben, um Kapazitäten für strategische Themen zu schaffen. Tools zur digitalen Dokumentenverwaltung oder automatisierten Gehaltsabrechnung können hier helfen. - Reserviere feste Zeiten für strategische Projekte:
Plane regelmäßige, geschützte Zeitfenster für Digitalisierungsthemen ein – und verteidige diese gegen operative Anfragen. - Hole externe Unterstützung:
Wenn die interne Kapazität begrenzt ist, kann es sinnvoll sein, auf externe Berater oder Implementierungspartner zurückzugreifen. Diese können den Prozess beschleunigen und Ressourcen schonen.
Fazit: Zeit investieren, um Zeit zu gewinnen
Das Zeit-Paradoxon ist ein Dilemma, das viele HR-Teams kennen. Doch die Lösung liegt auf der Hand: Nur wer bereit ist, kurzfristig Zeit zu investieren, kann langfristig Entlastung schaffen. Die Digitalisierung von HR-Prozessen ist kein Selbstläufer – sie erfordert klare Prioritäten, Mut zur Veränderung und strategisches Denken. Doch die Ergebnisse lohnen sich: Mehr Effizienz, Freiraum für wichtige Themen und eine HR-Abteilung, die als echte strategische Kraft im Unternehmen wahrgenommen wird.
DOWNLOAD der Studie
Ausblick: Der nächste Schritt
Im nächsten Artikel werde ich auf eine weitere zentrale Herausforderung eingehen, die unsere Studie beleuchtet hat: den Knowledge-Gap. Hierbei werde ich nicht nur die Ergebnisse analysieren, sondern auch diskutieren, wie viel digitales Know-how HR-Teams wirklich benötigen und welche Maßnahmen helfen, diesen Gap zu schließen.
Gast-Autor
Martin Sulzbacher ist Mitgründer und Geschäftsführer der pemundo GmbH. Mit über 20 Jahren Erfahrung in der Personal- und Organisationsberatung sowie als Personalleiter und Führungskraft in HR-Tech-Startups verfügt er über fundiertes Know-how in HR-Prozessen, Digitalisierung und dem Vertrieb innovativer Lösungen. Seine Leidenschaft liegt in der Optimierung von HR-Prozessen und der Begleitung von Unternehmen bei der Einführung effektiver HR-Softwaresysteme. Zudem war er langjährig als Lehrbeauftragter aktiv und ist ein engagierter Networker sowie gefragter Redner.