Früher standen die Bewerber Schlange – heute müssen Unternehmen mit immer neuen Anreizen locken, um Talente zu gewinnen und zu halten. Doch sind Incentives wirklich die Lösung oder nur ein teures Pflaster für tiefere Probleme in der Führungskultur?
Gast-Autor: Simon Kidman
Die Zeiten haben sich geändert, das ist ganz offensichtlich, der Markt hat sich gedreht zu einem Arbeitnehmermarkt. Wie manche Unternehmen diesen geänderten Herausforderungen begegnen, möchte ich hiermit hinterfragen.
Von Retention-Management und Führungsarbeit
Wenn Incentives die Lösung aus der Recuriting-Krise sein sollen, dann stellt sich foglende zentrale Frage:
Was müssen Unternehmen bieten, um erfolgreich zu rekrutieren und was macht heutzutage die Belegschaft glücklich und bewegt sie somit zum Bleiben?
Einige mittlerweile berühmte Vertreter an der Incentive-Front sind zum Beispiel geleaste Bikes, Massagen vor Ort oder eine 6. Urlaubswoche (den Obstkorb, gratis Kaffee und Telearbeit erwähne ich hier absichtlich nicht, weil vielfach bereits als Standard angesehen). Sind somit die Probleme gelöst – Incentives als Allheilmittel für alle Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt? Ich denke nicht, dass es so einfach ist!
Wie so oft im HR, ist es auch hier schwierig, die Erfolgsquote zu messen. Wie erfolgreich war das Recruiting, bzw. wie viele Personen sind aufgrund eingeführter Incentives geblieben und wären sonst gegangen? KPIs wie z.B. die Fluktuationsrate wäre hier eine konkrete Möglichkeit zu messen. Gleichzeitig hängt die Fluktuation natürlich auch von anderen Faktoren als nur von Incentives ab. Auch im Recruiting wäre der Erfolg von eingeführten Incentives nur mit Vorbehalt messbar (durch Time to hire beispielweise).
Zusammenfassend ist die Wirksamkeit dieser Maßnahmen streitbar, wenngleich es positiv zu sehen ist, wenn sich Unternehmen um die Bedürfnisse der Belegschaft Gedanken machen.
Das führt mich zum nächsten Punkt. Was wäre eine Alternative zu Incentives, denn es gibt diverse Wege den geschilderten Problemen zu begegnen.
Incentives vs. Leadership
Würden Sie in einem Unternehmen bleiben, in dem es zwar geleaste Bikes gibt, die Stimmung jedoch miserabel ist und der Chef die eigenen Leistungen nicht sieht bzw. anerkennt und generell seine Führungsaufgabe nicht wahrnimmt?
Machen Sie den Test anhand Ihrer eigenen professionellen Historie und Sie werden bestätigen, dass sehr oft ein kausaler Zusammenhang zwischen der Wechselmotivation und einer Vielzahl an Themen besteht, die als gemeinsamen Nenner die Überschrift Verantwortung der Führungskraft haben.
Incentives sind die Kür, aber auf die Pflicht wird zu oft vergessen. Bevor wir uns den Kopf darüber zerbrechen, was wir noch alles anbieten können, müssen die vermeintlich unangenehmen Themen angegriffen werden. Führungsaufgaben wahrzunehmen ist essenziell, auch wenn es teilweise unangenehm und schwierig zu sein scheint.
Feedback zu bekommen, persönlich wachsen zu können, Entwicklungsmöglichkeiten zu haben, (das muss nicht hierarchisch sein) wertgeschätzt zu werden. Dafür bleiben Mitarbeitende im Unternehmen und nicht lediglich der Incentives willen. Und um hier auch die Thematik der Generationenmodelle zu bedienen, das ist generationenübergreifend so. Auch die „jungen“ wünschen sich Feedback. Vielleicht sogar mehr als die „alten Hasen“.
Feedback zu geben kann aus meiner Sicht viel mehr bewirken als die meisten Incentives, vorausgesetzt es wird gut gemacht. Umso wichtiger ist es, in Führungskräfte und deren Kommunikationsskills zu investieren. Leider wird in schwierigen Zeiten oft genau dort gespart – zu einem Zeitpunkt, an dem es noch wichtiger sein wird als in guten Zeiten.
Fazit
Fangen Sie heute damit an und Sie sparen sich morgen das eine oder andere Recruitingprojekt.
Zusammenfassend ist es eine schöne Entwicklung, dass sich Unternehmen um das Wellbeing der Belegschaft Gedanken machen und Incentives einführen und damit ja durchaus auch einiges an Geld in die Hand nehmen. Das Motiv aus dem das geschieht, trübt die Optik etwas ein.
Als Optimist denke ich jedoch, dass sich über die Zeit dieser zunächst pragmatische Zugang zu einem Mindset entwickeln und sich in der Unternehmenskultur etablieren kann. So gelingt es dann auch, das Unternehmen durchaus attraktiver zu machen als so manchen Konkurrenten.
In diesem Sinne sehe ich den ersten Schritt aus der Not heraus gemacht. Wie es weiter geht, liegt im Gestaltungsspielraum aller Führungskräfte.
Viel Spaß beim Gestalten!
Incentives als Problemlöser?
Gast-Autor
Simon Kidman, geboren in Österreich und geprägt durch britische Wurzeln, bringt er eine vielfältige Perspektive in den HR-Bereich. Mit über 12 Jahren Erfahrung, davon 10 Jahre in der produzierenden Industrie und 6 Jahre in Führungspositionen mit Prokura, betreut er Mitarbeitende aller Hierarchieebenen – vom Praktikanten bis zum Divisionsgeschäftsführer. Er unterstützt Unternehmen in den Bereichen Training, Coaching, Beratung und HR-Services.